'Bild‘: Rudi geht - Johnny Talker kommt

Der Springer-Verlag wechselt das Duo in der Chefetage des Massenblatts aus / Alte Chefredaktion war erst ein Jahr im Amt / 'Bunte'-Chefredakteur Tiedje wird Nachfolger / Verlagssprecher Heiner Bremer: Zurück zu den Sorgen des kleinen Mannes  ■  Von Manfred Kriener

Berlin (taz) - Gerade ein Jahr im Amt, wird bei der 'Bild' -Zeitung die Führungsriege ausgewechselt. Chefredakteur Werner Rudi (38) und Redaktionsdirektor Claus Jacobi (62) sollen gehen. 'Bunte'-Chefredakteur Hans-Hermann Tiedje (40) und Altmeister Horst Fust (58), zuletzt Berater des Springer -Imperiums, werden das Blatt künftig steuern. Sie sollen 'Bild‘ zurück zur alten Aggressivität und zu den „Sorgen und Nöten des kleinen Mannes“ führen, so Heiner Bremer, neuer Springer-Sprecher und früherer 'Stern'-Chefredakteur.

Gegenüber der taz erklärte sich Rudi am Montag zum „schlechtinformiertesten Mann im Hause“. Gefeuert? Er wisse von nichts. Bisher sei vom Springer-Verlag keine Kündigung gegen ihn ausgesprochen worden. Auch Kritik an seiner Arbeit sei bisher nicht gekommen. Rudi: „Daß hier etwas schief läuft, habe ich nicht gehört.“ Um so mehr sei er von seiner Ablösung überrascht worden, über die der 'Spiegel‘ jetzt berichtete. Rudi moniert, die Verlagsspitze hätte „zumindest mal ein Zeichen geben können“.

Die Auswechslung der Chefredaktion gilt als sicher. Nachfolger Tiedje hat bei der 'Bunten‘ bereits den Chefsessel geräumt. Er sei in Urlaub und werde danach eine neue Aufgabe übernehmen, beschied gestern sein Sekretariat.

Die Ablösung Rudis wird in der Zentralredaktion mit gemischten Gefühlen aufgenommen. Rudi gilt als „außergewöhnlich angenehmer Mensch“, der dafür gesorgt habe, daß der Ton in der Redaktion „stiller und friedlicher“ geworden sei. Mit Grausen erinnert sich die 'Bild'-Crew noch an die Zeiten der Chefredakteure Prinz und Boehnisch. Damals glich die Arbeit in der „mörderischen Fronmaschine“, begleitet von Schreierei, Gebrüll und brutalem Autoritätsgebahren, einer täglichen Tortur. Prinz hatte sich schon um sieben Uhr morgens die ersten Agenturmeldungen auf den Frühstückstisch legen lassen. Wenn er um neun Uhr in die Redaktion kam, stand er bereits „voll im Stoff“, hatte Agenturen und das eigene Blatt gelesen und die ersten Redakteure schon getriezt. Verglichen mit jenen Zeiten pflegte Chefredakteur Rudi ein mildes Regiment. Rudi zur taz: „Der autoritäre Stil ist nicht meine Art.“

War er vielleicht zu milde? Rudi, so heißt es im Hause, habe sich von Redaktionsdirektor Jacobi zuviel vom Löffel nehmen lassen. Abwesenheiten, unter anderem durch einen Vaterschaftsurlaub, hätten die Position Jacobis gestärkt, der schließlich zur bestimmenden Figur wurde. Rudis Marschrichtung, das 'Bild'-Vokabular nach zehn Jahren kaltem Krieg zu entstauben, die Themen Umwelt und Jugend zu stärken und das Blatt an die neue gesellschaftliche Situation anzupassen, sei bisher kaum spürbar gewesen, kritisieren Redakteure. Jacobi sei der eigentliche Chef. Auf ihn ist die Redaktion schlecht zu sprechen.

Jacobi gilt als redigierwütiger Umschreiber, der zuweilen keine Zeile stehen läßt. Er wird dafür verantwortlich gemacht, daß das Blatt wieder verstärkt mit Sex and Crime an den Kiosk geht. Vor allem die Bundesausgabe („kurz und blutig“) stecke, so die Kritik aus der Redaktion, voller monströser, ekliger Geschichten. Und noch nie seien die Fakten durch eine üppige Phantasie so stark angereichert worden. Schließlich: Jacobi habe das Blatt vollends entpolitisiert. Der Spott der Redaktion gilt vor allem Jacobis Devise der chronologischen Schreibe. Seitdem, so ein alter Hase, lesen sich bei 'Bild‘ viele Artikel wie Schüleraufsätze.

Die Verlagsspitze um Vorstandschef Tamm hat freilich andere Sorgen. Ihr geht es primär um die Auflage des Blatts und um die Disziplin in der Redaktion, die unter Rudis/Jacobis langer Leine gelitten habe. Die Auflage liegt gegenwärtig bei 4,4 Millionen Exemplaren. Das Chefduo konnte ein Absinken unter die Viermillionengrenze zwar vermeiden, doch hausintern wird dies nicht als Erfolg der beiden, sondern als Auswirkung des neuen Glücksspiels „Goldregen“ gewertet. Derartige Spiele haben für 'Bild‘ lebenswichtige Funktionen. Als „Bingo“ gerichtlich gestoppt wurde, sauste die Auflage dramatisch in den Keller. An Samstagen gingen erstmals weniger als vier Millionen Exemplare über die Kioske. Die höchste Auflage lag bei 5,4 Millionen. Ob das künftige Führungsduo Tiedje/Fust an diese Auflage herankommt, scheint fraglich. Fust („der einzig gebildete Mann im Hause“) war schon einmal - vor Rudis Amtsantritt - Chef bei 'Bild‘, Tiedje war damals einer von neun stellvertretenden Chefredakteuren. Zumindest Tiedje, hausintern wegen seines Redeschwalls „Johnny Talker“ genannt, gilt als politisch Rechter. Die Ankündigung von Heiner Bremer, daß es einen neuen Rechtsruck bei 'Bild‘ nicht geben werde, wird denn auch mit Skepsis betrachtet. Doch genauso skeptisch beurteilen Redaktionsmitglieder die 'Spiegel'-Version, wonach die Neuen ausschließlich eine Aufrüstung von rechts bedeuten, bei der zwei „liberale“ Chefs rausfliegen. Auch unter Rudi/Jacobi habe Friedhelm Ost ständig angerufen, auch unter Rudi/Jacobi habe man Kohl erst angeschossen, als ihn die „eigenen Kameraden“ fallenließen.