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Seh'n oder Nichtseh'n

■ RB-Frauenmagazin „Chicita“ mit Margarethe Schreinemakers in allen Rollen

Es war einmal ein kleines Mädchen, das auf allen Kindergeburtstagen im Mittelpunkt stehen wollte. Am liebsten verkleidete sie sich, machte die Großen nach, hob dauernd ihr Röckchen hoch und kreischte laut. Sie schweinigelte gern, weil sie glaubte, alle Jungs mögen kreischende, schweinigelnde Mädchen. Als sie dann größer wurde, ging sie zu den Pfadfindern und kreischte dort unter den Pubertierenden herum. „Wie schade“, dachte sie manches Mal, „daß ich als Mädchen nicht zum Bund kann. Da hätte ich ein feines Publikum.“ Dieser Wunsch kam dem Deutschen Fernsehen zu Ohren. Man holte das inzwischen große Mädchen und ließ es alle Kindergeburtstagsnummern herunterkreischen. „Wortschätzchen“ hieß eine ihrer Sendungen, die dann aber doch böse endete: das Kreischen war selbst dem deutschen Fernsehpublikum zu laut. Da besann man sich bei Radio Bremen, dem fortschrittlichen Fernsehsender, auf des Mädchens Wunsch, sich beim Bund kreischend hervorzutun. „Das hat doch irgendwie was lustig Emanzipiertes“, hieß es in der Redaktion. „Wollen wir nicht mit diesem Mädchen ein fideles Frauenmagazin auf die Beine stellen? Sie wäre die Richtige, diese verbiesterten Feministinnen und überhaupt sämtliche Frauentypen so schweinigelig durch den Kakao zu ziehen, daß die Männer lachen müssen.“ Und also geschah es, daß das Fernsehpublikum mitansehen mußte, wie das kleingroße Mädchen wieder einmal Kindergeburtstag feiern und in fiesdelen Herrenwitzen schwelgen durfte.

Diesmal stand wirklich sie allein im Mittelpunkt, im Studio -Hintergrund eine riesengroße Frauenbrust. Das Mädchen durfte die Moderatorin Germaine von Schlottmann-Herrkempel spielen - ein Name, den die Redaktion allein schon zum Kugeln fand. Außerdem aber trug das aufgekratzte Mädchen eine Riesenbrille im Gesicht und wechselte Perücken ohne Zahl: Romina Power, Hildegard Knef, Erika Berger, die RTL plus-Sexberaterin, die „Öko-Tante“, dann eine fußballspielende Quotenfrau und so weiter und so fort. Das Mädchen fand, wie immer, ihre eigenen Nummern irrsinnig komisch, plinkerte ins Publikum, ruckte mit der Brille auf der Nase und war entsetzlich guter Laune.

Natürlich war nicht alles live. Viele vorproduzierte, inszenierte Sketche unterstützten das mopsfidele Perückenmädchen bei ihrem Auftritt. Pointen nämlich müssen sitzen und bis ins Kleinste durchgefeilt sein. Man weiß von Loriot, was „sitzende Pointen“ sind. In dieser Sendung aber scheint man nichts davon zu wissen. Hier wurden die Pointen behäbig ausgesessen, mit breitem Arsch, wie es sich für deutschen Stammestischhumor geziemt. War der Redaktion eine Zote eingefallen, wurde sie gleich mehrfach wiederholt, zum Beispiel die Rammelei im Bett: Mann oben, schnaufschnaufschnauf, Frau unten, Bettfedern knarzen - das Studio tobt vor Lachen: Erika Berger, Sexberaterin „bei der Arbeit“.

Zum Schluß hob das Perückenmädchen ihr Röckchen wieder hoch, zeigte die engen Höschen und drohte an: „In einer Woche geht es weiter.“

Sybille Simon-Zülch

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