100 Jahre Erfassungsfoto

■ "150 Jahre Fotografie" bis um bitterten Ende: "Die Fotografie im Dienst der Polizei" / "Schulfotografie damals und heute" - "Dokument und Erfindung"

Die Ausstellung heißt: „Die Fotografie im Dienst der Polizei“ und meint, was sie damit sagt. Bei der Polizei hat die Fotografie eine Aufgabe, ist eingekeilt und angeschlossen an den Apparat, der sich ihrer bedient, eingesetzt mit dem Blick auf den Erfolg: wenn die Kamera klick macht, sind sachdienliche Hinweise zu erwarten. Wie soll es auch anders sein bei der Polizei. Wo in anderen Fotografenkreisen über die Scheinobjektivität schon so lange nachgedacht wurde, daß eine Erinnerung daran abgewunken wird, wird sie beim Erkennungsdienst auf das Schild gehoben, herausgekehrt und festgeklopft, „um dem Gericht die Tatsachen in wirksamer und überzeugender Weise zu unterbreiten; für die polizeiliche Arbeit ist die Fotografie zur Feststellung objektiver Tatsachen ein ideales und unverzichtbares Hilfsmittel“ (aus der Broschüre zur Ausstellung). Fast überflüssig zu sagen, daß diese objektiven Tatsachen erst hergestellt werden durch das Bild, das sich das Objektiv macht - und dahinter steckt immer noch ein geschultes Auge.

Und ein auswählendes Auge dazu: auf einer Stellwand wird spontan eintretende Emotion beim Anblick auf geschlagene Kinder weitergeleitet auf das Umfeld der Tat. Die geschundenen Kinder werden mit Kinderreichtum, Armut, verdreckten Küchen und heruntergekommenen Wohnstuben verbunden. Daß dieses erniedrigende Zustände sind, und die Kinder darin doppelte Opfer, die der Armut und die der Aggression der Eltern, die an ihren Körpern wüten, dies wird zum erschwerenden Beweis, nicht zur Erklärung: geschlagen wird erst von der Sozialhilfe abwärts. Das ist eine gerichtsverwertbare Botschaft, die seltener gehört wird, wenn der weiße Wirbelwind in gepflegter Atmosphäre zuschlägt.

Ein Hoch der Paßform

Wie unwirklich die Objektivität von Polizeibildern ist, wird deutlich bei den „Täterfotos“, die die „Verbrecheralben“ füllen. Verbrecheralbum, weil tatsächlich jeder wie ein Verbrecher darin aussieht. Allein der Umstand, als Abgebilderter in den Händen der Fahndung zu liegen, stigmatisiert den Porträtierten als Gangster und Gauner. In den Alben zu blättern, muß den Geschmack von Warenhauskatalogen haben: Man sucht zur Tat den richtigen Täter aus.

Hinter Glas liegt ein solches Album von 1910. Ein Brustbild pro Person ist in en-face-Ansicht eingeklebt zwischen geraden, mit Bleistift und Lineal gezogenen Linien. Daneben stehen der Name und das Geburtsdatum der Person. Dieses Verfahren ist allerdings 1910 veraltet. Alphonse Bertillion, Leiter des Pariser Erkennungsdienstes in den 1880er Jahren, hatte damals ein System zur fotografischen Erfassung seines Klientels erfunden. Dieses System, die Bertillonage, wurde um die Jahrhundertwende europaweit eingeführt, in Berlin 1881, und machte den Erkennungsdienst über die Grenzen hinweg kompatibel.

Bertillion konstruierte einen Apparat (siehe Abbildung), der bis in die siebziger Jahre dieses Jahrhunderts noch gebräuchlich war; ein Exemplar ist in der Ausstellung zu bewundern. Über diese „Fotoausrüstung für kriminalistische Personenaufnahmen“ berichtet die Herstellerfirma Globus -Stella in ihrer Broschüre: „Sie besteht aus einem Podest mit Linoleumbelag, 350 Zentimeter lang und 65 Zentimeter breit„; an dem einen Ende des Podestes befindet sich „eine Drehscheibe, auf der ein Stuhl mit vier Eisenwinkeln fest montiert ist. Die Drehscheibe ruht auf fünf Eisenrollen, welche auf einer Metallschiene laufen, zur leichteren Drehung von der Front- zur Profilaufnahme. Der Stuhl ist aus Hartholz, stabil gebaut. An der feststehenden Rückenlehne ist ein Kopfhalter angebracht sowie eine verstellbare zweite Rückenlehne. Sitzleisten an Stuhl und Rückenlehne zwingen die Person automatisch in die richtige Position.“ Auf der anderen Seite des Podiums ist eine feststehende Kamera installiert, nur in der Höhe verstellbar. Dieser Apparat ermöglicht eine normierte und standardisierte erkennungsdienstliche Porträtfotografie.

Aufgenommen wurden im Maßstab 1:7 zuerst Profil- und en -face-Ansichten, später kam - um ein möglichst vollständiges Bild vom Porträtierten zu bekommen - die Halbprofil-Ansicht hinzu. Die Vereinheitlichung der Fotos ging dabei bis zur Ausleuchtung.

