Freundschaftsreise nach Istanbul

■ 70 Gesamtschüler traten Klassenfahrt „gegen Ausländerfeindlichkeit an

Ihre Tochter fuhr ja nur in die gemeinsame Heimat und wird schon in drei Wochen wieder zurück sein. Dennoch wischte sich die türkische Mutter gestern früh an Gleis vier des Bremer Hauptbahnhofes immer wieder die Tränen aus dem Gesicht. So ein Abschied geht eben zu Herzen. Zumal wenn er siebzigfach auf einen Schlag vorkommt. 70 Schüler, die im Sommer von der Gesamtschule West entlassen werden, traten gestern ihre letzte und weiteste Klassenfahrt an - in die Türkei.

„Gegen Ausländerfeindlichkeit - wir fahren in die Türkei.“ So lautet das Motto des Unternehmens, das Lehrer und SchülerInnen seit nunmehr zwei Jahren vorbereitet haben. Die Türkei wurde in dieser Zeit ein Thema an der Schule, nicht nur an vier Projekttagen, sondern auch im alltäglichen Unterricht. Dabei, so Lehrer Klaus-Peter Ifland, sei kein idyllisches Türkeibild entstanden. Themen wie der Militärputsch von 1980 und die Unterdrückung der Kurden seien nicht ausgespart worden. Ziel des Projektes, so Ifland weiter, sei es, bei den deutschen Schülern mehr Verständnis für die Situation der türkischen Minderheit in der Bundesrepublik zu schaffen. „Deutsche und türkische SchülerInnen sitzen in den Klassen nebeneinander, aber die Deutschen wissen nicht, was die Türken für Sorgen haben. Deutsche und Türken sind in den letzten Jahren immer weiter auseinandergedriftet.“

So kann man es auch sagen. Die Gesamtschule West liegt im Arbeiterviertel Gröpelingen, wo die rechtsradikale DVU mit ausländerfeindlichen Parolen bei der letzten Bürgerschaftswahl überdurchschnittlich viele Stimmen fangen konnte. Dennoch: Handfesten Widerspruch gegen die Türkei -Klassenfahrt habe es bei Eltern oder SchülerInnen nicht gegeben, berichtete Ifland. Er hoffe nun, daß die Vorbehalte, die „unter der Hand getuschelt werden, während der Reise stärker auf den Tisch gepackt werden. Nur dann kann man über sie reden und was verändern.“

Und die SchülerInnen? Ja, er interessiere sich für die Kultur der Türken, sagt ein 17jähriger. Warum die zum Beispiel fünfmal am Tag in die Moschee gehen: „Wir gehen ja auch nur einmal am Sonntag.“ Die Moscheen will er sich ansehen, und wie die Leute draußen beten, wenn drinnen alles voll ist. Für „beknackt“ hält er die frommen Türken deshalb keineswegs: „Die sollen ihre Kultur ausüben dürfen, wie sie wollen.“ Christiane möchte mal in ein türkisches Dorf und da eine Familie besuchen. „Die leben ja mit Oma und Opa und Onkel und Tante zusammen. Zu so einer richtigen türkischen Großfamilie, da möchte ich mal hin!“ Ob sie in so einer Familie leben möchte? „Nein danke, lieber nicht.“

Für ihre Mitschülerin ist das alles nur Stress. „55 Stunden auf der Bahn bis Istanbul! Und es ist warm, und alles ist so eng, und es stinkt im Zug!“ Das einzige, was sie interessiert, ist Troja. „Auf dem trojanischen Pferd eine Runde reiten“, das möchte sie am liebsten. Sicher wird das nicht möglich sein. Auf dem Programm stehen aber immerhin: antike Ruinen, Sultansgräber, türkische Dörfer und Schulen und ein Treffen mit früheren MitschülerInnen, die schon vor Jahren aus Bremen in die Heimat ihrer Eltern zurückgekehrt sind.

mw