Das Gesicht der Menge

■ Das Bild des Iran in den britischen Medien

Fazaneh Asari

Die Revolution im Iran, in mancher Hinsicht die „klassische“ Revolution des zwanzigsten Jahrhunderts, war auch die erste, die für das Fernsehen gemacht und - im Westen - von ihm präsentiert wurde. Es war die Revolution des Demonstrierens par excellence. Vor allem in den letzten Monaten zeigte das Fernsehen den westlichen Zuschauern die riesigen und immer größer werdenden Demonstrationen in den Straßen Teherans und ließ dann den abwesenden Führer in Paris Bedeutung und Ziele erklären. Kein anderer Revolutionsführer ist in den letzten Stadien seiner Revolution so oft interviewt worden wie Khomeini, und keine Revolution wurde schon vor ihrem Sieg jemals so eng mit ihren Führern identifiziert. Khomeini wurde zum Gesicht der unvermeidlich gesichtslosen Menschenmengen, ein Mann, dessen Image so radikal anders war als das jedes nur denkbaren Revolutionsführers. Als die Menschenmengen anwuchsen und die Revolution in jede Schicht der iranischen Gesellschaft vordrang, wurde Khomeinis Gesicht schließlich zum Gesicht des Iran selbst.

In der Einschätzung oder wenigstens Information über den Januskopf Khomeinis haben die britischen Medien vollkommen versagt. Über die Position Khomeinis angesichts der tatsächlichen Niederlage der Revolution - sei es in bezug auf die allgemein verkündeten Ziele von Demokratie und Freiheit oder irgendwelcher besonderer Vorstellungen einschließlich Khomeinis eigener Theokratie. In Großbritannien wird der Ayatollah bis heute als wahrer Ausdruck der tatsächlichen, wenn auch etwas merkwürdigen oder gar pervertierten Hoffnungen des iranischen Volkes dargestellt.

Zwar hat man ab und zu auf Amnesty-international-Berichte oder UN-Resolutionen hingewiesen, in denen die Islamische Republik als das blutigste Regime der Welt bezeichnet wird, das am häufigsten die Menschenrechte verletzt. Im Gegensatz jedoch zu Dissidenten in, sagen wir, Osteuropa oder Lateinamerika wird der Widerstand gegen Khomeinis Diktatur als Randerscheinung behandelt. Hinter solch offensichtlicher Ignoranz verbirgt sich jedoch ein zwielichtiger Gedanke. Der Iran als „Nation moslemischer Fundamentalisten“ wird nach sehr anderen Kriterien beurteilt als andere Nationen. Polen und Chilenen, die man der westlichen Zivilisation zurechnet, sind offensichtlich automatisch für eine demokratische Politik qualifiziert, während die Iraner der islamischen Welt zugehören, die per definitionem nach anderen Regeln lebt und leben soll. Zwar akzeptiert man, daß die Iraner per Geschichte und Geographie wahrhaftig ein schweres Los getroffen hat, dennoch findet man, daß sie offenbar ihre eher gutartigen Despoten nicht genug zu schätzen wußten.

Die grundsätzliche Komplizenschaft der britischen Medien bei der Weiterverbreitung des Selbstbilds der Islamischen Republik liegt in ihrer Mißachtung der historischen Dimension der Islamischen Revolution. Die Vernichtung des historischen Bewußtseins und damit der Geschichte selbst liegt nämlich auch Khomeinis Revolution zugrunde. Sein Ideal eines theokratischen Staats erfordert die buchstäbliche Verdrängung einer fünfhundertjährigen Entwicklung. Hiermit hängt die Entschlossenheit zusammen, mit der alle anderen politischen Entwicklungen gestoppt wurden - eine Entschlossenheit, die das breite Bündnis verschiedener Bewegungen zum Umsturz des Schahs reduziert hat auf die terroristische Herrschaft von nur einem Teil dieser Bewegung über das ganze Land. Khomeini und sein Regime haben also ein unnmittelbares Interesse an der Präsentation des Iran als ein eindimensionales statisches Gebilde, definiert durch die treue Ergebenheit seines Volkes an die fundamentalistische Variante des Islam.

