Fußballern mit Empor, Traktor, Dynamo

Deutsch-deutscher Fußball von unten: Eine Elf der Bunten Liga Aachen war auf inoffizieller DDR-Tournee  ■  Von Bernd Müllender

„Der Generalsekretär des ZK der SED und Vorsitzende des Staatsrates der DDR, Erich Honecker, sowie zahlreiche weitere sportfreudige Mitglieder der Partei- und Staatsführung begrüßten die Fußballer des 'Aachener Volkssportkollektivs‘ Bunte Liga zu ihren Gastspielen in unserer Republik auf das herzlichste. Tausende von verdienstvollen Werktätigen hatten auf den Tribünen zur ersten Begegnung für Frieden und Völkerverständigung Platz genommen, als der Schiedsrichter...“

Kein Zweifel, so - oder ähnlich - hätte der Aufmacher des „Neuen Deutschland“ ausgesehen, wenn die Reise der Aachener Szenefußballer Anfang Mai offiziell gewesen wäre. Tatsächlich war alles, natürlich, ein bißchen anders. Dem Trainer der Dresdner Mannschaft waren Nervosität und Unsicherheit deutlich anzumerken. Keine Fotos bitte, keine Filmaufnahmen, und die Trikots „Bunte Liga Aachen - DDR-Tour 89“ sollten bloß im Koffer bleiben. Kein Aufsehen, keine unnötige Provokation, schließlich könne der Stasi überall sein, und die fünf Autos mit Aachener Kennzeichen vor dem Fußballplatz seien schon gefährlich genug.

Streng geheim

Seiner eigenen Mannschaft hatte er erst eine halbe Stunde vor Spielbeginn verraten, daß man gegen eine Westmannschaft spielen werde; zuviele Mitwisser hätten die Begegnung unnötig gefährden können. Wenn es in Deutschland fußballerisch Ost gegen West geht, ohne offizielle Genehmigung, dann werden ganz banale Balltritte schnell zur geheimen Kommandosache. Spieler des Buntligisten „Roter Stern Sowiso“ hatten die Idee zur Reise in den Osten. Private Kontakte waren da, und so ließen sich 20 Alternativkicker (vom Roten Stern, von Kullen Nullen, Partisan Eifelstraße und Juventus Senile) von verschiedenen Leuten in der DDR einladen. Ein bislang einmaliges Unterfangen: Fußball Ost gegen West, von unten statt mit Weihen von oben.

Das derbe Schuhwerk mit den Schraubstollen im Koffer erregte bei den gestrengen Grenzposten weniger Mißtrauen als befürchtet, und das Gastgeschenk „Bunte Liga Echo Zentralorgan der undogmatischen und autonomen Leibesübungsbewegung Aachens“ mag wohl vertraut geklungen haben und passierte die Kontrollen problemlos als „30 Fußball-Fachzeitschriften“. Fußball zu spielen ist ja nichts Verbotenes oder sogar Politisches, kein zersetzendes Unterfangen des Klassenfeindes, vor dem DDR-Behörden Angst und Bange werden müßte. Aber es ist eben nicht mit Amtssiegel erlaubt, was schwer wiegt in Deutschland, dort noch mehr als hier.

Nur etwa zwanzig innerdeutsche Fußballspiele pro Jahr bekommen aus Ostberlin ihren Segen. Wünsche gibt es zu hunderten, da durfte niemand hoffen, daß ausgerechnet Teams aus so einer merkwürdigen Vereinigung wie einer Bunten Liga auserwählt würden. Was sollte man da sonst tun: Wir dürfen nicht zu Euch, sagte einer der Gastgeber, da müßt Ihr eben zu uns kommen. Dennoch waren es ungewohnte Balltritte. Die DDR-Spieler - mal Betriebssportler, mal ein flinkes Alte -Herren-Team, mal eine junge Kreisligamannschaft - schienen (vom Dresdner Trainer anfangs abgesehen) unbekümmerter an die Spiele heranzugehen als ihre Aachener Gegner. Ankommen, umziehen, spielen, duschen, dann stundenlange Palaver und Diskussionen, schließlich ein herzliches Aufwiedersehen, fertig.

