Rauchende Schlote im Großherzogtum

Die Luxemburger Umweltbewegung entstand im Widerstand gegen ein AKW, das die deutsche RWE bauen wollte / Das kleine Land gilt als Steuerparadies für ausländisches Kapital und Know-how / Eine niedrige Arbeitslosenrate (2,2 Prozent) und eine stark verschmutzte Luft sind Ergebnis davon / Die Gegenwehr hat begonnen  ■  Von U.Kassnitz & A.Czysz

Luxemburg, mit 360.000 Einwohnern das kleinste EG-Land, besitzt eine lange Tradition industriebedingter Umweltbelastungen. Bereits Mitte des letzten Jahrhunderts wurden umfangreiche Eisenerzvorkommen auf Luxemburger Boden entdeckt und führten zum Aufbau einer im Vergleich zur Größe des Landes völlig überdimensionierten Schwerindustrie. Abhängig wurde das Großherzogtum dadurch nicht nur von der Stahlkonjunktur, sondern auch von einem Konzern: der Arbed S.A., bis heute größter Arbeitgeber des Landes, der jahrzehntelang über Produktionsanlagen mit der Freiheit eines absolutistischen Herrschers verfügen konnte; Umweltauflagen waren unbekannt.

Die Stahlkrise der 70er und 80er Jahre traf das Land besonders hart und führte zu einer radikalen Umorientierung in der Wirtschaftspolitik. Luxemburg versuchte, die Vorteile zu nutzen, die ihm seine Souveränität bot: niedrige Steuersätze und eine bestimmten Wirtschaftszweigen auf den Leib geschneiderte Gesetzgebung sollten ausländische Firmen ins Land locken. Aus dem Industriestaat wurde ein Steuerparadies.

Um ausländisches Kapital und Know-how wirbt Luxemburg bis heute mit einer an den Bedürfnissen und Wünschen der Unternehmen orientierten Wirtschaftspolitik. Seine in der Europäischen Gemeinschaft einmalig niedrige Arbeitslosenrate von 2,2 Prozent hat sich das Land mit starken Abstrichen beim Umwelt- und Verbraucherschutz erkauft.

Die Geschichte des Widerstandes der Luxemburger gegen die Zerstörung ihrer Umwelt beginnt aber nicht mit einer Auflehnung gegen die Umweltverschmutzung durch die Stahlindustrie. Die erste Luxemburger Bürgerinitiative als Bewegung einer außerparlamentarischen Opposition richtete sich gegen ein Atomkraftwerk, das die Luxemburger Regierung in der Moselgemeinde Remerschen, zehn Kilometer von Cattenom entfernt, plante. Die Bürgerinitiative „Museldall“, die Gründung des „Instituts für Lebens- und Umweltschutz“ in Remich und schließlich die Entstehung des „Mouvement Ecologique“ sind die Etappen auf dem Weg zum Widerstand. Gegen die „klassischen“ industriellen Verschmutzer Stahl und Chemie kämpft daneben auch die zahlenmäßig starke Luxemburger Greenpeace-Gruppe. Die erst 1984 gegründeten Luxemburger „Grünen“ nehmen dagegen am politischen Leben bis heute nur „am Rande“ teil.

Ganz im Trend des Prinzips „Standortvorteile gegen Kapital und Know-how“ handelte die konservative Regierung Pierre Werner (Christlich-Sozialer Verein, CSV), als sie 1973 den Bau eines Atomkraftwerks nahe der Moselgemeinde Remerschen mit der bundesdeutschen Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätsgesellschaft (RWE) vereinbarte.

Gegen diese Art des Umgangs mit Lebensraum der Luxemburger erwartete die Regierung Werner wie auch die 1974 gewählte sozialistische Regierung keinen nennenswerten Widerstand von einer Bevölkerung, für die ökologische Bewegungen im Ausland zu jener Zeit suspekte Spinnereien waren.

Außerparlamentarische Opposition stoppt AKW

Um so unerwarteter kam für die AKW-Befürworter dann die Gründung der Bürgerinitiative Museldall, als erste Luxemburger Bürgerinitiative ausgerechnet durch die Landespräsidentin des CSV, Elisabeth Kox-Risch, am 19.November 1973. Erklärtes Ziel der Bürgerinitiative war es, den Bau des Atomkraftwerks Remerschen durch eine Bewegung der außerparlamentarischen Opposition zu verhindern.

