„Wir wollen alle pünktlich raus“

■ Seit gestern Urabstimmung über Streik im Bremer Einzelhandel / Erste Streiks bei Karstadt, Horten, Obi und Leffers geplant

Seit gestern früh stehen an den Personaleingängen von Horten und Karstadt die Betriebsräte mit Abstimmungsurnen: Bis zum 2. Juni sollen ihre in der HBV organisierten KollegInnen über Arbeitskampfmaßnahmen abstimmen.

„Ich will mit meiner Familie gemeinsam den Feierabend verbringen. Außerdem wird es bei dem einen langen Wochentag nicht bleiben,“ so Inge von der Lieth bei der Urabstimmung.

Der umstrittene Dienstleistungsdonnerstag ist es, der die

KollegInnen im Einzelhandel jetzt zu aktiven GewerkschaftlerInnen werden läßt. Nach den bundesweiten Streikaufrufen von DAG und HBV will die HBV den Arbeitgebern nun auch in Bremen die Zähne zeigen: Als Auftakt für die Streikaktion sind Karstadt, Horten, Obi und Leffers geplant. „Eine Ausweitung behalten wir uns vor,“ betonte gestern HBV -Geschäftsführer Thiel am Streikbus in der Knochenhauerstraße.

Die Resonanz schien gut: Abstimmungszettel wurden bereitwillig entgegengenommen und ausgefüllt. Peter H., Auszubildender bei Karstadt, füllte gleich den HBV -Aufnahmeantrag mit aus. „Für den Streik tret‘ ich auch in die Gewerkschaft ein. Da hab‘ ich mir vorher noch nie Gedanken drum gemacht.“ Die drei Mädels, die wie er Azubis in dem Kaufhaus sind, ziehen nach: Vier neue Gewerkschaftsmitglieder auf einen Schlag.

Insgesamt 30.000 ArbeitnehmerInnen sind in Bremen im Einzelhandel beschäftigt. 5.000 von ihnen sind bei der HBV organisert, mit der laufenden Urabstimmung sind 2.500 VerkäuferInnen angesprochen, um über den Streik für einen gesicherten Feierabend um 18:30 Uhr und Schutzregelungen für Teilzeitkräfte durch den Tarifvertrag zu entscheiden.

In den Kaufhäusern selbst ist der Streik nur unterschwellig und hinter vorgehaltener Hand ein Thema. „Natürlich gehe ich zur Urabstimmung. Wir wollen doch

alle pünktlich nach Hause.“ Der junge Mann in der Herrenkonfektion bei Karstadt bekennt sich zwar zum Streik, sagt dies aber mit glühend-roten Backen und einem vorsichtigen Blick über die Schulter.

Ein ähnliches Bild bietet sich auch in den anderen Abteilungen. Besonders, da im Umbau-und Umzugstrubel des neugestalteten Bremer Konsumtempels überall wichtig dreinschauende Männer im grauen Zwirn unterwegs sind. Eine junge Verkäuferin will mitstreiken, hält aber ständig nach

dem Abteilungsleiter Ausschau. Ihren Namen will sie lieber nicht nennen.

Die Meinung ist einhellig: Feierabend mit Mann und Kind ist wichtig. Flexible Arbeitszeit geht an den gemeinsamen Wünschen vorbei: „Was soll ich am Freitagmorgen zu Hause, wenn Mann und Kinder unterwegs sind?“ Außerdem ginge der lange Donnerstag klar zulasten der Frauen, die sowieso schon „endlos“ im Laden stünden. Manche müssen sogar nur zu den Spitzen-Umsatzzeiten antreten - untragbar bei der

Mehrbelastung an Arbeitsweg, Fahrtkosten usw. betont Gewerkschaftssekretär Thiel.

Solidarisch erklärten sich auch die MitarbeiterInnen der Fremdfirmen mit ihren streikwilligen KollegInnen: Die Lotto -Fee beispielsweise bedauert, daß sie nicht mitstreiken darf: „Und wir müssen dann bis neun hier stehen,“ malt sie die eigene Zukunft aus. Kosmetikberaterin Uta K. will an den Streiktagen freinehmen: „Ich will nicht wie die Streikbrecher an der Theke stehen.“

ra