„Hohe Kirchenkreise haben Touvier beschützt“

Barbie-Advokat Jacques Verges über einen eventuellen neuen Prozeß gegen den französischen Kollaborateur Paul Touvier  ■  Von Alexander Smoltczyk

Vergangenen Mittwoch wurde in einem Kloster in Nizza der Nazi-Kollaborateur Paul Touvier festgenommen (vergl. taz vom 25.5.), der in Lyon unter der deutschen Besatzung an Geiselerschießungen und der Verfolgung von Juden maßgeblich beteiligt war. Falls es jetzt, nach dem Barbie-Prozeß, zu einer neuen Verhandlung über „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ zur Zeit des Vichy-Regimes kommen sollte, würden mit Touvier auch kollaborierende Kreise der katholischen Kirche vor Gericht stehen, denn die sorgten dafür, daß der als Kriegsverbrecher gesuchte Touvier immer Obdach und Auskommen gefunden hat.

Jacques Verges hatte 1987 als Anwalt von Klaus Barbie versucht, aus einem Prozeß, der den Opfern Gerechtigkeit zuteil werden lassen wollte, eine Abrechnung mit der französischen Gesellschaft vorzunehmen, die zu einem nicht geringen Teil mit den Nazis kollaboriert hatte. Zur Zeit steht er wieder in Lyon vor Gericht - als Verteidiger der Lyoner Sektion der „Action Directe“.

taz: Wird es nach der Festnahme Touviers einen zweiten „Barbie-Prozeß“ geben?

Verges: Ein Prozeß gegen Touvier wäre insofern interessant, als dann nicht mehr möglich wäre zu sagen, der Verantwortliche war ein „Sale Boche“, ein Nazi-Deutscher, und somit von der französischen Gesellschaft zu abstrahieren. Aber die Verwaltung, die Universitäten und die Kirche waren unter der Okkupation notwendigerweise in Kontakt mit den deutschen Behörden. Paul Touvier war Franzose und Mitglied der Miliz, einer offiziellen Organisation also, deren Chef den Rang eines Staatssekretärs innehatte. Ein Prozeß könnte also einen objektiveren Zugang zur Rolle Frankreichs während der Besatzung erlauben, wie er bis heute noch nicht stattgefunden hat. Allerdings befürchte ich, daß mit dem Prozeßbeginn solange gewartet wird, bis Touvier gestorben ist.

Wie ist es zu erklären, daß ein gesuchter Kriegsverbrecher vierzig Jahre lang in Frankreich und den angrenzenden Ländern unentdeckt leben konnte?

Touvier ist vierzig Jahre lang von hohen Stellen in der französischen Kirche protegiert worden, und nicht etwa nur von dem integristischen Teil der Kirche, den es als solchen ja erst seit zehn Jahren gibt. (Der im Juni 1987 verstorbene, d. Red.) Monseigneur Duquaire, der Touvier maßgeblich unterstützt hat, war Sekretär des Bischofs von Lyon, später dann von Kardinal Villaud im Vatikan. Als Staatspräsident Pompidou Touvier 1971 begnadigte und dieser für kurze Zeit frei war, war seine offizielle Adresse das Bischofsamt von Lyon!

Nun gibt jedoch es verschiedene Gründe, einen Flüchtigen aufzunehmen...

Weshalb Touvier protegiert wurde - das ist jetzt die spannende Frage. Entweder es gab ehrenwerte Gründe - dann muß die Kirche sie offenlegen. Oder es waren weniger noble dann ist es an der Kirche, ihre Perestroika zu machen. Bislang schweigt sie.

Als Organisator eines geheimdienstlichen Netzes könnte Touvier auch über Informationen verfügen, die unangenehm für manche Nachkriegspolitiker sein könnten.

Es ist klar, daß Touvier der Geheimdienstmann der Miliz gewesen ist und über enorme Informationen verfügt. Bei seiner Verhaftung wurden ganze Koffer mit Dokumenten sichergestellt, die einige Politiker kompromittieren können.

Sollte es einen Prozeß geben, würden Sie als Verteidiger des französischen Kriegsverbrechers Touvier fungieren?

Touvier hat mich nicht darum gebeten. Ich hätte es allerdings akzeptiert, und zwar nicht, um die Taten Touviers zu verteidigen, sondern um seine Verantwortung als mittlerer Kader der Kollaboration in den Zusammenhang der französischen Gesellschaft dieser Zeit zu stellen. Es wäre verhängnisvoll, aus Touvier einen Einzelfall zu machen.