Annäherung von Umweltschützern und Großaktionären

Jahreshauptversammlungen von US-Konzernen werden immer mehr zum Forum für politische Forderungen / Pensionsfonds teilen Kritik am Exxon-Management  ■  Aus Washington Stefan Schaaf

„Das Wort Umweltschutz ist auf dieser Aktionärsversammlung häufiger gefallen, als einige Aufsichtsräte es in ihrem ganzen Leben gehört haben. Vor allem haben sie es aus dem Mund ihrer eigenen Aktionäre gehört. Das ist etwas Neues!“ Für John Bell von der Umweltschutzkoalition „Citizen Action“ war der letzte Donnerstag ein Erfolg. Das Management des Exxon-Konzerns war auf der alljährlichen Aktionärsversammlung unter heftigen Beschuß geraten.

Das Desaster im Prinz-William-Sund führte zu einem Sturm der Entrüstung unter den eigentlichen EigentümerInnen des Unternehmens, den AktionärInnen. Im Laufe der zum Teil recht heftigen Aussprache über die Unternehmensbilanz wurde nicht nur der Rücktritt des Aufsichtsrats gefordert, sondern auch ein Fonds von einer Milliarde Dollar für die Kosten der Langzeitfolgen der Ölkatastrophe - und außerem in Ansätzen eine grundlegende Umbesinnung in der Konzernpolitik, die bisher den fossilen Brennstoffen Vorrang vor alternativen Energiequellen gab (siehe auch taz vom 20.5.).

Die Stimmenauszählung ergab, daß fast ein Viertel der Aktionäre befürwortete, dem bisherigen Aufsichtsrat das Vertrauen zu entziehen. Als John Bell auf dem Parkplatz zuschaute, wie mehrere hundert DemonstrantInnen ihre Kostüme und Plakate einpackten, während elegant gekleidete und frisierte Aktionäre ihren Limousinen zustrebten, hatte er das Entstehen einer neuen Koalition miterlebt, die den Managern großer US-Konzerne noch einiges Kopfzerbrechen bereiten dürfte.

Von Südafrika nach

Chile und Brasilien

Schon seit einigen Jahren sind Großunternehmen wie Exxon daran gewöhnt, daß einzelne Aktionäre die jährlichen Versammlungen als Forum nutzen, um Aspekte der Konzernpolitik zu geißeln. Als es noch US-Großkonzerne mit Investitionen in Südafrika gab, stand diese indirekte Unterstützung des Apartheid-Regimes im Mittelpunkt der Kritik; doch vor wenigen Wochen zog sich mit dem Mobil -Konzern auch das letzte größere US-Unternehmen aus Südafrika zurück.

Doch dessen ungeachtet wird mit jedem Jahr der Forderungskatalog US-amerikanischer Aktionäre umfangreicher. So verlangten kürzlich Kirchengruppen von Banken, der Diktatur in Chile keine Kredite mehr zu gewähren, während die einflußreiche „Federation of American Scientists“ von drei Großbanken forderte, weitere Kredite für die nuklearen Schwellenländer Argentinien und Brasilien an deren strikte Einhaltung des Atomwaffensperrvertrags zu knüpfen.

Die Öko-Aktivisten der „Citizen Action“ haben bei ihrer Kampagne gegen die Exxon-Führung nun einen mächtigen Verbündeten gewonnen. Der Pensionsfonds von New York City, aus dem die Altersbezüge der Stadtbediensteten von New York City bezahlt werden, und einige weitere institutionelle Großinvestoren, die zusammen über 35 Prozent der Exxon -Aktien verfügen, haben sich in der Folge der Ölpest der Kritik der UmweltschützerInnen angeschlossen und ließen ihre Muskeln spielen. „Das Exxon-Management hat sich in verantwortungsloser und nachlässiger Weise verhalten“, so die Begründung von Harrison Goldin, der den New Yorker Pensionsfonds verwaltet. „Ich habe den Präsidenten von Exxon persönlich wissen lassen, daß wir als Eigentümer des Unternehmens erwarten dürfen, daß er die Notwendigkeit von Änderungen anerkennt, um eine ähnliche Katastrophe zu vermeiden oder zumindest in angemessener Weise auf ein solches Unglück reagieren zu können“.