Der Widerstand gegen das Atomkraftwerk wuchs schnell. Unabhängige Gutachten deckten Sicherheitslücken in der deutschen Kraftwerkskonzeption auf, die Dachvereinigung der luxemburgischen Naturschutzverbände Natura mobilisierte nach Aussagen ihres Präsidenten Schmitt 50.000 Luxemburger für die Anti-Remerschen-Bewegung. Der Gemeinderat von Remerschen stoppte alle für die weiteren Planungsarbeiten nötigen Bohrungen, die auf Gemeindegrundstücken vorgenommen werden sollten. 1977 veröffentlichte die Bürgerinitiative Museldall ein Weißbuch Remerschen und verkaufte in weniger als zwei Wochen alle 2.500 gedruckten Exemplare. Am 30.Mai 1976 wurde schließlich das Nationale Aktionskomitee für ein Moratorium (CNAM) mit dem Ziel gegründet, ein fünfjähriges Moratorium für das Atomreaktorprojekt Remerschen durchzusetzen.

Der massive öffentliche Druck auf die Luxemburger Regierung, die mittlerweile durch die Luxemburger Sozialistische Arbeiterpartei (LSAP) gebildet wurde, brachte Ende 1976 das vorläufige Aus für Remerschen: Die LSAP beschloß auf ihrem Energiekongreß ein mehrjähriges Moratorium. Für LSAP- wie für CSV-geführte Regierungen ist das Projekt Remerschen seitdem zum Tabuthema geworden, über das jegliche öffentliche Diskussion vermieden wird.

Die Anti-Atomkraft-Bewegung war im Kampf um Remerschen gewachsen und hatte mit dem Moratorium einen ersten Erfolg erreicht. Am geplanten Bau des Atomkraftwerks Cattenom, auf französischer Seite und nur acht Kilometer von der Luxemburger Grenze entfernt, hatte sich deshalb nichts geändert.

Da die Regierung Pierre Werner die französische Seite im Jahre 1973 anläßlich der Vereinbarung mit der RWE über den Reaktorbau in Remerschen weder informiert noch konsultiert hatte, fiel es der französischen Regierung leicht, Luxemburg seinerseits über die Cattenom-Pläne im Dunkeln zu lassen. Später präsentierte Frankreich Cattenom sogar als „Gegenschlag“ gegen die Luxemburger AKW-Politik. Erst als sich, lange nachdem das Projekt Remerschen gescheitert war, am 26.Januar 1980 eine nationale Aktionsfront gegen den Bau der Atomzentrale in Cattenom bildete, waren auch viele Politiker aus den etablierten luxemburgischen Parteien dabei.

Mit der Gründung des Instituts für Lebens- und Umweltschutz (IILU) am 14.November 1982 in Remisch/Luxemburg sollte für die Luxemburger Anti-Atomkraft-Bewegung eine Basis geschaffen werden, die eine internationale Zusammenarbeit ermöglichen konnte. Präsidentin des IILU ist seit seiner Gründung Elisabeth Kox-Risch. Schwerpunkt der Arbeit des Instituts sollte der „Kampf gegen die Atomkraftwerke in Cattenom“ sein.

Wichtige Aktionen des Instituts im Widerstand gegen Cattenom waren die Veröffentlichungen eines geheimen Berichts des Betreibers „Electricite de France“ (EdF) über das Atomkraftwerk Cattenom. Man sei sich bewußt, betonte das Institut, daß diese Aktion eine illegale Handlung darstelle, betrachte aber das Zurückhalten dieser für die Bevölkerung lebenswichtigen Informationen als den wesentlich größeren kriminellen Akt und sehe sich deshalb zum zivilen Ungehorsam verpflichtet. In dem EdF-Bericht wird auf sechs wichtige sicherheitstechnische Mängel der Cattenom-Anlage hingewiesen.