In der Präsentation der islamisch-republikanischen Version ihrer (Nicht-)geschichte hat sich besonders das britische Fernsehen hervorgetan. Man hat die achtziger Jahre manchmal „das iranische Jahrzehnt“ genannt, und zwar in dem Sinne, daß der Iran inzwischen zum festen Bestandteil der Fernsehnachrichten gehört. Das entscheidende Bild, das uns vom Fernsehen vermittelt wurde, war das Bild der Menge: angefangen vom Februar 1979, als etwa fünf Millionen Menschen Khomeinis Rückkehr in den Straßen Teherans feierten, bis zum Feburar 1989, als weniger als dreitausend Khomeinis Aufruf zum Mord an Rushdie vor der britischen Botschaft derselben Stadt begrüßten. Immer wieder das Bild der Menge - besonders jenes, auf dem Leute fanatisch schrieen - und das des omnipräsenten, wenn auch physisch nicht unbedingt anwesenden Ayatollahs. Der vor-moderne Ayatollah und das postmoderne Fernsehen haben sich so auf irritierende Weise engstens miteinander verbunden: Auf der einen Seite gibt es immer und immer wieder die sloganbrüllenden Massen auf unseren kleinen Bildschirmen in England, auf der anderen die riesige Propaganda- und Repressionsmaschinerie des iranischen Regimes, das ein Bild der Einheit durch die Vernichtung unbestreitbar kultureller und politischer Differenzen herzustellen versucht.

Das Fernsehen reduziert die Tragödie der iranischen Revolution durch die Faszination des dramatisch anderen, das sich im Ayatollah und seinem Mob wildgewordener bärtiger Männer und dunkel verhüllter Frauen präsentiert, auf ein unverständliches und beängstigendes Ritual. Und zugleich verschleiert es das Kleinerwerden der Menschenmengen und auch die langsame Veränderung ihres Führers. Wer sieht schon den Unterschied zwischen den Millionen von Menschen, die regelmäßig in den letzten Tagen des Schahregimes und den ersten der neuen Republik auf die Straßen jeder größeren Innenstadt strömten, und den dreitausend, die vor der britischen Botschaft erschienen und Rushdies Blut forderten? Wer waren die vier Millionen, und wo sind sie jetzt? Und wer sind die dreitausend? Wenn eine Menge groß genug ist, um einen kleinen Bildschirm auszufüllen - wie soll der Zuschauer wissen, wie viele es tatsächlich sind und was ihre Zahl bedeutet? Der gewöhnliche Engländer, der seine schlimmsten Befürchtungen in Sachen Islam und Moslems schon bestätigt sieht in den Bildern der Geiselnahmen von Teheran und Beirut und in den Bildern von den Bücherverbrennungen in Bradford - wie soll er die wahre Niederlage von Khomeinis Utopia, von dem die Bücherverbrenner immer noch träumen, erkennen können? Bestimmt sähe sogar der Bücherverbrenner von Bradford die Dinge etwas anders, wenn er wüßte, daß seine in Teheran gegen die Satanischen Verse demonstrierenden Brüder nur ein Tropfen jenes Ozeans sind, der damals den Schah ertränkte. Besser noch wäre es, man würde ihm sagen, daß jene dreitausend Anti-Rushdie -Demonstranten sich hauptsächlich aus bezahlten Mitgliedern des gigantischen Repressionsapparats rekrutieren, der zur Unterdrückung von Millionen konstruiert wurde, und daß bezahlte Demonstrationen inzwischen die Regel sind.

