Ministerin Lehr blockiert Safer-Sex-Projekt

Das Bundesgesundheitsministerium sagt nach anderthalbjähriger Auseinandersetzung endgültig Nein zu „Stop Aids“ in Köln / Berührungsangst gegenüber schwuler Sexualität bei der Ministerin ist die Ursache für ablehnende Haltung / Neue Initiative in Berlin  ■  Aus Köln Andreas Salmen

Das Bundesgesundheitsministerium hat das von der Kölner Aids -Hilfe beantragte Stop-Aids-Projekt für schwule und bisexuelle Männer endgültig abgelehnt. Mit dieser Entscheidung geht eine über eineinhalbjährige Auseinandersetzung über das Vorhaben zu Ende. In dem Stop -Aids-Projekt sollten schwule Männer in Workshops Safer Sex erlernen und ihre Probleme mit Aids austauschen. Bundesministerin Lehr begründete ihre Entscheidung in einem Brief an die Aids-Hilfe: „Mit Ihrem Antrag habe ich mich sehr eingehend beschäftigt, da ich den Grundgedanken, über persönliche Beziehungen zu gesundheitlich notwendigen Verhaltensänderungen zu motivieren, für wichtig erachte. Das Projekt wird meines Erachtens um so erfolgreicher sein, je privater und intimer diese Beziehungen sind. Gerade in diesen Bereich darf jedoch staatliches Handeln - und so ist die Finanzierung eines Modellprojekts zu verstehen - nach meinem Verständnis nicht vordringen.“

Damit macht die Ministerin einen geschickten Schlenker, um sich herauszureden. Seit der Antragstellung war klar, daß das Ministerium Angst hatte, von höchster Stelle aus Gesprächskreise zu finanzieren, in denen Schwule über ihre Sexualität sprächen. In Bonn wurde befürchtet, daß vor allem Bayern eine Förderung dieses „Schweinkrams“ zu einem Konflikt mit der Bundesregierung nutzen könnte. Die Aids -Hilfe hat ihr Unverständnis für die Ablehnung zum Ausdruck gebracht. Es werde „mit zweierlei Maß gemessen“, schreibt sie unter Verweis auf eine personalkommunikative Kampagne in der Allgemeinbevölkerung, für die das Ministerium rund 15 Millionen Mark an drei Werbeagenturen zahlt.

Beantragt wurde das Kölner Projekt bereits im Januar 1988. Für zweieinhalb Jahre sollte das Vorhaben 750.000 Mark kosten. Bei der Gestaltung orientierte man sich an Erfahrungen aus San Francisco. Dort hatten Gesprächskreise und eine öffentliche Kampagne die Infektionsrate mit HIV unter Schwulen und bisexuellen Männern unter ein Prozent jährlich drücken können. Dieses Stop-Aids-Projekts gilt weltweit als beispielgebend. Doch schon Bundesgesundheitsministerin Süssmuth setzte auf Zeitverzögerung. Mit ihrer ängstlichen Haltung stand sie allein. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung sowie mehreren Mitgliedern des ministeriumsinternen Koordinierungsstabs Aids befürworteten den Antrag. Acht Mitglieder der Enquete-Kommission Aids des Bundestags baten das Ministerium noch im November, das Projekt als „sehr wichtiges Element“ der Aidsaufklärung zu bewilligen. Ministerin Lehr lehnte nun endgültig ab.

Gleichzeitig stellten in Berlin in der letzten Woche die Aids-Hilfe, der schwule Infoladen Mann-O-Meter und eine schwule Beratungsstelle das Konzept eines ähnlichen Stop -Aids-Projekts vor: „Aids stellt für schwule Männer, nicht nur im individuellen Fall, sondern auch kollektiv, eine Bedrohung dar.“ Nach einer Phase der Information sei jetzt vor allem Hilfe zur Verhaltensänderung nötig. Kernstück des Projekts sind auch in Berlin vor allem Safer-Sex -Gesprächskreise. Darüber hinaus ist eine „Infobörse“ über medizinische und psychotherapeutische Methoden geplant. Das Berliner Projekt soll für zweieinhalb Jahre 600.000 Mark jährlich kosten. Die Initiatoren hoffen, schon 1989 150.000 Mark aus dem rot-grünen Nachtragshaushalt zu bekommen. In Hamburg und Nürnberg gibt es ebenfalls Anstrengungen, verstärkt Safer-Sex-Gesprächskreise durchzuführen.