Steffi aus der Retorte

Der DTB will die „Lücke hinter Steffi Graf“ schließen / Nachwuchsförderung gibt es nicht zum Nulltarif  ■  PRESS-SCHLAG

Geld alleine genügt nicht, denn das hat der Deutsche Tennisbund (DTB) im Überfluß, doch ist der erhoffte Nachwuchs, der die Lücke hinter Steffi Graf schließen soll, bisher ausgeblieben. 400.000 Mark hatte der DTB vor zweieinhalb Jahren investiert, um aus talentierten Nachwuchsspielerinnen Weltranglistenzweite und -dritte zu machen. Doch der Sprung in die Spitze ist keiner der damals geförderten Spielerinnen gelungen, und „nur“ irgendein Platz unter den ersten Zweihundert der Weltrangliste ist dann doch zu wenig. Der Abstand zu Steffi Graf ist in letzter Zeit eher größer geworden, beobachten die Verantwortlichen mit Sorge.

Dies soll nun anders werden: Mit einem neuen Konzept werden noch einmal 200.000 Mark in die Nachwuchsförderung gesteckt, denn pleite ist der DTB noch lange nicht. Verteilt auf fünf Spielerinnen zwischen 14 und 16 Jahren, werden von dem Geld Reisen, Trainer und Turniere bezahlt. Ein Hemmnis dabei ist nur die ärgerliche Schulpflicht, die in Deutschland eingeführt wurde, als es noch kein Tennis gab.

Johann Stadtlander, Vizepräsident und Jugendwart des DTB, möchte die Spielerinnen am liebsten mit der Hauptschulreife ihre Schulausbildung abbrechen lassen. Schließlich sollen sie sowieso nichts anderes als Tennis im Kopf haben. Bundestrainer Jürgen Hackauf ist da etwas gemäßigter und plädiert für die mittlere Reife. Die Entscheidung für den Leistungssport muß sehr früh gefällt werden, denn mit 15 Jahren, so Hackauf, steigen die Mädchen ins Profigeschäft ein, und da bleibt für eine berufliche Ausbildung keine Zeit mehr.

Morgens und abends eineinhalb Stunden Tennis, außerdem Konditionstraining sieht das neue Konzept in der Hauptstufe, die nach Schulabschluß beginnt, für den Nachwuchs vor. Solange die Mädchen zur Schule gehen, muß man sich mit selbiger arrangieren, oder besser gesagt, die Schule muß sich mit der Tennisspielerin arrangieren. Der Turnierplan wird mit der Schulleitung abgesprochen, und versäumte Klassenarbeiten werden nachgeschrieben, jedenfalls bei der 13jährigen Marketa Kochta, die sich dem Tennis verschrieben hat und von allen Mitschülern beneidet wird, „weil ich so oft fehlen darf“. Solange sie noch zur Schule geht, trainiert sie „nur“ zwei Stunden täglich. Für die Zukunft rechnet sie sich Chancen für die Weltspitze aus und will sich nach der mittleren Reife ganz aufs Tennis konzentrieren.

Doch neben der optimalen Förderung ist vor allem eines wichtig, weiß Bundestrainer Hackauf: der unbedingte Wille und die Selbstdisziplin der Mädchen. Und auch Damen-Teamchef Klaus Hofsäß ist dieser Meinung: „Wer sich als Talent nicht schindet, kommt nicht ganz nach oben.“ Daß ein Kinderwille nicht immer so hart sein kann, wie es das Leistungsdenken der Erwachsenen erfordert, hat die Vergangenheit gezeigt. Daher brauchen die geschundenen Talente viel seelische Unterstützung, die die häufig wechselnden Trainer des alten Konzepts nicht geben konnten; jetzt hat jede Spielerin ihren festen Privatcoach als Vertrauensperson, der die Mädchen „an die Problematik des Professionalismus“ heranführen soll. Die Turnierpläne werden jeweils mit dem Bundestrainer abgesprochen.

Für den männlichen Nachwuchs gibt es genau das gleiche Konzept, doch beginnt die Hauptstufe wesentlich später, da die Jungen im Alter von 14 bis 16 Jahren noch nicht die körperlichen Voraussetzungen mitbringen, um gegen die männliche Konkurrenz in der Weltrangliste anzutreten. Daher leidet die schulische Ausbildung der Jungen weniger unter dem Leistungssport als die der Mädchen.

Und über allem schwebt natürlich die unschlagbare Weltranglistenerste, das große Vorbild künftiger Tennisgenerationen. An ihr werden die jugendlichen Spielerinnen gemessen, meint Claudia Porwik, ein ehemals hoffnungsvolles Talent, das heute mit knapp 20 Jahren bereits zur „verlorenen Generation“ gehört. Wer die Anforderungen nicht erfüllt, wird schnell fallengelassen. Übrig bleibt im Falle eines Mißerfolgs nur die abgebrochene Berufsausbildung.

Aber ehrgeizige Eltern finden in Steffis Vater Peter Graf ihr Vorbild: Seiner Tochter hat er den Weg zu Ruhm und Reichtum bereitet und künftig will er sich auch um „die Lücke hinter Steffi“ kümmern; talentierte Spielerinnen sollen der Förderung durch seine „sensible Hand“ unterliegen, zu diesem Zwecke will er sie zu sich nach Brühl holen. Steffi aus der Retorte. Die Formel ist perfekt, der Tausch einfach: Kindheit gegen Erfolg.

Daniela Hutsch