Plädoyer für den schnellen Berlin-Film

■ Ein paar Vorschläge zur Beschleunigung der viel zu zähen Debatte über die Einführung der kulturellen Filmförderung in Berlin

Im Koalitionspapier hat die neue Berliner Kultursenatorin Anke Martiny kulturelle Filmförderung in Höhe von zwei Millionen versprochen, zusätzlich zur bereits existierenden wirtschaftlichen Filmförderung. Setidem sind Berlins Filmemacher nur noch am Organisieren. Sie gründen fleißig Vereine, veranstalten Arbeitsgruppentreffen und machen Modellvorschläge. Es existieren Papiere vom Verband der Filmarbeiterinnen, dem Verein unabhängiger Kinos, der BAF, dem Filmhaus e. V., der AG Dok, Clara Burckner vom Basis -Filmverleih und noch einigen anderen. Das Ergebnis: Keiner blickt mehr durch.

Immerhin hat man sich inzwischen auf eine Diskussionsgrundlage geeinigt. Aber selbst dieses Modell für eine in Selbstverwaltung organisierte Filmförderung nebst Sitzungsprotokoll, in dem die Details ausgebreitet werden, besteht noch aus zwölf engbeschriebenen Seiten. Aus denen läßt sich ersehen, daß die Filmemacher zusätzlich auf die im Haushalt für die wirtschaftliche Filmförderung bereits eingeplanten zwei bis drei Millionen für den Low-Budget -Bereich spekulieren: macht zusammen fünf Millionen DM. Diese fünf Millionen sollen aufgeteilt werden für 1. Direkte Filmförderung und Projektvorbereitung, 2. Verleih- und Vertriebsförderung und 3. Abspielförderung; unter anderem soll ein Preis für herausragende Jahresprogramme an Berliner Kinos vergeben werden.

Bei der direkten Filmförderung soll es Geld geben für: 1. „kurze oder innovative Filme und Videoprojekte“, die sogenannten No-Budget-Filme (bis 30.000 DM ohne Eigenanteil, bis 150.000 DM mit Eigenbeteiligung); 2. für abendfüllende Filme und Videos, die sogenannten Low-Budget-Filme: maximal 450.000 DM für Produktionen, die insgesamt höchstens 1,5 Millionen kosten dürfen. Eine Mischfinanzierung ist möglich. Auf die genaue Verteilung der Gelder für die einzelnen Posten konnte man sich jedoch bis jetzt nicht einigen. Clara Burckner von Basis-Film will natürlich mehr für die Verleihförderung, die Filmemacher wollen mehr für die Produktionsförderung. Auch die Klausel über die Eigenbeteiligung bei den No-Budget-Filmen ist noch umstritten. Ob das letzte Treffen des Plenums der Berliner Filmschaffenden am Mittwochabend ein von der Mehrheit bestätigtes Konzept ergeben hat, stand bis Redaktionsschluß noch nicht fest.

Ganz abgesehen davon, daß dieses Konzept dann erst einmal dem Filmbeauftragten der Kultursenatorin vorgelegt werden muß, der die Diskussion der Filmemacher bisher aufmerksam und wohlwollend verfolgt, aber es von sich aus offenbar nicht eilig hat.Da der Nachtragshaushalt für '89 Ende Juni abgeschlossen ist, müssen sich die Filmemacher schon sehr beeilen, wenn sie dieses Jahr noch Geld sehen wollen. Es wird also wohl 1990 werden.