Der pfiffigste Coup fiel aus

Berechenbar ist das Verhalten der DDR-Behörden nicht: Der pfiffigste Coup fiel nämlich aus - ein Spiel in Naumburg, Aachens Partnerstadt. Ein Gegner war schon gefunden, die Unterkunft vorläufig zugesagt, da kam am Tag der Ankunft in Ostberlin die Absage, ohne Angabe von Gründen. Wieder Anlaß zu Spekulationen: war der DDR das Vorhaben zu spektakulär, war es Zufall oder hatte gar die mißgünstige Stadt Aachen ihre Finger im Spiel? Dorthin war nämlich drei Wochen vor der Reise ein Antrag auf Fahrtkostenzuschuß und Trikotsponsoring gegangen, und hatte die Beamten vor große Rätsel gestellt: wie konnte es ausgerechnet diese Bunte Liga schaffen, in Naumburg ein Spiel zu organisieren, was schon unzählige Male offiziell, auch mit Fürsprache höchster Aachener Stellen, gescheitert war.

Allein Bürgermeister Jürgen Linden erzählte von drei Versuchen von höherklassigen Vereinsmannschaften, die aber jedesmal an der zentralen Ostberliner Strichliste gescheitert waren. Schon hierzulande fällt es manchem schwer, sich unter einer selbstverwalteten, autonomen Fußballiga etwas vorzustellen, fernab von allen normalen Organisationsformen in hierachischen Verbänden, von Trainingsstreß, Funktionärsgehabe und Vereinsschweißambiente. Für die drei Aachener Gegner in Ostberlin, Dresden und Lichtenhain in der sächsischen Schweiz war „Bunte Liga“ erst recht etwas merkwürdiges: Volkssportgemeinschaft sagten sie, und fragten, ob es mehr ein fußballerndes Volkskollektiv sei.

Mit dem Begriff Linke Szene wußten sie wenig anzufangen, und so begrüßte der Schiedsrichter des Dresdener Spiels vereinfacht eine „Stadtauswahl aus Aachen“. Vieles gab es zu erklären bei sozialistischer „Bockwurst und Bier“, beim stark sächselnden Schwätzchen nach dem Abpfiff, oder beim langen Abend in einem Hinterhof-Clubheim, wo nach vielen Bieren einer aus der kleinen autonomen Szene zur Gitarre griff, und von der Freiheit sang, die unter den Wolken wohl grenzenlos sein müsse, wenn...

Fußball, der Anlaß, war bald zur Nebensache geworden. Erst im nachhinein ahnten die Aachener Kicker, wie kreativ und improvisationsfähig die Gastgeber gewesen sein müssen, um in einem Land wie der DDR diese Tour auf die Beine zu stellen. In einem Land, in dem Phantasie und Kreativität verboten scheinen, in dem für unsere Verhältnisse alles entsetzlich kompliziert und gemaßregelt ist: allein für 20 Leute Unterkunft, Verpflegung und vor allem die verbotenen Spiele teilweise über 300 Kilometer Entfernung hinweg zu organisieren, wenn nur jeder zehnte ein Telefon besitzt, und das alles teilweise unter der Hand, war bewundernswert.

Gemeinsamer Austausch

Aber alles funktionierte, vor allem der „gemeinsame Austausch“, wie das Gespräch drüben heißt, und die vielen Kontakte zu so vielen verschiedenen Menschen in diesem nahen fremden Land. Fußball muß eben nicht immer nur wie Fußball sein. Drei Bilanzen zum Schluß. 1. Deutsch-deutsch, sportlich: Die Spiele endeten insgesamt 10:6 für die Bunteliga-Auswahl, bei zwei (recht glücklichen) Siegen und einem Unentschieden. 2. Westdeutsch, medial: Die „Aktuelle Stunde“ (WDR-Regionalfernsehen) brachte einen sehr ge lungenen, fast zehnminütigen Beitrag. Und 3. Ostdeutsch, polizeilich: Eine Mitorganisatorin des Lichtenhainer Spiels wurde schon zwei Tage danach belehrt, in Zukunft möge sie solche Westspiele doch bitte anmelden. Was aber leider einem Nein gleichkäme.

Immerhin hat es bis heute keine weiteren Behörden -Reaktionen gegeben. Die DDR kann also liberaler sein als ihr Ruf. Und ein Ausblick: Im Juli fährt „Dynamo Windrad“ aus Kassel, jene Mannschaft, der wegen ihres vermeintlich politischen Namens die Aufnahme in den reaktionären Deutschen Fußballbund verweigert wurde, dahin, wo ihr Name geläufiger ist: auf Gastspielreise nach Moskau und Leningrad. Allerdings offiziell auf Einladung.