Statt dessen verbreitet und verstärkt das Fernsehen Khomeinis Botschaft durch Bilder, die eine Realität vorspiegeln, die längst Vergangenheit ist und nur noch in der Phantasie existiert. Genau diese Funktion erfüllt auch das iranische Fernsehen selbst. Iranische Zuschauer werden permanent bombardiert mit dieser Mischung aus Alt und Neu; Filme von Anti-Schah-Demonstrationen werden Seite an Seite mit Aufnahmen gezeigt, die bei Anlässen jüngeren Datums gemacht wurden, vom islamischen Staat organisiert und gefilmt unter extremer Ausnutzung der Kameramöglichkeiten zur Übertreibung. Als Mitspieler im Drama brauchen die Iraner jedoch weder Fernsehnachrichten noch Dokumentarfilme, um sich über den Verlauf der Revolution zu unterrichten. Das Zielpublikum sind die Moslems in Amerika, Großbritannien, Indien, im Libanon usw., die die iranische Republik von ihrem festen Zugriff aufs iranische Volk zu überzeugen versucht.

Es war die BBC-Dokumentation Inside the Ayatollahs Iran (14.Februar 1989), ausgestrahlt in dem politischen Magazin Panorama, die mich in der Befürchtung bestätigt hat, daß die falsche Darstellung des Iran weit über die technischen oder sonstwie unvermeidlichen Mängel von Nachrichtensendungen hinausgeht. Statt seinen Zuschauern einen gründlichen Einblick in den Iran zehn Jahre nach der Revolution zu bieten, präsentierte uns das wichtigste politische Magazin Großbritanniens einen ebenso seltenen wie systematischen Einblick in die Vorurteile, die seit zehn Jahren die Iranberichterstattung der Großmedien prägen.

Die entwaffnend schlichte Botschaft von Panorama: In seiner überwältigenden Mehrheit unterstützt das Volks Khomeini und sein Regime. Fast alle der dort Interviewten, vom schwerbehinderten Kriegsveteranen, der gegenüber dem aalglatten Vizeaußenminister kaum ein Wort herauszubringen vermochte, über die völlig verschleierten Frauen im Wohnbezirk der Märtyrer bis zum überlebenstüchtigen Zyniker, wiederholten sie die immergleiche Botschaft - ohne widerlegt oder genauer befragt zu werden. Gegen Ende der Sendung taucht noch einmal der tüchtige Zyniker auf, um uns allen Ernstes mitzuteilen - vermutlich, um das Bedürfnis des britischen Publikums nach Meinungsumfragen zu befriedigen -, nämlich daß das iranische Regime die Unterstützung von 75 Prozent der Bevölkerung genießt, während 15 Prozent unentschie- den (!) seien und etwa fünf Prozent gegen das Regime.

Offensichtlich fiel es dem Interviewer nicht ein, nach der Quelle für solche Zahlen zu fragen. Immerhin befand er sich in einem Land, das innerhalb von vier Jahren bereits zum vierten Mal von der UN-Generalversammlung für seine extremen Menschenrechtsverletzungen verurteilt worden ist und zudem als einziges dieser „Spitzenländer“ eine unabhängige Überprüfung seiner Gefängnisse verweigert hat. Der Interviewer fragte lediglich, ob man im Iran seine Meinung frei äußern könne - und erhielt daraufhin die überzeugende Antwort: „Aber natürlich: Sie sehen doch, daß ich meine Meinung frei äußere.“ Die Botschaft war klar: Khomeini ist so populär wie immer und seine Regierung ist sogar doppelt so populär wie die britische im eigenen Land (die schließlich nur mit 40 Prozent der Stimmen gewählt wurde) oder jede andere demokratisch gewählte Regierung.

Nachdem man also die Popularität der Regierung festgestellt hat, bleibt die Aufgabe, sie zu erklären. Wie ist es möglich, daß die Bevölkerung des Iran in ihrer Mehrheit weiterhin ein Regime unterstützt, das ihre elementaren Rechte abschafft, ihren Lebensstandard drastisch gesenkt und einen Krieg endlos weitergeführt hat, nur um ihn schließlich doch sieglos nach vielen Jahren, Hunderttausenden von Toten und der Zerstörung der Ökonomie zu beenden? Ausgehend von den bereits zur Schau gestellten Vorurteilen, konnte die ehrliche Antwort hierauf wohl nur lauten: weil die Iraner dumm sind.