Einig war man sich beim letzten Plenum vor zwei Wochen nur darüber, daß nicht der Filmbeauftragte des Kultursenats, Herr Eisenhauer, über die Vergabe der Gelder entscheiden soll, sondern ein selbstverwaltetes Filmemachergremium. Ein Trägerverein bestellt ein für je ein Jahr gewähltes Triumvirat, bestehend aus zwei Filmemachern und einem Vertreter des kulturellen Lebens (oder umgekehrt). Dieses Triumvirat darf dann nach den vorher festgelegten, höchst komplizierten Verteilerschlüsseln die Gelder vergeben. Kein Wunder also, daß sich die Geister am meisten bei der Frage scheiden, wer in den Trägerverein darf. Bisher hat man sich auf die sibyllinische Formel geeinigt, daß „Berliner FilmemacherInnen, VideomacherInnen und DrehbuchautorInnen, die kulturelle Filmarbeit im Sinne dieses Modells leisten“ Mitglieder sind. Und daß „ProduzentInnen, VerleiherInnen, KinomacherInnen, wenn sie kulturelle Filmarbeit im Sinne dieses Modells leisten, durch Beschluß der Mitgliederversammlung bzw. des Vorstands“ Mitglied werden können. Die Autoren sollen also Vorrang haben vor denen, die mit Filmen Geschäfte machen. Aber was genau „kulturelle Filmarbeit im Sinne dieses Modells“ heißt, bleibt offen: denn im Modell sind lediglich finanzielle Rahmen abgesteckt. Über Ästhetik, Genres, Filmstoffe und -themen, über die Kultur also, findet sich in den Papieren kein Wort. Das ist zwar gut so, aber die Gleichsetzung von Kultur und Billigprodukt nährt umgekehrt das alte Vorurteil, daß Filme, die kein Geld einspielen, künstlerisch wertvoll sind und daß Kinohits niemals Kunst sind, sondern Schund. Einer wie Stanley Kubrick (nehmen wir mal an, er sei Berliner) hätte also kein Wort mitzureden, einer wie Rudolf Thome dafür umsomehr. Und wie die Filmkünstler nun die Trennungslinie zwischen den Kassenschlagern Otto und Männer (Doris Dörrie) ziehen wollen, bleibt ebenfalls ihr Geheimnis.

Erstaunlich an diesem Konzept ist aber vor allem die Tatsache, daß der bereits existierenden wirtschaftlichen Berliner Filmförderung kein Haar gekrümmt wird. Lediglich der Posten für Low-Budget-Filme - bisher mit zwei bis drei Millionen veranschlagt - soll der kulturellen Filmförderung zugeschlagen werden. Insgesamt verfügt der Filmbeauftragte der Stadt Berlin aber über ungefähr 20 Millionen DM, die an Internationale Fernseh- und Videofilme (ca. 5 Millionen), an programmfüllende Kinofilme (bis zu 30% der Herstellungskosten, max. 2 Millionen für einen Film), an Low -Budget-Filme (bis zu 70 % der Kosten, max. 400.000 DM) und für Verleih und Vertrieb vergeben werden. Die Anträge werden von den Produzenten gestellt, die Kredit-Gelder werden von einer Bank, der Filmkredittreuhand GmbH verwaltet. Wieso eigentlich interessiert sich niemand für diese 20 Millionen und wieso bescheidet man sich mit zusätzlichen zwei Millionen, die zwar versprochen, aber noch lange nicht genehmigt sind? Und warum geht man davon aus, daß nur Low -Budget-Filme, Filme, die höchstens 1,5 Millionen DM kosten, kulturelle Filmförderung verdient haben?

Vom Kultursenat ist jedenfalls ein der Hamburger Filmförderung vergleichbares Modell ausdrücklich erwünscht. Die Hamburger haben 15,5 Millionen zur Verfügung, davon gehen 6,25 Millionen an den der Wirtschaftsförderung vergleichbaren Filmfonds, 6,25 Millionen werden vom Hamburger Filmbüro für die kulturelle Filmförderung verteilt, der Rest ist für den Vertrieb, für Filmfeste und strukturfördernde Maßnahmen. (Die Zahlen sind von 1988, 1990 sollen für die kulturelle Filmförderung mehr als sieben Millionen zur Verfügung stehen).