Gewerkschaft für den Schutz von Natur und Umwelt

Zusammen mit der Regierung des Saarlands und anderen betroffenen Gemeinden und Bürgern klagte das Institut 1988 mit Erfolg vor dem Verwaltungsgericht Straßburg gegen die französische Regierung: Die französische Betriebsgenehmigung sei nicht rechtmäßig zustande gekommen, urteilte das Gericht.

Im Dezember 1968 gründeten eine Handvoll Jugendliche die damalige „Association de la Jeunesse Luxembourgoise pour l'Etude et la Conservation de la Nature“ (AJLECN). Aus ihr entstand später die Jugendvereinigung „Jeunes et Environnement“, aus der schließlich 1981 das Mouvement Ecologique (ME), die luxemburgische Schwesterorganisation des BUND, hervorging.

Zunächst entstand das Mouvement Ecologique aus dem Bedürfnis, den Widerstand gegen die verschiedenen Atomkraftprojekte, die in der Region geplant waren, zu sammeln. Inzwischen versteht sich das ME als eine „parteipolitisch unabhängige Umweltschutzgewerkschaft, die sich in Luxemburg und in Europa für den Schutz von Natur und Umwelt einsetzt“. Die Bewegung hatte 1988 etwa 300 Mitglieder. Politischen Mandatsträgern gleich welcher Couleur ist es verboten, Mitglied in einem ME -Entscheidungsgremium zu sein.

„Hilfe zur Selbsthilfe“ bietet das ökologische Zentrum des ME in Pfaffenthal für Interessierte, die im Bereich Umwelt und Naturschutz aktiv werden wollen. Im Zentrum befindet sich die Umweltberatungsstelle und das Sekretariat des „Öko -Fonds“, einer im Februar 1983 gegründeten Stiftung des ME. Mit 12.000 Mitgliedern im Jahre 1988 ist die 1920 von Stahlarbeitern gegründete Luxemburger Natur- und Vogelschutzliga (LNVL) die größte Umweltschutzvereinigung des Landes. Die LNVL hat 30 lokale Sektionen, die den größten Teil des Landes abdecken.

1982 gründete die LNVL die Stiftung „Hellef fir d'Natur“, die sich zur nationalen Stiftung für Naturschutzgebiete herausbildete und wirksame Techniken zum Schutz vor Grundstücksspekulationen entwickelte: Die Stiftung kauft bedrohte Gebiete auf. Kleine Parzellen werden in einem größeren Gebiet erworben, damit das Land ringsherum für Käufer uninteressant wird.

Spektakuläre Aktionen sind für Greenpeace Luxemburg das richtige Mittel im Kampf für die Umwelt. Bei ihrer Arbeit findet die Organisation Resonanz in der Bevölkerung: Greenpeace Luxemburg zählte 1988 rund 4.000 Mitglieder, 100.000 Luxemburger spendeten Geld.

Hauptadressat von Greenpeace-Kampagnen war lange Zeit die Arbed S.A., fünftgrößter Stahlproduzent der Europäischen Gemeinschaft und mit 8.000 Arbeitsplätzen größter industrieller Arbeitgeber Luxemburgs mit entsprechender Lobby und Bedeutung für die Politik des Landes.

Trotz hochsubventionierter Arbed-Investitionen in die Modernisierung der Produktionsanlagen wurde für den Umweltschutz nur wenig getan. Die meisten Arbed -Betriebsgenehmigungen erfolgten ohne Umweltauflagen. Bis heute gibt es bei Arbed noch kein Inventar der Installationen, das die Emissionen quantitativ und qualitativ erfassen würde.

Das Unternehmen verursacht 50 Prozent der Luxemburger Schwefeldioxid-Emissionen, ist der zweitgrößte Emissionsverursacher von Stickoxiden und hat einen hohen Ausstoß an Schwermetallstäuben. Nach Ansicht von Greenpeace wären eine Rauchgasentschwefelung zur Reduzierung der Schwefeldioxid-Emissionen um 90 Prozent sowie Entstickungsanlagen und Anlagen zur Sekundärentstaubung unbedingt nötige Sofortmaßnahmen.