Hier nun bewies Panorama, daß sein Ruf für kritische Unabhängigkeit und Professionalität zu Recht besteht. Durch die Wiederholung von Fragen machte der Interviewer klar, daß die ursprüngliche Antwort tatsächlich die gemeinte gewesen ist und daß der Befragte genauso dumm ist, wie es die These des Fragers behauptete. So wurde beispielsweise der schwerbeschädigte Veteran, der im Krieg entsetzliche Verbrennungen des Rückens erlitten hatte, zwei- oder dreimal darum gebeten, seine unglaubliche Aussage zu wiederholen, er sei fest von Khomeinis Führerschaft überzeugt, trotz dessen ganz evidenter Fehlentscheidung, den Golfkrieg weiterzuführen - was unter anderem den Befragten seine Gesundheit gekostet hatte. Das war deutlich: Kein Mensch mit Verstand - von denen es im Westen natürlich nur so wimmelt könnte so dumm sein. Außer vielleicht, wenn er schwerbehindert und genau denen vollkommen ausgeliefert ist, die für die Weiterführung des Krieges verantwortlich sind. Und das in einem Land, in dem viele Menschen schon wegen geringerer Verbrechen erschossen wurden als für Kritik an ihrem unfehlbaren Führer gegenüber einem britischen Fernsehteam. Nichts davon in Panorama.

Die nach solchem Muster verlaufende kritische Untersuchung wurde beendet mit einem durch den iranischen Vizeaußenminister vorgetragenen Gedanken, der schließlich alle nagenden Zweifel zu jedermanns Befriedigung beseitigte. Auf die Frage, ob die öffentlichen Massenerhängungen vermutlicher Drogenschmuggler eine annehmbare Lösung des Problems sein könne, erklärte der Minister seine Billigung solcher Maßnahmen, indem er den Interviewer daran erinnerte, die Iraner gehörten zu einer anderen Kultur. Aha, so also lösten sich schließlich alle Rätsel. Die Panorama -Sendung war nicht nur äußerst vollständig; sie war stimmig und respektabel. Khomeini ist nicht gerade unser (britischer) Fall, aber sein Volk liebt ihn. Iraner sind nicht notwendigerweise dumm oder uns als Volk unterlegen, sie sind nur kulturell anders und im übrigen stolz darauf.

In der Verfolgung dieser Grundidee hat Panorama nicht nur viele Fakten verdreht und ignoriert, sondern ein ganz bedeutendes Moment verkannt, das tatsächlich hätte analysiert werden können als Positivum - nämlich das der komplexen Gesellschaft des Iran, die permanent totalitäre Maßnahmen blockiert und damit eine Politik zurückweist, aus der alles außer den verschiedenen Glaubensrichtungen der Hizbollah ausgeschlossen worden ist. Das iranische Parlament unter Führung seines Sprechers Rafsandschani wurde zu Unrecht als Genehmigungsmaschinerie des streng kontrollierten Einparteienregimes dargestellt. Dabei weiß jeder, der mit iranischer Politik auch nur einigermaßen vertraut ist, daß das Parlament (Majlis) ein Schauplatz lebhafter Debatten ist, in dem rivalisierende Fraktionen und Gruppierungen sich über wichtige Fragen offen gegenseitig bekämpfen und manchmal die Position des „mächtigen“ Sprechers einmütig per Abstimmung zurückweisen - wie das Scheitern eines Gesetzentwurfes zur Integration der Revolutionsgarden in die reguläre Armee erst kürzlich bewiesen hat.