Die Polizei ist offensichtlich stolz auf diese Errungenschaft und räumt dem Verfahren in der sonst kleinen Ausstellung großen Platz ein. Wie die Wirkung dieses Verfahrens bei denen ist, die fotografiert wurden, beschreibt Ernst Toller: „Man führte mich zum Polizeifotografen. Ich muß mich auf den eigens dafür hergerichteten Stuhl setzen - der Stuhl dreht sich in einer Achse - auf dem Sitz genagelt drei kantige Hölzer, an denen Nummern aufgehängt werden. Alle Männer benehmen sich pathetisch, betonen die Würde ihres Berufs. Die Situation kommt mir komisch vor. Der Fotograf stupert mir eine schäbige Reisemütze auf den Kopf. Ich begreife nicht warum. Später, als mir Bilder in den Zeitungen in die Hände fielen, begriff ich es: man brauchte Verbrecherbilder, die abstoßen sollten.“

(Dieses Zitat und die Abbildungen stammen freilich nicht aus der von der Polizei organisierten Ausstellung, sondern dem Kapitel: Steckbriefe und Polizeiaufnahmen von Räterepublikanern, entnommen dem Katalog Revolution und Fotografie, München 1918/19, Nishen-Verlag.)

Wenn Toller davon schreibt, daß man Verbrecherfotos herstellen wollte, verweist das auf die generelle Inszenierung von „Täterfotos“: gerade weil im Erkennungsdienst das Porträt herabgewürdigt wird auf die äußeren Zeichen eines Gesichts, auf eine Ansammlung von wiedererkennbaren Eigenheiten zur bloßen Identifizierung, stellt es die polizeiliche Behandlung von Verbrechen aus. Auf diesen Fotos ist jeder schuldig im Sinne der Anklage, die ihre Objekte fest im Visier hat. Am Ende der Broschüre zur Ausstellung verrät die Polizei: „Der Besucher der Ausstellung wird sicherlich dafür Verständnis haben, daß die Fachleute in diesem Bereich zugunsten der Verbrechensbekämpfung nicht alle Finessen der Fotografie preisgeben wollen.“ Was so klingt wie ein Augenzwinkern, daß man nicht nur die Gegner nicht informieren will, sondern auch noch viel mehr kann, als man zugibt, hat einen weiteren Kern - im Grunde ist die Fotografie in diesem Metier veraltet. Videokameras besorgen das Geschäft besser. Mit ihnen können nicht nur Fotos gemacht, sondern auch Bewegungsabläufe, Verhalten, Gestik und Mimik der Fahndungsobjekte festgehalten werden. Das wird wohl die Zukunft sein bei der Polizei, die ja immer dazu tendiert, alles möglichst total im Griff zu haben.

Hingestellt und losgeknipst

100 Jahre Schulfotografie ist auch ein schönes Jubiläum, woher es kommt, konnte ich allerdings nicht in Erfahrung bringen. Für die Landesbildstelle aber ein Grund, das Schäflein ins Ausstellungstrockene zu bringen.

Die Geburtsstunde der deutschen Schulfotografie schein auf das Jahr 1928 anzusetzen zu sein. Damals ergab sich folgender Ministererlaß: „Da seit einiger Zeit die praktische Betätigung von Schülern und Schülerinnen auf dem Gebiete der Fotografie einen immer größeren Umfang annimmt, erscheint es angebracht, daß die berufenen Kreise diese sehr zu begrüßende Bewegung in die richtigen Bahnen lenkt.“ So der preußische Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung 1928 in einem Erlaß an die Schulen.

Es geht auch hier um die Dienstbarmachung des Mediums Fotografie. Diesmal für die Pädagogik. Losgelöstes Herumgeknipse soll, bevor es dem pädagogischen Auge entgeht, in die richtigen Bahnen berufener Kreise überführt werden und wer ist da berufener als der beamtete Lehrer. Wer glaubt, hier ginge es nur um die Erlernung der Technik, liegt falsch, denn das Motiv ist nebenher die Erziehung. Gelernt wird aufs Ziel: Scharfeinstellung geübt am Thema des sauberen Schulhofs. So fragt die Ausstellung in der Landesbildstelle weniger nach der Geschichte der Schulfotografie als nach ihrem pädagogischen Einsatz heute; an den Stellwänden werden darum gelungene Unterrichtseinheiten vorgeführt, die das vorbeikommende Kollegium zum Weitermachen auffordern sollen. Das Gymnasium ist unterwegs in die Speicherstadt, Arbeiter fotografieren; der Kunst-Kurs schmeißt sich in die Klamotten, um abgebildet zu werden.

Wie in der Polizeiausstellung wird hier stolz vorgezeigt, der Nutzen der Fotografie für die Allgemeinheit bewiesen. Hinterfragt wird nichts, die Bastelanleitung liegt beim Pförtner aus.