Der Pensionsfonds stellte mehrere Forderungen an den Exxon Konzern. So sollte ein ausgewiesener Umweltschützer in den Aufsichtsrat entsandt und ein Ausschuß für Umweltfragen gebildet werden. Außerdem sollte das Unternehmensbudget für umweltbezogene Forschung erhöht werden. Aus Angst vor einer spektakulären Konfrontation mit seinen Großinvestoren zog Exxon vor, diesen Forderungen bereits im Vorfeld der Aktionärsversammlung Folge zu leisten.

„Wir bleiben präsent“

Das rasche Einlenken der Unternehmensleitung stellt eine neue Qualität in der Reaktion eines Großkonzerns auf Druck von außen dar, bestätigt John Bell, „besonders, wenn es sich um ein Unternehmen wie Exxon handelt. Er ist der größte Energiekonzern der Welt.“ Gleichzeitig kritisieren die Graswurzelaktivisten, daß die Pensionsfonds die Situation nicht genutzt haben, um noch weitgehendere Zugeständnisse zu erstreiten.

Doch Harrison Goldin warnte in einem Fernsehinterview davor, die Standfestigkeit der großen öffentlichen Anleger zu unterschätzen. „Wir sind langfristige Investoren, wir bleiben am Ball. Dieses Unternehmen weiß, daß wir präsent bleiben werden. Wenn Exxon glaubt, daß wir mit einem Public -Relations-Trick zufriedenzustellen sind, sollen sie nur bis 1990 oder 1991 warten!“ Die Unterstützung durch DemonstrantInnen außerhalb der Aktionärsversammlung fand seine volle Zustimmung: „Ich glaube, daß die Aktivisten ungeheuer hilfreich sind, denn sie zeigen Exxon in drastischer Weise, daß das Unternehmen es nicht nur mit Einzelkritikern zu tun hat.“

„Rat institutioneller Investoren“

Ein Einzelkritiker ist auch Goldin ganz und gar nicht. Er ist einer der führenden Köpfe hinter einem Zusammenschluß finanzstarker öffentlicher Fonds, die einen immer größeren Anteil an den Aktien US-amerikanischer Firmen verwalten und zunehmend Einfluß auf die Unternehmenspolitik großer Konzerne nehmen. Der „Rat institutioneller Investoren“ wurde 1985 gegründet, weil die Großanleger zunehmender Selbstherrlichkeit und Trägheit der Konzernleitungen überdrüssig wurden - Entscheidungen sollten wieder von den Aktionären gefällt werden. Vor allem wollten sie nicht länger zuschauen, wie Unternehmensleitungen aus Eigeninteresse künstliche Barrieren gegen unerwünschte Übernahmeversuche errichteten. Inzwischen gehören dem Rat mehr als 50 staatliche und lokale Aktienfonds mit mehr als 200 Milliarden Dollar Gesamtkapital an.

Öffentliche Investoren gebieten über ein Drittel der Exxon -Aktien, was im Vergleich zu anderen Großkonzernen eher wenig ist: bei Ford beträgt der Anteil 63 Prozent, bei Citicorp gar 72 Prozent. Der Widerstand der Pensionsfonds gegen Exxons fahrlässigen Umgang mit der Umwelt könnte für den Konzern zu einer wesentlich schmerzhafteren Auseinandersetzung führen als die finanziellen Folgen der Ölkatastrophe in Alaska. Bisher hat Exxon für die Reinigung der ölverschmierten Küste des Prinz- William-Sund 115 Millionen Dollar aufgewendet. Das entspricht der Summe, die der Mammutkonzern mit seinen 100.000 Angestellten in 80 Ländern im vergangenen Jahr in nur einer Woche an Profiten verbuchen konnte.

Die Exxon-Kritiker aus der Umweltbewegung weisen darauf hin, daß der Konzern obendrein durch den Tankerunfall bis zu 400 Millionen Dollar Steuern sparen kann - und daß die einseitige Erhöhung der Benzinpreise, wenn sie ein Jahr aufrechterhalten werden kann, bis zu 700 Millionen Dollar Extraprofite bringen kann. Der von den UmweltschützerInnen ausgerufene Exxon-Boykott hat angesichts dieser ökonomischen Dimensionen auf die Konzernfinanzen praktisch keine Auswirkungen, erkennt auch Ed Rothschild von „Citizen Action“. „Aber er schadet dem öffentlichen Image des Konzerns, und das ist heutzutage die zweitwichtigste Sache für ein Großunternehmen.“ Immerhin bilden Public-Relations -Experten die drittgrößte Gruppe unter den von Exxon mit der Beseitigung der Ölpest Beschäftigten.