SCHON BEI NEUNZIG ALLE

■ Die Godfathers im Metropol

Ich Gitarre, du Rock'n'Roll. Rock'n'Roll is bigger than all of us. It's only Rock'n'Roll, but I like it. Bumm Bumm Bumm.

Die Dekoration hängt noch, blaue Venus mit rotem Kringel, grünes Dreieck, roter Kringel, Reminiszenz an Peter Tiger Kraus und Conny Froboess, es spielen auf für Sie, heute letzte Vorstellung, höret! höret!, die Gebrüder Coyne und ihre rollende Diskothek, bekannt aus Rundfunk und Fernsehen, es spielt auf für Sie! seitengescheitelter Jüngling, hennagefärbter Mohikaner-Netzstrumpf, und auch für dich, Good-Old-Time-Rock'n'Roll-Lederboy, die Sid Presley Experience, um pünktliches Erscheinen wird gebeten, Kleidung dem Anlaß entsprechend, hier und heute, ihr Brieftaubenzüchter, im Vereinsheim der Kleingartenanlage „Frohes Schaffen“, nein, die Bob-Seger-Poster sind schon ausverkauft, aber wir alle reiten volle Pulle against the wind.

Rock'n'Roll: Gary Glitter gibt den Auftakt, vielversprechend dem Trend nachtrottend, alles geht außer anything goes und 70's, das Intro, die Coynes, die alten Schelme in Anzug, gebügelfaltet, ankündigend: Rock'n'Roll. Und siehe, da schrammeln sie schon los, solide, massive, der Trommler schmiedehammerschlagzeugend, schnell und präzise, schräpelig und bitter und böse die Gitarren, und siehe!, da schrammeln sie schon los und kommen doch nicht an. Irgendwo auf halbem Weg nach Rock'n'Roll säuft ihnen dann der Motor ab, hechelnd zuweilen biegen sie dann noch ein auf die Zielgerade und kommen doch nicht an: kein Rock'n'Roll. Die Band, die nie ankommt: The Godfathers. Elvis Presley ist angekommen, pummeliger Pillenwerfer, Jimi Hendrix, barbituratekotzend, ebenso, und auch der rührselige Sid, als T-Shirt gerade mal zu ertragen, hat es geschafft, ist angekommen, meuchelmordend.

Die Gebrüder Coyne aber, noch ein letztes Mal schwingen sie die Hüften, prima Publikum seid ihr, ihr Berliner, noch ein letztes Mal verteilen sie ein paar Wortfetzen auf deutsch, sympathienerheischend, währenddessen hinter ihnen, welch Einfall grandios!, werden projiziert Porträts: Liz Taylor, einer der toten Kennedys, Herr Coyne als Schulbub, dazwischen, Cops prügelnd und Kids verhungernd, Unheil, Ungerechtigkeit, Schulbub Coyne, der eicherne Sid-Vicious -Fan, aufgewachsen in den Londoner Vorstädten: against the wind. Thatcher böse, Godfathers gut. Bumm Bumm Bumm: Rock'n'Roll. Verbietet Gitarren!

Thomas Langhoff