Klo und Rosen auch

■ Zitroneneis oder Der Fall Bovary: Martin Reinkes Stück über Flaubert, gespielt von Martin Reinke, hatte Premiere im Schauspielhaus

Ich bin kein Mensch, der das Leben genießt. Ich bin geschaffen, es zu beschreiben. Sonst nichts! Das ist mein Himmel. Ich bin nicht, wie ein Geliebter sein soll. Ich habe kein Geschlecht mehr, Gott sei Dank. Bei Bedarf finde ich es wieder, das genügt. Das Herz muß in den Sätzen schlagen, die man schreibt. Machen wir die Kunst zur Religion! Dort muß es zucken...Und ich will lieber wie ein Hund krepieren, als einen Satz, der nicht reif ist, eine Sekunde zu früh abzuliefern, um mich - den Launen meiner Muse preisgegeben in der Revue de Paris gedruckt zu sehen.

Ach, Monsieur Flaubert, es ist nicht mehrere Sekunden zu früh, es ist vor allem, daß uns nur 78 Zeilen bleiben. In denen wir beschreiben müßten, 1) Sie, 2) Ihre Besessenheit vom wahren Schreiben als einem Leben nach dem Tode („Wer das Leben beschreiben will, muß es hinter sich haben“), eine strenge, masochistische Vorstellung („Ich schreibe, wie andere sich peitschen“), die wir hoffnunglos teilen und ablehnen gleichermaßen; und 3)die leidenschaftliche, flaubertinischen Präzision, mit der der Schauspieler Martin Reinke aus Ihren Texten und Briefen ein Stück arbeitet und spielt. Was uns also bleibt: „Journalismus, ausgerechnet. Die Krätze des Jahrhunderts!“

Reinke setzt Flauberts Monolog in dem Moment an, als sich dieser der 'draußen‘ drohenden realen Liebe der Louise Colet, wütend und endgültig entzieht. Als er sich 'innen‘ verbarrika- diert, im Haus, zum Schreiben der „Madame Bovary“. Zum Ersetzen des Lebens durch dessen Beschreibung auch, ein Prozeß des Rückzug, der Qual und der Isolierung, der der religösen Askese nachfolgt und - trotz Alice Miller Paradigma für die Produktion von Kunst bis jetzt geblieben ist.

Gegen das Ansinnen, die Liebe real zu leben, verwahrt sich Flaubert-Reinke, vom Klo aus, mit seiner Theorie von der Literatur; von der Phantasie, die besser ist als Realität, von der Nüchternheit, in der das Trinklied zu reimen ist und dem zentralen Wert der Erforschung des Oben und des Unten und vor allem der Aborte der Gesellschaft: „Dort vollzieht sich ein wunderbare Chemie! Wer weiß, welchen Exkrementensäften wir den Duft der Rosen verdanken.“ Die Litera

turtheorie, verkündet vom Klo, ist kein Gag.

Ob Reinke uns an der Kloszene als intime Voyeure hinten auf der leeren, schwarzen Guckkastenbühne teilhaben läßt, oder ob er dem Publikum in den Sitzreihen auf die Pelle rückt, um ihm Flauberts Sehnsucht nach dem Publikum ins Ohr zu sagen, was immer er tut, es ist nicht intim, sondern Theater, strenges, kalkuliertes Handwerk, am deutlichsten, wenn er, scheinbar, die „vierte Wand“ einreißt, seinen inneren Monolog zum Publikum spricht und damit das real existierende in ein phantastisches verwandelt. Oder wenn er mit einem Fingerschnipsen den Wechsel des Bühnenlichtes regiert. Das in der Regel hart auf ihn und seine paar Utensilien fällt, den Nachtcharakter der Szene nur verstärkend.

Text-, Wort-, Lichtregie, hier stimmt alles. Und ein Sprecher ist zu hören, der einfach alles kann, der die Schafe und Schweinchen des Viehmarktes bruchlos in Emmas und Rodolphes elaborierte Reden beim ersten Rendez-vous quieken läßt, der Pointen steigen lassen kann wie Blasen im Sektkelch und die Lacher im Publikum, ununterdrückbar und je für sich. Ein Präzisionshandwerker wie der große Gustave, von einem Reichtum, der erst sichtbar wird, wenn man ihn alleine auf der Bühne sieht. Das Premierenpublikum hat das ähnlich gesehen, hat nicht nur lang sondern wie ehrerbietig die Hände gerührt.

Uta Stolle

Nächste Vorstellung: 1.6.