Repressionswelle in El Salvador

Durchsuchungen bei Gewerkschaften und Menschenrechtsorganisationen / Gewerkschaftsführer festgenommen / Polizei fahndet nach FMLN-Guerilleros / Übergriffe auf Zivilbevölkerung  ■  Aus San Salvador Ralf Leonhard

Das Lokal des Gewerkschaftsdachverbandes Fenastras in El Salvador ist von Uniformierten abgeriegelt. Auf dem Kunsthandwerksmarkt gegenüber stehen Polizisten mit M-16 Gewehren im Anschlag. Beamte der Nationalpolizei haben sich Freitag früh mit einem Durchsuchungsbefehl Zutritt verschafft und forschen nach Waffen und Guerilleros. Einzig eine Handvoll Eisenstangen und eine Kiste mit zusammengeschweißten Stahlhaken, sogenannten „miguelitos“, wie sie gelegentlich für Verkehrssabotage auf die Straße gestreut werden, können sie beschlagnahmen. Der Friedensrichter Guillermo Gutierrez, der zur Durchsuchung beigezogen werden mußte, sieht keinen Anlaß für Festnahmen: „Es wurden keine gefährlichen Waffen sichergestellt.“

Zur selben Zeit waren der Genossenschaftsverband Coaces, der Gewerkschaftsverband FUSS, die Bauernvereinigung ACC und die Menschenrechtskommission CDHES Ziel ähnlicher Aktionen. Bei der ACC nahm die Finanzpolizei 32 Personen vorübergehend in Haft und konfiszierte 84 Sack Lebensmittel, die für eine Landgemeinde bestimmt waren. Die „Nationale Einheit der Salvadorianischen Arbeiter“ (UNTS), der größte Dachverband der Massenorganisationen, und das Lokal des Vertriebenenkomitees Cripdes, dessen gesamte Führungsmannschaft seit Mitte April hinter Gittern sitzt, waren die ganze Nacht auf Freitag bis zum späten Vormittag von Uniformierten abgeriegelt.

Vordergründige Motivation für die Repressionsakte ist eine Serie von Anschlägen der Stadtguerilla am Tag zuvor. Die FMLN hatte am 25. Mai neben anderen militärischen Zielen die Kaserne der 1. Infanteriebrigade beschossen. Erste Vergeltungsschläge richteten sich sofort gegen die nahegelegene Nationaluniversität, die als „Brutstätte marxistischen Denkens“ immer wieder präventiv vom Elitebataillon Ramon Belloso besetzt wird. Statt auf Guerilleros trafen die Soldaten denn auch nur auf ihre Kollegen, die nach den ersten Detonationen auf den Campus eingedrungen waren und zu schießen begonnen hatten. Die von der Rechtspresse ungeprüft wiedergekäute Version sprach dennoch von einer FMLN-Attacke. Flüchtige Guerilleros wurden schließlich in den Lokalen der verschiedenen Massenorganisationen gesucht, die allesamt von der Armee als Tarnorganisationen der Rebellen betrachtet werden.

Die Gewerkschafter Javier Lopez und Jose Basilio Chavez wurden Freitag vor dem Lokal der UNTS festgenommen. Francisco Martinez, ein Mitglied des UNTS-Exekutivkomitees, und der Chauffeur der Vereinigung, Simeon Massis, waren schon am Donnerstag morgen von bewaffneten Zivilisten verschleppt worden. Sie befinden sich, wie sich inzwischen herausgestellt hat, im Gewahrsam der Finanzpolizei und werden beschuldigt, der FMLN anzugehören. Ein Chauffeur von Cripdes und der 13jährige Ramon Rivera gerieten gleichfalls in die Fänge der Finanzpolizei, wurden geprügelt und um Mitternacht wieder freigelassen.

Auch aus dem Kriegsgebiet werden immer wieder Übergriffe der Armee gegen die Zivilbevölkerung gemeldet. Zuletzt aus der Ortschaft Arcatao in Chalatenango, wo nach Angaben eines Geistlichen am 23.Mai sechs Hubschrauber mit Soldaten landeten. Die Uniformierten waren von einem Informanten, vermutlich einem Guerilladeserteur begleitet worden, der zehn Dorfbewohner der Kollaboration mit den „Subversiven“ beschuldigte. Der Augenzeuge berichtet in einer bezahlten Zeitungsanzeige, daß schließlich acht Personen abgeführt worden seien. Die Soldaten warfen anschließend Tränengasbomben und Granaten ins Dorf, um eine Befreiungsaktion zu verhindern. Eine 66jährige Frau sei durch Granatsplitter verletzt worden.