Ein Exempel für die neue Offenheit?

■ Rückkehr der oppositionellen Gewerkschaftsgruppe „Plakat“ in die IG Metall wird blockiert / Von Maria Kniesburges

Für eine „neue Offenheit“ und eine neue Streitkultur plädierte IG-Metall-Chef Steinkühler auf dem Zukunftskongreß seiner Organisation. Als die Anfang der 70er Jahre gegründete oppositionelle Gewerkschaftsgruppe „Plakat“ ihn beim Wort nehmen wollte, gab's erhebliche Probleme. Die Betriebsratsfürsten im Nobelkonzern Untertürkheim halten nicht viel von Steinkühlers Parolen. Seit Wochen wird verhandelt, Montag soll eine Entscheidung fallen.

Wenn die rund dreißig Mitglieder der „Plakat-Gruppe“ sich an diesem Wochenende zu ihrer Klausurtagung zusammenfinden, werden sie eine harte Nuß zu knacken haben. Sie müssen entscheiden, ob sie die harschen Bedingungen, die ihnen die IG-Metall-Betriebsratsmehrheit des Daimler-Stammwerkes in Untertürkheim für die Wiederaufnahme der „Plakat„-Mitglieder in die IG-Metall diktiert hat, akzeptieren können. Dann wird es nicht ausschließlich um die Entwicklung von Strategien zur Bewältigung der drängenden betrieblichen Probleme in dem Untertürkheimer Automobil-Werk des größten europäischen Rüstungskonzerns mit dem Nobelstern gehen können. Seit die Gruppe „Plakat“ 1972 das erste Mal mit einer eigenen Liste neben der offiziellen IG-Metall-Liste zu den Betriebsratswahlen antrat, werden ihre Mitglieder mit Gewerkschaftsausschlüssen belegt. Mehrfach hat es in den vergangenen Jahren Versuche der Gruppe gegeben, ihre Wiederaufnahme in die IG Metall zu erwirken, zumal ihr Anspruch von Anfang an nicht mehr, aber auch nicht weniger war, als „konsequente Gewerkschaftspositionen zu vertreten“.

Keine Chance für Kritiker

Mit einer eigenen Liste angetreten waren die Plakat-Leute erstmals 1972, weil die streng auf Sozialpartnerschaft festgelegten Betriebsratsfürsten der IG Metall rigoros sämtliche Kritiker dieser Politik auf aussichtslose Listenplätze bei den Betriebsratswahlen verbannten. Nachdem in der Vergangenheit alle Anläufe zur Rückkehr am hartnäckigen Widerstand der IG Metall scheiterten, ließ sich ein erneuter Versuch der Plakat-Gruppe auf Rückkehr in die Organisation in den vergangenen Wochen zunächst ausgesprochen hoffnungsvoll an. Immerhin hätte eine solche Einigung einen konkreten Schritt in Richtung der Zukunftsvisionen bedeuten können, wie sie IG-Metall-Chef Steinkühler im Rahmen der Zukunftsdebatte seiner Organisation erst unlängst gemalt hat. In gewohnt kämpferischem Ton hatte Steinkühler, einst als Leiter des Bezirks Stuttgart höchstpersönlich Schirmherr über die Ausschlüsse der Plakat-Gewerkschafter, eine „neue Offenheit der Organisation“ und eine „neue Streitkultur“ angekündigt. Demnach, so schlußfolgerten die Plakatler mit unverwüstlichem Optimismus, müßte doch „auch für Gewerkschafter unseres Schlages Platz in der Organisation sein“.

