Die Einsamkeit des Funktionärs beim Entscheiden

■ Die AL-Basis rügt mangelnde Transparenz der Fraktionsarbeit im Rathaus / Fraktion beruft sich auf Überlastung: „Neinsagen reicht nicht - heute müssen wir die Vorlagen und die Kosten genau kennen / Die Funktionäre sehen nicht nur Niederlagen, sondern auch Erfolge

Eigentlich wollte die Alternative Liste auf ihrer ersten Mitgliedervollversammlung nach der Regierungsbildung über ihre Strukturen reden. Doch der Diskussions- und Entscheidungsbedarf war offensichtlich gering. Die zunächst hitzig geführte Debatte über die Einführung einer Landesdelegiertenkonferenz war in den letzten Wochen wieder abgeflaut. Und so wurden am Samstag im Oberstufenzentrum in der Kreuzberger Wrangelstraße nur zwei Einzelpunkte in der Satzung geändert. Mit großer Mehrheit sprachen sich die kaum 200 Anwesenden dafür aus, daß die Amtszeit des Geschäftsführenden Ausschusses (GA) von einem auf zwei Jahre verlängert wird. Außerdem bekommt der GA zwei Bruttojahresgehälter auf der Basis des Einheitslohns (2.400 Mark) zur Verfügung gestellt. Der neue GA wird auf der nächsten Mitgliederversammlung am 18. Juni gewählt. Erstmals wollen auch die „Grünen Panther“, die als Strömungsgruppe im GA bislang nicht vertreten sind, KandidatInnen stellen.

Kern der MVV aber war eine - außerhalb der Tagesordnung eingeschobene - politische Debatte über zwei Monate AL -Regierungsbeteiligung. Anlaß waren die scheinbaren Koalitionskrisen der letzten Wochen: RVK, Deutsches Historisches Museum, die Häuserräumungen und die Entscheidung der Fraktion, als Kompromiß zum Südübergang am Schichauweg die Öffnung der Grenze an der Waltersdorfer Chaussee vorzuschlagen. Letzteren Entschluß hob die MVV auf, er widerspreche der AL-Position nach möglichst vielen Übergängen.

Über Inhalte und politische Perspektiven von Rot-Grün wurde dann allerdings nicht geredet. Die Debatte geriet vielmehr zur Funktionärsschelte. Die Basis beklagte mangelnde Transparenz und fehlenden Informationsfluß. Die FraktionärInnen, Senatorinnen und Staatssekretäre würden „einsame Entscheidungen“ treffen, die Bereiche und Bezirke der Partei seien von allem abgeschnitten. So kämen auch Beschlüsse zustande, die nicht AL-Position seien oder gar in „krassem Gegensatz“ (Margarete von Galen) dazu stünden wie beispielsweise die Reise der Umweltsenatorin Schreyer zum amerikanischen Präsidenten. Immer mehr würde die Partei ihre Strukturen denen anderer Parteien anpassen - von Basisdemokratie könne keine Rede mehr sein, meinte die Kreuzbergerin Schäfers. Und Kunzelmann forderte, den „permanenten Unterwerfungsprozeß der AL gegenüber der SPD“ zu unterbinden.

Unisono wiesen die so harsch kritisierten Funktionäre die Vorwürfe zurück. Fraktionsgeschäftsführer Jürgen Wachsmuth wehrte sich gegen das „latente Mißtrauen“, das den immerhin von der Basis gewählten PolitikerInnen entgegengebracht werde. Und die Fraktionsvorsitzende Heidi Bischoff-Pflanz beschrieb plastisch die „Sachzwänge“ und den „Zeitdruck“, unter denen die AL Fraktion stehe, seit sie eben nicht mehr Opposition, sondern Regierungspartei ist. Früher habe man einfach das Haar in der Suppe gesucht und Nein gesagt. „Heute müssen wir jeden Satz einer Vorlage genau durchlesen und vor allem rechnen, was es kostet.“ Doch man stieß bei der Basis auf taube Ohren, eine Assistentenstelle für die Vorbereitung der Senatssitzung wurde abgelehnt.

Der Vorständler Christian Ströbele suchte wie immer die Vermittlung. Er hält die Kritik der Basis für berechtigt. Es sei auch in Ordnung, Funktionären gegenüber mißtrauisch zu sein. Bloß, meinte er weiter, man könne jetzt nicht den ganzen „Frust“, der durch die Niederlagen bei verschiedenen Entscheidungen der letzten Wochen und die Regierungsarbeit entstanden sei, auf den FunktionärInnen abladen. Wie schon Margarete von Galen und die Abgeordnete Renate Künast wies auch Ströbele auf tatsächliche Erfolge hin, die durch die Regierungsbeteiligung der AL erzielt worden seien. „Tempo 100“ auf der Avus, die Umweltkarte bei der BVG, die Tatsache, daß nun endlich der Moabiter Sicherheitsbeauftrage Astrat versetzt würde, und die „gute Aktion“ von Parlamentsvizepräsidentin Hilde Schramm. Das alles seien „Signale“, die vorstellbar machten, wie es weitergehen könne. Und Bernd Köppl warf die Ansprüche der Basis an die Entscheidungsmacht der Parlamentarier zurück. Den Übergang Schichauweg könne nicht die Fraktion verhindern. „Das geht nur, wenn jetzt ihr alle mit Druck macht auf die SPD.“

bf