Diese Ausgabe von Panorama wurde am Vorabend von Khomeinis Aufruf zum Mord an Rushdie ausgestrahlt. Zwei Tage später schrieb eine der führenden „seriösen“ Tageszeitungen Großbritanniens in ihrem ersten Kommentar zum Rushdie -Skandal: „Es ist sehr wahrscheinlich, daß die iranische Regierung von 75 Prozent der Bevölkerung unterstützt wird wie die Panorama-Ausgabe dieser Woche festgestellt hat.“ ('The Guardian‘, 15.Februar). Arrogant fuhr der Kommentator fort: „Vermutlich wären 99 Prozent der Iraner froh, niemals ein Exemplar derSatanischen Verse zu Gesicht kriegen zu müssen.“

Natürlich verhält es sich in Wahrheit anders: Salman Rushdies frühere Romane sind im Iran Bestseller gewesen. Die persische Ausgabe von Scham erhielt von der offiziellen Preisjury des Ministeriums für Publikationen einen Preis. DieSatanischen Verse sind drei Monate vor dem Mordaufruf in einer iranischen Zeitschrift ohne Fanatismus, wenn auch negativ, rezensiert worden (siehe Auszüge auf diesen Seiten im Kasten). Und selbstverständlich existieren auch von iranischen Autoren Untergrundausgaben, ihrerseits Klassiker und Bestseller, die äußerst kritisch und respektlos mit bestimmten Aspekten der Biographie des Propheten oder des Shiismus umgehen.

Das Verdikt des 'Guardian‘ zeigt, wie weitverbreitet der Konsens ist über das „Iran des Ayatollahs„; die Panorama -Sendung stellt dies nur besonders stimmig und ausdrücklich dar. In den darauffolgenden Wochen sprachen viele andere Kommentatoren ähnlich, einschließlich des britischen Außenministers in einer Parlamentserklärung. Ihre falsche Einschätzung der Unterstützung Komeinis durch die iranische Gesellschaft könnte zu einer Politik des Appeasement führen, änderte nicht Khomeini - wie vor ihm Hitler - am laufenden Band die Spielregeln, so daß der 'Guardian‘ schließlich für einen Abbruch der diplomatischen Beziehungen votiert, Sir Geoffrey (britischer Außenminister, d.Red.) seine Diplomaten abzieht und die BBC vermutlich eine weitere, hoffentlich besser informierte Irandokumentation zu planen beginnt.

Aber Khomeini ist nicht Hitler und Iran nicht Deutschland. Die Tage, als der Ayatollah auf der politischen Weltbühne Hitler zu gleichen versuchte, waren vorbei, als selbst seine glühendsten Anhänger, die Revolutionsgardisten, mit den Füßen darüber abstimmten, daß der Krieg nicht zu gewinnen war und damit eine demütigende Niederlage anerkannten. Die Tatsache, daß Tausende politischer Gefangener im Iran für diese Niederlage in den folgenden Monaten mit ihrem Leben bezahlen mußten und daß Salman Rushdie bis heute in der gleichen Gefahr schwebt, macht die Aussichtslosigkeit von Khomeinis Versuch deutlich, verlorenes Terrain zurückzugewinnen - zumindest bei seinen eigenen desillusionierten Unterstützern. Die Regierungen des Westens und die des Iran wissen, daß letztere keine ernsthafte Gefährdung für die Interessen der ersteren mehr darstellen falls sie es überhaupt jemals waren. Die angebliche Verhärtung der Haltungen hat auf beiden Seiten mehr mit Forderungen aus dem Innern zu tun, im Westen mit den Intellektuellen und im Iran mit einer Hardlinerfront, deren letzte Bastion in unzufriedenen und entmutigten Revolutionsgarden liegt. Wenn der Sturm sich gelegt hat, wird die Frage nicht sein, ob man eine Beschwichtigungspolitik gegenüber Khomeini anstrebt oder nicht; es wird im Gegenteil die iranische Regierung selbst sein, die angesichts wachsender Unzufriedenheit und einer ruinierten Ökonomie den größeren Teil der Beschwichtigungsarbeit selbst übernehmen wird. Was in diesem Zusammenhang zurückgewiesen werden muß, ist eine Auffassung, die viele ansonsten einander eher feindlich gesonnene Gruppen teilen, nämlich: „Wir sollten die unterschiedlichen Kulturen und Wertsysteme respektieren, auch und besonders des Ayatollahs, zumindest solange er nicht (offen) zum Mord an unseren Bürgern aufruft.“