Am 6.November 1987 blockierte Greenpeace im Stahlwerk Belval die Schleusen eines Rückhaltebeckens für Kühlwasser aus den Hochöfen. Am 26.Juli 1988 befestigten Greenpeace -Aktivisten ebenfalls im Stahlwerk Belval zwischen zwei Schloten in 80 Metern Höhe ein 100 Quadratmeter großes Transparent mit der Aufschrift: „Stop Air Pollution“. Drei Tage später hieß es dann über dem Haupteingang des Arbed -Verwaltungsgebäudes: „Der Wald schreit, Arbed schweigt.“

Auch Chemie-Multi DuPont, mit 1.300 Arbeitsplätzen der drittgrößte Arbeitgeber des Landes, wußte den „Standort -Vorteil“ Luxemburgs zu nutzen. Das Unternehmen nahm 1988 eine Anlage zur Herstellung von Kunststoffen in Betrieb. Obwohl 99 Prozent des bei der Herstellung als Lösungsmittel eingesetzten FCKW wiedergewonnen werden, gehen stündlich etwa 110 Kilogramm in die Atmosphäre. Nach Angaben von Greenpeace besitzt Luxemburg damit die größte „Single -emission„-Quelle der Welt.

Die Grünen führen Schattendasein

Die Grünen, als 1984 gegründeter Zusammenschluß ökologischer und alternativer Bewegungen, haben es bis heute schwer, in Luxemburg Tritt zu fassen. Die Partei hat zwar gute Kontakte nach Trier und ins Saarland, im eigenen Land bestehen aber von seiten der ökologischen Basisorganisationen große Berührungsängste. Bei den luxemburgischen Parlamentswahlen von 1984 kandidierten die Grünen in zwei Bezirken und erhielten 6,5 Prozent der Stimmen. Trotz des relativen Wahlerfolgs gab es schnell erste innerparteiliche Querelen: Einer der beiden grünen Mandatsträger verließ wenige Monate nach der Wahl die Partei, blieb aber als unabhängiger Abgeordneter im Parlament. Er präsentierte bei den Gemeindewahlen 1987 eine eigene, an rein ökologischen Forderungen orientierte Liste. Die Grünen stellen in den fünf großen Gemeinden Luxemburgs je einen Abgeordneten.

Luxemburg kennt wie wohl alle westeuropäischen Länder den „klassischen“, vermeintlich schwer zu lösenden Konflikt zwischen dem Erfordernis, Arbeitsplätze zu erhalten, und der Notwendigkeit, strengere Umweltauflagen durchzusetzen. Jede Regierung scheint dabei ihre „Tabu-Industrien“ zu kennen, in Luxemburg ist das ein so traditionsreiches, die Geschichte der Industrialisierung verkörperndes Unternehmen wie die Arbed. Arbeitsplätze und Steuern aus diesem Sektor prägten Luxemburg für ein Jahrhundert. Dies ist aber nur die eine Seite - die andere zeigt eine lebendige, durchsetzungsfähige Basisbewegung. Da „jeder jeden kennt“, kann sich die staatliche Verwaltung schlecht hinter allerlei Formalien verschanzen, um Projekte durch „Schubladisieren“ zunichte zu machen. Die Kehrseite der Medaille heißt jedoch Vereinnahmung. Beide großen Basisbewegungen sind sich dieser Gratwanderung zwischen Angewiesensein auf staatliche Gelder und unabhängiger Planung und Durchführung von Umweltvorhaben bewußt und haben sich dafür gewappnet.

Die Angst vor dem Binnenmarkt 1992, vor dem Umweltschutz mit dem kleinsten gemeinsamen Nenner, geht in allen Umweltschutzorganisationen um. Gerade die Erfahrungen der Luxemburger Umweltschutzverbände mit ihrer engen Kooperation mit Organisationen der Nachbarländer zeigen, daß eine europäische Allianz für den Umweltschutz im Europa des Binnenmarkts erfolgreich arbeiten könnte. Die Suche nach vernetzten und damit wirksameren Strukturen der Gegenwehr hat in Luxemburg begonnen.

Dieser und andere Beiträge unserer Serie erscheinen auch als Buch unter dem Titel „Natürlich Europa, 1992 - Chancen für die Natur“, Volksblatt-Verlag Köln, 24,80 DM