Alexander von Eschwege, der die Hamburger Filmförderung mitgegründet hat und jahrelang im Vorstand war, schlägt für Berlin Ähnliches vor. Kein neues Modell sei nötig, sondern lediglich die Umwandlung der alten wirtschaftlichen Filmförderung. Erstens müsse die Förderung von Fernsehfilmen komplett gestrichen werden, denn es sei nur peinlich, daß der Staat Fernsehprogramme fördere. Zweitens muß die Low -Budget-Förderung für Filme von maximal 400.000 auf 800.000 DM erhöht werden. Drittens dürfen nicht mehr die Produzenten den Antrag stellen, sondern die Filmemacher und Drehbuchautoren, die sich ihrerseits einen Produzenten suchen müssen, der die Kosten zu einem Drittel selbst trägt. Was kein großes Problem sein dürfte, denn die Filmemacher kommen ja nicht mit leeren Händen, sondern mit bereits genehmigten Fördergeldern ins Geschäft. Auch der Passus, demzufolge der Kredit erfolgsabhängig zurückzuzahlen ist, muß gestrichen werden. Denn der „Berlin-Effekt“ ist so oder so gewährleistet: Wer in Berlin einen Film dreht, gibt in Berlin auch Geld aus, für Kamera, Schauspieler, Kopierwerk etc.

Für die Entscheidung über die Vergabe der Gelder schlägt von Eschwege ein Gremium vor, das der Filmbeauftragte installiert, bestehend etwa aus zwei Drehbuchautoren, die die Berliner Drehbuchwerkstatt benennt, zwei Filmemachern, die eine Institution wie die Akademie der Künste berufen könnte, und zwei Produzenten, gewählt vom Berliner Produzentenverband. Der Vorteil dieses Gremiums: es ließe sich noch heute einrichten, Vereinsgründungen würden sich erübrigen. Zweitens hätten die Autoren gegenüber den Produzenten von vornherein die Mehrheit. Bei Stimmengleichheit entscheidet der Filmbeauftragte.

Die Hamburger Filmförderung unterscheidet nicht zwischen No - und Low-Budget, es gibt auch keine Begrenzung der Herstellungskonsten. Unterschieden wird lediglich zwischen Filmen, die kürzer sind als 60 Minuten, diese werden mit höchstens 100.000 DM gefördert, und längeren Filmen, für die es höchstens 500.000 DM gibt. Das hamburger Modell versteht sich explizit als Anteilsfinanzierung, jeder Filmemacher kann selbstverständlich auch wirtschaftliche Filmförderung in Anspruch nehmen. Außerdem gibt es neben dem dreiköpfigen Auswahlgremium, bestehend aus Filmexperten, Regisseuren etc. ein zweites „Berufungs„-Gremium, bestehend aus Filmlaien, an das ein abgelehnter Bewerber sich erneut wenden kann. Das jedoch hat sich, so von Eschwege, wenig bewährt. Denn das Nicht-Filmemacher-Gremium fördert in der Regel den Mainstream, das, was es eh schon kennt, und ist wenig experimentierfreudig.

Von Eschweges Vorschlag hätte jedenfalls Vorteile: Anke Martiny braucht keinen neuen Etatposten durchzuboxen. Die Eigenbeteiligung der Produzenten und die im Vergleich zu Hamburg hohen Fördersummen würde die Suche nach Co -Produzenten weitgehend überflüssig machen, die in der Regel Zeit braucht. „Mit jeder Million mehr dauert's ein Jahr länger“, meint von Eschwege. Mit der Folge, daß die Filme, die jetzt gedreht werden, vielleicht schon vor vier Jahren ausgedacht wurden. Mut würde belohnt, „der freche, zeitkritische Film aus dem Bauch der Gesellschaft und nicht der aus der Mischung von Kontor und Amtsstube“. Berlin-Filme wären Filme, bei denen „nicht dauernd Leute reinquatschen“, Filme, die das Risiko wagen und auch mal total mißlingen können: „Im Februar gedacht, im Mai gemacht, im Oktober in den Kinos“. Die bei unabhängigen Filmemachern übliche und im Modellvorschlag des Filmemacher-Plenums ja auch ausdrücklich vorgesehene Mischfinanzierung verhindert wegen der zeitraubenden Antragstellerei diesen schnellen Berlin-Film fast schon systematisch.

Mit der dümmlichem Unterscheidung zwischen Filmen, die sich wirtschaftlich rentieren, und solchen, die Kultur sind, sollte jedenfalls sofort Schluß gemacht werden.

Christiane Peitz