One Li out, Wan Li in

■ Chinas Führung auf der Suche nach einem „ehrlichen Broker“

Mit einer tief gespaltenen Führung, die verzweifelt um eine politische Lösung ringt, dauert Chinas politische Krise an. Allmählich scheint man sich auf einen Kompromiß zu einigen. Konfusion herrscht noch immer über die Frage, wer eigentlich noch Autorität besitzt. Kein Zweifel, daß Premierminister Li Peng zunehmend ins Abseits gerät. Als unhaltbar erwies sich seine Position bereits mit der Weigerung der Kommandeure, gewaltsam gegen die Studenten vorzugehen. Seit gestern machen sich auch die bedeutenden chinesischen Tageszeitungen über die Ausrufung des Kriegsrechts lustig. De Facto sei die Kriminalitätsrate gesunken, seit die Studenten die Straßen kontrollieren, heißt es da.

Auch die Studenten sind unterdessen auf einen Kompromiß aus. Lediglich ein „aufrichtiger Makler“ wird noch gesucht, der zwischen allen Fraktionen und beteiligten Institutionen vermitteln könnte. In die Bresche springen dürfte nun Wan Li, ein langjähriger und beherzter Unterstützer der Reformpolitik. Auf seiner Kanadareise sprach er sich am Sonntag entschlossen für die Sache der Studenten aus - lobte ihren Patriotischen Geist und bemerkenswerten Enthusiasmus. „Vernunft, Ruhe und Zurückhaltung“ hätten sie bewiesen, und er fügte hinzu, daß die gegewärtige Sackgasse allein mit legalen Mitteln behoben werden könne.

Nach Abbruch seines USA-Besuchs hat er bereits die Heimreise angetreten. Als Vorsitzender des Nationalen Volkskongress (NPC) soll er eine Krisensondersitzung des Volkskongress leiten. Für die Ernennung des Premierminister zuständig, könnte die Sondersitzung des Volkskongreß auch über Li Pengs Nachfolger abstimmen, dessen Rücktritt nur noch eine Frage der Zeit sein dürfte. Mit hoher Wahrscheinlichkeit heißt der neue Premierminister Zhao Ziyang und der neue Parteichef Wan Li.

Nach einer sechsmonatigen Informationsreise leitete der liberale Reformer Wan Li gemeinsam mit dem verstorbenen Hu Yaobang 1980 drastische Maßnahmen zur Erweiterung der Autonomie für Tibet ein. Auch 1986 zeigte er sich als entschiedener Anwalt der politischen Reformen, für die die Studenten Weihnachten auf die Straße gingen. Es war Wan Li, der Hu Yaobangs Parteinahme für die Studenten vor zwei Jahren unterstützt hatte und sich für eine liberale Behandlung der Demonstranten einsetzte. Obwohl Hu Yaobang als das Pendel zurückschlug seinen Posten verlor, konnte Wan Li sogar bei dem 13. Parteikongress 1987 aufsteigen - und dies trotz des Widerstands der Hardliner, die seinen Reformeifer und sein demokratisches Engagement zu fürchten hatten.

Unberührt von den innerparteilichen Machtkämpfen ist er gewiß derjenige, zudem die Studenten Vertrauen haben und genießt gleichzeitig den Respekt des Militärs. So liegt es jetzt an Wan Li und Zhao Ziyang die politische Blockade abzuräumen. Sicherlich werden sie der anstehenden Parteikonferenz ein Packet politischer Reformen anbieten. Darin enthalten sein, dürfte auch die Umgestaltung des Nationalen Volkskongress nach dem Vorbild der sowjetischen Parlamente sowie direkt Wahlen. Können sie sich dann den nötigen Rückhalt nicht verschaffen, wird ein blutiger Bürgerkrieg in China kaum zu vermeiden sein.%%

Larry Jagan