Zwischen den Rillen

 ■  Ethno-Pop aus Bayern und Preußen

Krause's Cafe in New Braunfels/Texas ist ein kastenartiger Bau, der vorne mit wirr aufgenageltem Fachwerk nebst Butzenscheiben blendet, sich von der Seite aber deutlich als Garage zu erkennen gibt. Einmal mehr wird klar: Die deutsch -amerikanischen Import-Export-Verhältnisse sind verwickelt und nicht ohne Blüten. Da kann es halt passieren, daß der Heimatzunge nicht mehr ganz mächtige Nachkommen süddeutscher Einwanderer in Pennsylvania sich auf ihren Schunkelparties mit der Frage euphorisieren: „Ist das nicht ein Schnitzelbank? Jaaa, das ist ein Schnitzelbank!“ Hauptsache „Reifenrock“ reimt sich noch auf „Geißenbock“ und „Hochzeitsring“ auf „Dappich Ding“. So fremd ist einem das von der hiesigen Folklore ja auch wieder nicht.

Eher unklar dagegen, warum nicht mehr junge Menschen einen zweifellos beträchtlichen Teil ihrer Freizeit damit verbringen, das im Studio mit allen Bru-ha-ha-has und Ho-ho-ho-hos und unter Aufbietung sämtlicher im Orffschen Singspielkreis erworbenen Fertigkeiten Note für Note nachzuspielen. Dem Leistungsdenken zum Spott? Mit tieferem Anliegen? Einfach so? Wahrscheinlich hat die Subversion hier wieder so subtile Dimensionen angenommen, daß sie sich auch noch im Herrgottswinkel gut aufgehoben fühlt. „Dekonstruktion“ ist das seit Jahren durch die einschlägigen Blätter geisternde Stichwort, mit dem solch freischwebendes Musizieren auf den Begriff gebracht werden soll

Erkannt, um wen es geht? Ja, es ist die Freiwillige Selbstkontrolle, ethnisch zusammengesetzt aus zwei Wahl- und zwei Stamm-bayern, Herausgeber des Periodikums 'Mode und Verzweiflung‘ und ganz nebenbei wohl eine der letzten Combos, die auf Framus-Gitarren schwören und sowohl Hammond -Heimorgel als auch Mittenwald-Geige in ihrer historischen Bedeutung zu würdigen wissen. Seit Jahren schon sind sie im Einsatz fürs deutsch-amerikanische Liedgut - in ihm, um es und um es herum.

Doch Überbau hin, Dekonstruktion her, diesmal klingt das Resultat sehr nach Studentenulk: „M wie München, M wie Melanie, und eine weiße Rose auf deinem zarten Knie, M wie München und Mensur„; die Platte als Bierzeitung. Verballhornung heißt das altmodische Wort dafür (wär auch mal eine schöne Aufgabe für FSK, dem Wortstamm nachzuforschen). Und bloß weil Förderer John Peel einen Narren daran gefressen hat, muß man doch nicht immerzu jodeln!

Jaujau, okay, Verblödung hat heutzutage auch paradiesische Dimensionen. Bloß hol ich mir das Quantum lieber direkt vom Erzeuger, aus dem Tagesgeschehen selbst. Die Platten von FSK dagegen landen nach zweimaligem Auflachen in 50 Minuten ziemlich schnell weit hinten im Plattenstapel.

Radikaler Schwenk nach Preußen. In Berlin lebt eine Truppe namens Verbrechen und die Stadtlösung. Wie die meisten Berliner sind sie gar nicht von da, sondern aus Australien oder sonstwoher. Es muß aber doch Berlin sein, das das mit den Leuten macht. Jedenfalls wird wieder mal hartnäckig an der Vertonung von Nachttiermythen gearbeitet. Statt Biergarten, Thekenstehen, Klogeriesel, Schlachtenmalerei. Ein schwerpathetischer Sound, in dem unablässig Weltreiche untergehen - mindestens eins pro Stück. Quälend langsam klagt der Sänger sich in Form. Prozessionsartig zieht die Band mit. Vom fernen Horizont her wabert der Bowie der Heroes- und Low-Phase. Dazu noch eine vergreinte Geige, die irgendwelchen verlorenen Träumen nachhängt, und fertig ist ein „in sich geschlossenes, abwechslungsreiches, sinnliches und schauerliches Kunststück“ (Plattenfirma). Mehr noch: nichts Geringeres als „eine Art 'Kommunistisches Manifest‘ einer idealistischen, aber schiefgelaufenen Vision“ soll das Eröffnungsstück The shadow of no man sein. Das Touren in Ost und West habe der Gruppe das „unterschwellige Gefühl gegeben, daß irgend etwas außer Kontrolle geraten sein muß“.

Leider sind die kathedralischen Gefühle, zu denen an sich gut frühstücken ist, nur im Einheitspack mit allerlei wirren, aber weltumspannenden Denkgebilden zu kriegen. Daß es dabei auch um massenhaften Aufbruch in eine Neue Welt geht, kann hier nurmehr angedeutet werden. Interessant vielleicht noch, daß sich in puncto Ethno-Pop Berlin und München dann doch wieder nahekommen. Die Bride-ship -Trilogie - so die offizielle Verlautbarung - „basiert locker auf einem armenischen Lied für Flöte, dessen orphane Melodie die armenische Volksseele (wahrscheinlich) sehr gut beschreibt“.

Thomas Groß

Freiwillige Selbstkontrolle, Original Gasman Band (Zickzack)

Crime&The City Solution, The Bride Ship (Mute/Intercord)