Im Kino:

■ Ein Schrei in der Dunkelheit

Ich hatte sie mehr engelsgleich in Erinnerung. „Ein Schrei in der Dunkelheit“ aber macht aus Blondschopf Meryl Streep mit ein paar unadrett merkwürdigen Requisiten die potentielle Kindsmörderin: die haarsträubende schwarze Perücke, die schrullige Vorliebe für peinliche Provinz-Ei -Kombinationen aus geblümten Rüschenkleidern und billigen Turnschuhen, der predigende Gatte, der die vermeintlich unchristlichen Tabakwaren der Gemeinde gern in kleinen Holzsärgen einsammelt. Meryl Streep schauspielert also längst wieder jenseits von Starafrika. Sie macht nicht einfach einen aufwendigen Kinofilm (350 Sprechrollen, 400 Statisten), sie hat ein Anliegen.

„Ein Schrei in der Dunkelheit“ verfilmt den tatsächlichen Justizirrwitz um Lindy Chamberlain, eine australische Hausfrau und Mutter, die Anfang der 80er des Mordes an ihrer Tochter Azaria beschuldigt wurde. Baby Azaria verschwindet nächtens im Maul eines Wüstenhundes aus dem Urlaubszelt der Chamberlains. Am nächsten Morgen findet man bloß noch den blutigen Strampelanzug. Eine Nation schöpft Verdacht. Lindy (Meryl Streep) und Michael Chamberlain (Sam Neill) nämlich sind Mitglieder der Seventh-Day-Adventists, einer leidlich beknackten christlichen Sekte, deren Mitglieder sich nach einem solchen Schicksalsschlag bevorzugt gegenseitig aus der Bibel vorlesen und den Tod etwas zu bereitwillig als gewiß ausreichend durchdachten Willen Gottes akzeptieren.

Nach einem ersten Freispruch geben sich beleidigte Polizisten, vernachlässigte Fachmänner des Spurennachweises und sensationslüsterne Boulevard -Journalisten erst so richtig Mühe. Lindys sachlich -schluchzerfreie Erläuterungen zum blutigen Strämpelanzug machen sie definitiv zum gefühlskalten Teufelsweib. Die zornige Souveränität einer Frau muß letztlich allen Prozeßbeobachtern vor das fest etablierte Ideal des hysterischen Mäuschens rummsen: Lindy, zu cool, zu harsch, zu wenig schutzbedürftig, wird verurteilt.

„Für mich“, so Regisseur Fred Schepisi, „war der Fall Chamberlain vor allem die Geschichte über die Kluft zwischen öffentlicher Meinung und privater Realität.“ Für uns ist es

-nach Memmingen und dem Fall Ulrike Weimar - auch eine weitere Folge der Serie „Frau und Justiz“. Als Film zum Thema ist der „Schrei“ bestimmt wichtig. Als Film an sich: Einmal sehen reicht völlig.

Petra Höfer