Schönes Deitschland

Auch bei Dokument und Erfindung wird auf das eigentliche Jubiläum noch eines draufgepackt, 40mal BRD. Gemeint ist mit dem Titel der Ausstellung nicht mehr, als daß neben Dokumentarfotografien aus den Jahren der Republik solche Fotografien gehängt sind, die sich des Mediums künstlerisch bedienen. Was wohl ein Spannungs- und Bezugsfeld errichten soll, wirkt eher unvermittelt nebeneinander gehängt und gestellt. Die Einladungskarte wenigstens findet höhere Worte: „Zwei fotografische Realitätsebenen werden auf diese Weise sichtbar: auf der einen Seite die Reportage politisch -sozialer Verhältnisse in der BRD seit 1945, auf der anderen Seite die Vorstellungen und Visionen einer neuen und idealen Bilderwelt.“

Was eine ideale Bilderwelt ist, wird man mir wahrscheinlich mein Lebtag nicht beibringen können. Auf dieser Seite der Ausstellung ragt eine Serie von Fotomontagen von Annegret Soltau heraus. Wobei Fotomontage nicht das richtige Wort ist, es handelt sich eher um Fotonäherei: Annegret Soltau klebt die einzelnen Bruchstücke nicht nebeneinander, sondern näht sie zusammen. Die Bilder, die dadurch entstehen, sind narbige Wesen; Gesichter werden zu mühsam zusammengebrachten Ansammlungen einer mißlungenen Schönheitsoperation, bei der die Einzelteile falsch zusammengesetzt wurden.

Auf dem durchlässigen Zaun zwischen Dokument und Erfindung sitzt Robert Häusser. Sein Sujet ist die zersiedelte und von den Spuren der technischen Zivilisation durchdrungene Landschaft. Er erfindet nichts in seinen Bildern, weder die schnurgeraden und von Leitpfählen flankierten Straßen noch die Aufbau-Architektur, an der die Straßen vorbeilaufen. Doch er bearbeitet sein Material so, daß die Grauwerte auf den Fotos radikal reduziert werden auf die äußersten Pole von Schwarz und Weiß. Das Ergebnis sind Bilder, die die Architektur und das Land zu bedrohlichen Gespenstern machen.

Die Reportagefotos beginnen mit dem Ende des Faschismus, mit Bildern von der Zerstörung Deutschlands und Aufnahmen von Pabel und Strache. Die Republik ist auf den Trümmern geboren, und der Deutsche ein Opfer nur. Eine Frau schiebt einen zugedeckten Kinderwagen entlang der Ruine eines Kinos, das zuletzt „Reise in die Vergangenheit“ gab. Sie selbst ist bedeckt mit einer über den Kopf gezogenen Wolldecke, vor dem Gesicht eine Gasmaske - ein Zombie auf dem Weg in Sicherheit. Daneben Bilder vom Luftangriff auf Remagen. Dunkle Gesichter, verschattet von Mänteln und Decken; duckende, kauernde und aneinandergeklammerte Körper; eine auseinandergesprengte Stadt, deren einstige Urbanität nur noch an der Höhe der Schuttberge abzulesen ist, aus denen manchmal Zeichen von Fassaden herausragen. Die Bilder kehren das Leid der Heimatfront heraus und sagen damit nur die halbe Wahrheit über den deutschen Krieg, der zuerst Menschen in Polen, Frankreich, Rußland tötete.

Nach diesen Bildern kommt zum Glück nicht der große Siegeszug schaffender Hände, ordentlicher Zupackerei und wer viel Arbeit getan hat, darf als Wirtschaftswunder auch mal feiern. Herausgestellt wird die andere Seite der Republik, Themen sind: Zechenschließung, Polizeieinsätze, Obdachlosigkeit, ziviler Ungehorsam. Fotos aus der Mitte linksliberaler Illustrierter, die soviel Unmut erzeugen, wie sie für eine Friedensdemonstration gebraucht wird.

Dazwischen aber begegnet man Ingeborg Bachmann auf vier Fotos. Auf drei kleineren Bildern ist sie selbstbewußt, sitzt auf einem Stuhl, blickt offen in die Kamera und lacht. Auf dem vierten, größeren Foto wirkt sie plötzlich wie zusammengesunken, der Kopf ist gesenkt und ihre Blicke scheinen auf ihre Hände zu gehen, die auf den übereinandergeschlagenen Knien liegen. Um sie herum stehen im Halbkreis die Männer aus Politik und Kultur von Henze über Grass zu Brandt.

Volker Heise

Die Fotografie im Dienst der Polizei, Platz der Luftbrücke 6, 1-42, bis Mitte Juni geöffnet, Mo-Mi 10-12 sowie 14-16, Do u. Fr 9-14 Uhr.

Rudolf Herz, Dirk Halfbrodt: Revolution und Fotografie, München 1918/19, Katalog zu einer gleichnamigen Ausstellung in München, Verlag Dirk Nishen, 58 Mark.

Schulfotografie damals und heute, Landesbildstelle, Wikingerufer 7, 1-21, bis zum 3.6., täglich 9-20 Uhr.

Dokument und Erfindung, Galerie Haus am Lützowplatz, Lützowplatz 9, 1-30, bis zum 28.5., Sa/So 11-18 Uhr.