An die Zentrale der IG Metall in Frankfurt und an die Stuttgarter Ortsverwaltung der IG Metall richteten sie das Schreiben: „Mit großem Interesse haben wir eure Zukunfts -Diskussion verfolgt... Wir waren immer der Meinung, daß starke Gewerkschaften notwendig sind und daß sie auch hart und kontrovers geführte Diskussionen aushalten. An dieser Meinung haben auch die teilweise schweren Konflikte im Betrieb nichts geändert... Wir waren auch immer der Meinung, daß in der IGM Platz sein müßte für Kollegen wie uns. Wir meinen, daß es Zeit ist, unvoreingenommen aufeinander zuzugehen. In diesem Sinne bitten wir baldmöglichst um ein Gespräch, um über eine Wiederaufnahme der ausgeschlossenen Kollegen der Plakat-Gruppe zu sprechen.“

Es brauchte zwar etwas Zeit, aber vor rund fünf Wochen kam ein solches Gespräch dann tatsächlich zustande. Unter bislang nie dagewesenen positiven Vorzeichen. „Wir sind da sehr offen“, ließ der erste Bevollmächtigte der IG Metall in Stuttgart, Luthwig Kemet, wissen, und auch aus der Frankfurter Zentrale gab es Signale im Sinne der neuen Offenheit. Bei den IG-Metall-Betriebsratsfürsten im Untertürkheimer Daimler-Werk, die gleichzeitig die Vertrauenskörper-Leitung (VKL) im Betrieb dominieren, scheinen die neuen Organisationsvisionen allerdings noch nicht angekommen zu sein: Nach mehrwöchiger Bedenkzeit im Anschluß an das erste Wiederaufnahme-Gespräch stellte die VKL in dieser Woche derart weitreichende Bedingungen an die Plakat-Gruppe, daß ihre Rückkehr in die Organisation aufs neue kräftig in Frage gestellt ist.

Die Angst um die Pfründen

Die wesentlichen Knackpunkte, über die es vor einer Wiederaufnahme Einigkeit herzustellen gilt, sind der Wahlmodus für die Betriebsratswahlen beziehungsweise zur Aufstellung der IG-Metall-Liste, die Herausgabe der Betriebszeitung 'plakat‘ sowie der betriebsöffentliche Umgang mit Minderheitenmeinungen in der Gruppe der IG-Metall -Betriebsräte. Insbesondere der Wahlmodus und das Verfahren zur Aufstellung der IG-Metall-Kandidatenliste ist seit Jahr und Tag ein neuralgischer Punkt - geht es doch hier um jahrzehntelang sorgsam gehütete Pfründen.

Nur einmal in den letzten Jahrzehnten war es bisher gelungen, den Betriebsratsfürsten die Zuordnung der Plätze auf der IG-Metall-Liste für die Betriebsratswahlen aus der Hand zu nehmen. Dazu hatte es einer verwegenen Vorgeschichte bedurft: Nachdem das Stuttgarter Arbeitsgericht auf eine Wahlanfechtung der Plakat-Gruppe hin bereits Formfehler festgestellt hatte, kam im gleichen Zuge auch noch ein dicker Wahlbetrug zugunsten der IG Metall ans Tageslicht. Zwar konnte nie geklärt werden, wer dafür verantwortlich zu machen war, doch hatte die IG Metall einen enormen Glaubwürdigkeitsverlust wettzumachen. Das führte zur Besinnung auf das demokratische Mittel der Urwahl. Die Folgen dieser allerdings einmaligen Mitgliederbeteiligung, die bei der darauffolgenden Wahl gleich wieder abgeschafft wurde: Betriebratschef Karl Aspacher wurde auf Platz sieben der Liste verwiesen, ans Ruder kam der Kollege Helmut Funk, bis heute Betriebsratsvorsitzender im Amte.

Solcherart demokratischen Platzverweisen soll offenbar auch weiterhin vorgebaut werden: Den Vorschlag der Plakat-Gruppe in den jüngsten Wiederaufnahme-Gesprächen, eine gemeinsame Liste zur Betriebsratswahl im Frühjahr 1990 per Urwahl aufzustellen und so die Mitglieder über den gemeinsamen Neuanfang entscheiden zu lassen, lehnt die Vertrauenskörperleitung rundweg ab. Statt dessen verlangt die VKL von der Plakat-Gruppe einen Kniefall vor der Metall -Betriebsratsriege: Den Plakatlern sollen auf der IG-Metall -Liste, nur insgesamt sechs Sitze zwischen dem 17. Und 27. Platz zugestanden werden. Eine Plazierung, mit der ganz offenbar demonstriert werden soll, wer weiterhin das Sagen hat. Ginge es nach den Ergebnissen der letzten Betriebsratswahl, so müßte der erste Plakatler bereits auf dem dritten Platz einer gemeinsamen Liste auftauchen. Doch damit nicht genug: Für diese sechs Plätze auf den hinteren Rängen, von denen nur fünf als sichere Bank gelten, soll „Plakat“ neun Kandidaten vorschlagen, aus denen der Vertrauenskörper die sechs Kandidaten auswählt.

