KULTVOLL SCHWEIGEN

■ Kultfilmspecial zu Ehren John Luries

Es paßt eigentlich gar nicht zum Lurieschen Understatement, auf einem John-Lurie-Special mit vier Filmen von und mit John Lurie selber zugegen zu sein. Luries Anwesenheit in The Big Heart,Stranger than Paradise,Subway Riders und Permanent Vacation allein ist beinahe erdrückend, obwohl oder gerade weil Permanent Vacation von Jim Jarmusch und Subway Riders von Amos Poe in erster Linie von Luries Abwesenheit leben.

In Jarmuschs Debutfilm erhascht die Kamera den langen Schlacks Lurie nur einmal, als er in irgendeinem ödvermüllten, sonnenüberfluteten New Yorker Hof zwischen abbruchreifen Häusern - na, was wohl - Saxophon spielt. Da steht der einsame Geheimnisvolle, der kommt, sein Saxophon aus dem Koffer packt und nicht bleibt, sondern die Tüte wieder verstaut und geht, und natürlich weiß niemand, wohin

-aber das ist für Jarmuschs Poem auf SO Manhattan auch nicht wichtig. Lange bevor man Lurie auf dem Hof sieht, hört man ihn. Vielleicht wußte Jarmusch schon 1980, als die „Lounge Lizards“ gerade ein Jahr hinter sich gebracht hatten, daß John Lurie einmal einer der soundsovielen weltberühmtesten Saxophonisten sein würde.

Ein Jahr später war Poes Film Subway Riders fertig. Lurie-Fans können sich glücklich schätzen, in den ganzen 120 Minuten das Gesicht des Stars für ein paar Sekunden zu erhaschen, und dann auch nur, wenn sie mächtig aufpassen. Denn nicht Lurie spielt den verrückten Saxophonisten, der nachts vor den New Yorker U-Bahnschächten die „subway riders“, die U-Bahnfahrer, mit schrillschrägem Saxophongekreisch anlockt, um sie dann mit der MP niederzuschießen. Luries Konterfei changiert mit dem Amos Poes, der in seinem neonblau beleuchteten Absteigezimmer die Bierdosen aus dem Kühlschrank holt, und verwischt durch die Erinnerungen Claires (Susan Tyrell), die einst von einem Saxophonspieler mit ihrem Kind sitzengelassen wurde und nun wie unter Druck den dosenbiertrinkenden, menschenmordenden Saxophonisten aufsucht.

Jarmuschs erster Kinoschlager, Stranger than Paradise, lebt durch Lurie, weil der nichts anderes tut, als sich selber zu spielen, auch wenn er einmal nicht ins Saxophon bläst, nicht in einem gepflegten Loft wohnt, sondern mit seinem Staubsauger in einer Winzwohnung hausen muß und sich im echten Lurie-Leben bestimmt nicht wie „Willie“ ausschließlich von TV-Dinner ernährt. Daß Lurie Lurie mimt, verwundert nicht, betont Lurie doch, daß die Hälfte des paradiesischen Drehbuchs Lurie gechrieben hat.

Daß die drei Filme (unter anderem) in New York spielen, zwei von Jarmusch sind und zwei Lurie verstecken, ordnet sie noch nicht zwangsläufig zu einer Filmreihe. Inhaltlich scheinen sie auf den ersten Blick recht wenig miteinander zu tun zu haben. Es ist vielmehr ihre treffsichere Art, alle Bedingungen zu erfüllen, die nötig waren, um aus den Streifen Kultfilme der New-Wave-Generation zu machen. Nicht nur wird Junk-Food gegessen, Dosenbier getrunken und TV geschaut, stundenlang schweigend Auto gefahren, Saxophon geblasen und trocken „yeah“ gesagt, hält die Kamera nicht nur im Stillstand jede minimalistische Bewegung fest, sind die Dialoge auf das Nötigste reduziert und stammen die Soundtracks aus Luries Einfallskiste. Das A und O ist die Kommunikation der Nichtkommunikation. Nicht Worte entscheiden, nicht einmal Blicke, allein die Anwesenheit des anderen bestimmt, was passiert. Wenn denn was passiert. Die meiste Zeit warten diese Antihelden darauf, daß etwas geschieht, und die Zuschauer warten und warten mit. Und passiert tatsächlich einmal etwas, liegt es an der gescheiterten Kommunikation. Miteinander aneinander vorbei. Im einzig intimen Moment zwischen Claire und dem Saxophonisten monologisiert sie über ihre Vergangenheit und kann sich noch nicht einmal sicher sein, daß ihr zugehört wird. Sie rettet den Saxophonisten auch nicht etwa, weil sie jemals vorher einen Kuß ausgetauscht hätten. Asexuelle Gefühlsneurosen ziehen sich wie ein roter Faden durch die Geschichten.

Claudia Wahjudi

„Permanent Vacation“ (Jim Jarmusch, USA 1980, OmU, 77 Min.); „Subway Riders“ (Amos Poe, USA 1981, OmU, 120 Min.); „Stranger than paradise“ (Jim Jarmusch, USA 1984, OmU, 85 Min.); „The Big Heart“ (John Lurie, USA 1986, 9 Min., Video) und John Lurie selbst, so Gott und Concert Concept will, am 27. Mai ab 16 Uhr im Arsenal.