Blumen-Zeremonie

■ Ikebana-Meisterin demonstriert im Überseemuseum ihre Kunst zwischen Zen und Dekoration

Bevor sich die mittelalterlichen Samurai ins Schlachtgetümmel warfen, suchten sie Ruhe und Sammlung bei den Blumen: sie gestalteten ein Ikebana, ein Arrangement aus Blumen, Blättern und Zweigen, um bei dieser meditativen Tätigkeit innerlich leer

und frei zu werden für Mord und Totschlag bzw. die Kunst, Krieg zu führen. Durch die Jahrhunderte entwickelten sich verschiedene Schulen, solche, die Ikebana streng religiös betrieben, und solche, denen es um ein dekoratives Tisch -Ikebana geht. Die Öffnung

Japans im letzten Jahrhundert brachte auch dem Ikebana Verwirrung: die Japaner waren von westlicher Flora begeistert, Ikebana wurde bunter und üppiger. Noch heute studieren Millionen JapanerInnen Ikebana, es gilt als eine seriöse Kunst.

Was bei uns so recht volkshochschulmäßig nach Strickhäkeltöpfern-ohne-Gift klingt, demonstrierte am Freitag im Überseemuseum eine Meisterin des Fachs, Hildegard Wittig aus Bad Zwischenahn, zusammen mit ihrer Tochter überzeugend und eindrucksvoll als die hohe Kunst, Blumen zu sprechenden Bildern zu arrangieren. Der ganze Vorgang ist Zeremonie: Stille im Pub- likum, man hört nur das Klicken der Schere, die Bewegungen der Meisterin sind zielgerichtet und präzise. Unter leichter Hand entsteht aus vier unansehnlichen Zweigen ein alter Pflaumenbaum, d.h. die Idee dieses Baumes; Frühling wird insze

niert, ein Teich mit Moosgarten, Hortensie und Azalee. „Winterlandschaft nach Taifun“, Zen-Meditationen mit zwei Wildblümchen oder leichter konsumierbare Tischdekoration unter dem Motto „Darf's noch etwas Schleierkraut sein?“ die Produkte der Meisterin sind von klassischer Form („Nicht daß Sie denken, das wäre eine freie Geschichte, meine Damen; sie unterliegt genauen Regeln!“) und haben oft jahrhundertealte Vorbilder. Je älter die Tradition ist, auf die ein Ikebana zurückgeht, desto weiter ist es entfernt vom westlichen Ideal der vollgepfropften Blumenvase: der leere Raum schafft Platz für die Gedanken des Betrachters.

Die lückenhafte Anrede des Publikums weist darauf hin, daß Ikebana hierzulande bevorzugtes

Terrain über-fünfzigjähriger Damen ist; in Japan sollen auch viele Herren beteiligt sein, zumal als Headmaster der Schulen. Frau Wittig war 16 Jahre mit Familie in Japan, wurde Meisterin der Okara-Schule in Tokyo und unterrichtete als Senior-Professorin an der Ikenoba -Akademie in Kyoto. Sensationell ist ihr Aufenthalt in der Yamamura-Schule zu nennen, einem Nonnenkloster in den Bergen von Nara, das nur weiblichen Mitgliedern kaisernaher Familien zugänglich ist. Gute Drähte zum Tenno ermöglichten der Zwischenahnerin ein Studium der strengsten Ikebana-Form, die mit ganz wenigen selbstgepflückten Wildblumen umgeht.

Am japanischen Garten des Überseemuseums findet ab jetzt wieder Freitagnachmittags Ikebana-Unterricht statt. B.S