Kein Interesse

an neuer Offenheit

Und an diesen neuralgischen Punkt, so ist aus dem Betrieb zu hören, scheint die VKL nicht rütteln lassen zu wollen. Selbst ein sehr weitgehender Kompromißvorschlag der Plakat -Gruppe wurde am Mittwoch abgeschmettert. Zwecks gütlicher Einigung hatte die Gruppe erklärt, nicht weiter auf der Urwahl zu bestehen. Die ihr zugesicherten sechs Plätze, so das schüchterne Begehren, sollten allerdings zwischen dem achten und dem 26. Listenplatz angesiedelt sein und ein Ersatzplatz zwischen dem 26. Und dem 30. Platz eingeräumt werden. Derzeit verfügt die Gruppe über sieben Sitze im Betriebsrat. Zudem wollen die Plakatler ihre Kandidaten für die Plätze dieser ersten gemeinsamen Liste selbst auswählen, statt neun Vorschläge an die VKL zu geben.

Und nicht nur hinsichtlich des Wahlmodus hat die Plakat -Gruppe eine derart hohe Kompromißbereitschaft an den Tag gelegt, das manch kritischem Gewerkschafter die Ohren klingen, auch auf die Forderung der VKL, die Betriebszeitung 'plakat‘ dürfe nur noch bis zur Betriebsratswahl im Frühjahr 1990 erscheinen, ist sie schweren Herzens eingegangen. Und auch das reicht noch nicht. Vor bemerkenswerte praktische gewerkschaftspolitische Probleme stellt die VKL die Plakatler mit einer weiteren Forderung: Sollte es zu einer Wiederaufnahme und damit zu einer gemeinsamen Betriebsratsfraktion kommen, so sollen diejenigen, die mit ihrer Meinung in diesem Gremium unterliegen, selbige fortan nicht mehr nach außen vertreten dürfen. Schon auf der ersten Betriebsversammlung dürfte dieser Maulkorb zu erheblicher Verwirrung unter den Belegschaftsmitgliedern führen. Denn die kontinuierlichen Wahlerfolge der Plakat-Gruppe sind nicht zuletzt darauf zurückzuführen, daß eines ihrer Prinzipien die Offenheit ist - eben kein Blatt vor den Mund zu nehmen.

Nachdem die VKL ihre Hürden gegen die neue Offenheit der Organisation dermaßen hoch gestapelt hat, konnte die Rückkehr zur gemeinsamen gewerkschaftlichen Schlagkraft in Europas größtem Rüstungskonzern, der derzeit die Jahrhundertfusion der Rüstungsriesen Daimler/MBB betreibt, auch in dieser Woche nicht stattfinden. In dem Gespräch zwischen der IG Metall Stuttgart und Esslingen, der VKL und Plakat-Mitgliedern mußten sich letztere angesichts der ansehnlichen VKL-Ansinnen Bedenkzeit zwecks Rücksprache mit der gesamten Plakat-Gruppe ausbedingen. Für Montag morgen um neun ist nun ein weiterer gemeinsamer Gesprächstermin anberaumt. Wenn es dort zu einer Einigung kommen soll, hat sich diesmal wohl die VKL zu bewegen. Und zwar in Richtung „neue Offenheit und Streitkultur“ - nicht weil es Steinkühler will, sondern weil der Gegner „Daimler“ und nicht „Plakat“ heißt.