Deutsch-französischer Wortewechsel

■ Im Pariser „Salon du livre“ ging es um Literatur aus der Bundesrepublik

Derart einzigartig erschien das Kulturereignis, daß gar die Außenminister den Anlaß feierten. Eine Buchmesse sollte es sein, ganz auf Deutsch-Französisch. Zeit dafür, die offizielle Seite rheinischer Beziehungen in den Hintergrund treten zu lassen, Zeit zum Duzen zwischen „Hans-Dietrich“ und „Roland“ bei der Messeeröffnung auf der Achse Paris -Bonn.

Erstmals waren die bundesdeutschen Verlage in großer Zahl zum Pariser „Salon du livre“ gekommen, der bis zum 25.Mai geöffnet war. Im Herbst soll dann - im Austausch „Frankreich“ das große Thema der Frankfurter Buchmesse sein. Und schon in Paris wollten alle dabei sein, nicht nur die Außenminister.

Selten veranstalteten die Pariser Medien einen derartigen Rummel um Kultur-Deutschland. Als ob ihnen der Rummel um sich selbst - zur Revolutionsfeier - nun doch zu viel würde. Da geschah das schier Unglaubliche: Lothar Baier, vielgeliebter Frankreich-Essayist der bundesdeutschen Linken und gelegentlich auch taz-Autor, geriet - obwohl in Frankreich bisher nie wahrgenommen - binnen kurzem zum frankophilen Schriftsteller-Star an der Seine, dem nun selbst die eingefleischten französischen Pazifisten- und Grünen-Hasser Gutes abgewinnen. Immerhin hatte Baier in seiner zur Buchmesse übersetzten Firma Frankreich (Wagenbach-Verlag, Berlin 1988) nicht gerade ein Blatt vor den Mund genommen und seiner „Enttäuschung“, wie es nun in Paris heißt, gerade über die linken Pariser Medienmacher freien Lauf gelassen.

Daß sogar die für die breite Volksbildung zuständige TV -Literatur-Show Ex libris nicht mehr davor zurüchschreckte, Lothar Baier die Ehre zu erweisen, zeugt freilich nicht von einem - etwa im Zusammenhang mit grünen Wahlerfolgen - neuen Verständnis des Pariser Zeitgeistes für alternativdeutsche Kritik und Phantasie. Die Dinge liegen einfacher: Außer Lothar Baier nichts gewesen! Wer sonst unter seinen deutschen Kollegen spricht ein ähnlich präsentables Französisch? Wer sonst hat gar für die Franzosen in ihrer Sprache geschrieben (Un allemand ne de la derniere guerre, Calman-Levy, Paris 1989)?

Drum zeigte sich schon bald nach der Messeeröffnung in Paris, nachdem die Außenminister gegangen und das Medientamtam verklungen war, wie es um die deutsch -französische Literatenfreundschaft wirklich bestellt ist. Fernab des Kundenlärms blieben die bundesdeutschen Verlagsstände in Paris leer. Und die Podiumsdiskussion mit den wenigen aus der Bundesrepublik angereisten SchriftstellerInnen litt - trotz zahlreicher Vorankündigungen - unter peinlichem Besuchermangel.

Wahre Worte übers Geschäft gibt es da nicht von der Künstler-, sondern eher von Managerseite. Helmut von der Lahr, Pressesprecher vom Börsenverein des deutschen Buchhandels, ist ohne Illusionen über den Rhein gekommen: „Der Literaturhandel zwischen unseren beiden Ländern hat ein erbärmlich niedriges Niveau. Die französischen Preisträger kommen bei uns zwei bis drei Jahre später auf den Markt.“ Der Grund dafür? Diesmal spricht der Euro-Manager weder von Zöllen, Steuernachteilen oder sonstigen Unternehmerhürden, deren Beiseiteräumen für das Jahr 1993 das angebliche neue Wachstum verspricht. Nein, Helmut von der Lahr konstatiert kühl: „Unsere politische Weltgewandheit verträgt sich nicht mit der französischen Innerlichkeit.“

Das mag aus bundesdeutscher Sicht etwas überheblich klingen - ist es auch! - doch zugegeben: die Zeiten Sartres, als Polemik, Denunziation und Kritik zum guten Benehmen von Intellektuellen und SchriftstellerInnen gehörten, sind in Frankreich längst vorbei. Das mindert das Interesse der Deutschen. Andersrum haben dominierende Literaturthemen in der Bundesrepublik (Frauen, Ökologie, Tschernobyl etc.) gerade in Frankreich schlechte Konjunktur.

Noch einmal von der Lahr: „Der Kommunikationsstand zwischen den Verlegern ist elend.“ Und noch eine vielsagende Zahl: 80 Prozent aller Recht- und Lizenzverträge im internationalen Buchhandel haben zumindest auf der einen Seite einen angelsächsischen Vertragspartner. Mehr ist nicht nötig, um einzusehen, wie schlecht das deutsche Wort im französischen Sprachraum im Geschäft liegt, und umgekehrt das französische Wort im deutschen Sprachraum.

Zur Verschleierung solcher, die deutsch-französische Völkerfreundschaft bloßstellenden Tatsachen hatten die Messeveranstalter in Paris eine kleine, aber feine Ausstellung aus dem Marbacher Literaturarchiv aufgebaut. „O Freiheit! Silberton dem Ohre...“ - mit den Verszeilen des deutschen Revolutionsliebhabers Friedrich Gottlieb Klopstock und etlichem mehr wurde dort die Anteilnahme deutscher Dichter und Denker an den französischen Ereignissen vor 200 Jahren gewürdigt. „Da hängt ja der Text der Marseillaise“ auf Deutsch! - freute sich eine französische Schülerin. Für solche Freude im deutsch-französischen Kulturhandel gibt es sonst jedoch wenig Anlaß.

Georg Blume