Kulturrelativismus und die Erkenntnis der Grenzen eines eurozentristischen Weltbildes sind wichtige Ergebnisse radikalen Denkens und der Arbeiten der Kulturanthropologen im letzten Jahrhundert gewesen, und sie sollten nicht einfach über Bord geworfen werden. Im gegenwärtigen Klima jedoch werden sie auf höchst unerwartete Weise ge- oder besser mißbraucht, wie ein Artikel von Simon Jenkins in der 'Sunday Times‘ zeigte.

Die Alternative zum Schah, so argumentiert Jenkins, sei nie eine „milde Demokratie“, sondern „entweder eine strikte Militärdiktatur oder primitive Theokratie“ gewesen. „Wie die meisten Länder auf der Schwelle zur industriellen Entwicklung“, fährt er fort, „sucht der Iran nicht nach der besten, sondern nach der am wenigsten schlechten Regierungsform... Wir sollten nicht jede Regierung der 'festen Hand‘ weiter als faschistisch oder übel ansehen, nur weil sie manchmal zu autoritären Methoden greift, um Ordnung und Prosperität aufrechtzuerhalten. Solche Haltung moralischer Bequemlichkeit ist überholt, ein Relikt des liberalen imperialistischen Europa aus dem 19.Jahrhundert.“ ('Sunday Times‘, 19.Februar).

Jenkins nimmt also eine Haltung ein, die praktisch die Mehrheit der Erdbevölkerung auf Ewigkeit zu einem Standard unterhalb der Menschenwürde verdammt, demgemäß sie nur zwischen Ayatollah und Schah hin- und herzupendeln vermögen. Über Bord gegangen ist damit die allgemeine Erklärung der Menschenrechte, nicht als unmittelbar praktikable Vorstellung, die sie im übrigen nie war, sondern sogar als Ideal - ohne die jedoch die vollentwickelte Apartheid weltweit der einzig logische Schluß sein kann: eine Vorstellung, die Khomeini bestimmt freudig begrüßen würde.

Besonders beängstigend ist, daß auch 'Guardian‘ und Panorama - und noch viele andere aus der liberalen und radikalen Ecke der Beobachter - im Fall Iran dasselbe meinen, es manchmal nur noch empörter formulieren; Iraner mögen in der schlimmsten aller Welten leben, wie Jenkins meint, aber offenbar sind sie dumm oder „fundamentalistisch“ genug, um sie für die beste zu halten. Wie anders sollte jemand die Iraner beschreiben, den man darüber informiert hat, die Mehrheit dieses Volkes unterstütze weiterhin ein Regime, das ihre Menschenrechte zerstört, ihren Lebensstandard drastisch gesenkt und einen Krieg weitergeführt hat, der schließlich nach langen Jahren, Hunderttausenden von Toten und dem Ruin der gesamten Wirtschaft zu einer demütigenden Niederlage führte? Nun also - es mag kein besonders aufregendes Stück Journalismus darstellen, aber trotzdem kann gerade jetzt die schlichte Wahrheit nicht oft genug wiederholt werden: Der Grund dafür, daß die Islamische Republik weder reformiert noch umgestürzt wurde, liegt - zumindest in Teilen - in der Tatsache eines gigantischen Repressionsapparats, weit ausgedehnter als der des Schahs, in der Erschöpfung einer Bevölkerung, die von Revolution und Krieg ausgelaugt ist, und in der tragischen Zersplitterung des Widerstands.

Fazaneh Asari ist das Pseudonym eines exilierten iranischen Schriftstellers

Aus Platzgründen wurde der Text leicht gekürzt.