Standbild: Hinterher nur Schweigen

■ Tatort Familie

(Tatort Familie, 24.Mai, 19.30 Uhr, ZDF) „Das darf ich niemals meiner Mutter sagen!“ Einer Puppe, die bereits an Mund, Genital und Anus mit Lippenstift blutrot beschmiert ist, wird der Mund zugepflastert. Über Sexualität wird in der Familie nicht gesprochen, und sexueller Mißbrauch an Kindern durch Vater, Großvater oder Onkel ist das bestgehütete Geheimnis. Wie inszeniert man einen Fernsehbeitrag über ein Thema, über das (fast) alle schamhaft schweigen? Den Filmemachern Strigel und Verhaag ist es gelungen, die Beklemmung, Kälte und Grausamkeit, in die die Mädchen und Jungen gestoßen werden, mit genauen und sensiblen Bildern zu illustrieren. Da ist zum Beispiel das Ehebett, aufgenommen aus der Perspektive des Kindes: im Zentrum des Bildes übergroß die sogenannte Besucherritze, auf der sie oft - zwischen den Eltern, in Angst vor dem nächsten Übergriff - liegen müssen. Links und rechts davon in eiskaltem weiß die riesigen dicken Bettdecken, unter die sie gezogen werden und mit denen zum Schluß alles zugedeckt wird.

Wenn betroffene, heute längst erwachsene Frauen nach Jahren der Therapie offen über ihren Mißbrauch sprechen, zeigt die Kamera vor allem die Gesichter. In genau dem Abstand, der die Würde der Frauen wahrt, aber ihnen doch nahe kommt. Immer wieder sprechen sie über ihre Mutter. Sie hatten Angst auch vor ihr, bekamen keinen Trost und keine Unterstützung. Die Mutter vermittelte nur ihr eigenes Gefühl der Ohnmacht und - weil sie es nie anders kannte - daß die Tochter selbst schuld sei an dem, was „da“ passiert.

Einer Frage allerdings weicht der Film aus. Was sind das für Männer, die sich erregen am Zittern, Weinen und der Panik ihrer Tochter, Enkelin oder Nichte? Warum leben sie ihre Sexualität nicht mit einer erwachsenen Frau aus, warum nehmen sie ein Kind, das Angst hat und nichts von ihnen fordert? Selbstverständlich sollten in einem Beitrag über sexuellen Mißbrauch nicht die Täter im Mittelpunkt stehen, aber eine Reflektion über das traditionelle Macht -Ohnmacht-Verhältnis zwischen Mann und Frau und wie es sich niederschlägt in den Vorstellungen von Sexualität, hätte dem Film gutgetan.

Gunhild Schöller

Als Video ist der Film auszuleihen bei: DenkMal -Filmgesellschaft, Schwindstraße 2, 8000 München 40, Telefon 089/526601