IRONISCHER PATHOS

■ Die Premiere Cosi fan tutte in der Staatsoper Berlin (Ost)

Was im Libretto ein Kaffeehaus genannt wird, das ist bei der Regisseurin Ruth Berghaus und ihrem Bühnenbildner Peter Schubert einem Schuhkarton nicht unähnlich, so groß immerhin, daß etwas zwei Dutzend Offiziere aller Couleur samt Ferrando, Guglielmo und Don Alfonso darin Platz finden. Im „Kaffeehaus“ verfolgt man mit stummen Gebärden der Neugierde, wie aus Streit schließlich die Wette der drei entsteht: Untreu seien die Frauen, behauptet Don Alfonso, während Ferrando und Guglielmo von der Treue und der Tugend ihrer Angebeteten überzeugt sind. Diese erste Szene, eingerahmt von einer in kräftigen Farben gemalten, expressionistisch anmutenden Landschaft, ist der Ausgangspunkt für ein Experiment über die menschliche Natur.

„Schule der Liebenden“ heißt Mozarts Oper im Untertitel und so geht es folgerichtig um Verhaltensweisen und Konventionen, um einen Lernprozeß mit ungewissem Ausgang. Bei Berghaus betreten allerdings keine im naturalistischen Sinne wirklichen Menschen die Bühne. Schon die Bewegungen der Sänger, die Art ihrer Begegnungen sind von einer „Künstlichkeit“, die einer zeichenhaft und metaphorisch angelegten Choreographie folgen. Mit dieser ersten Szene wird deutlich, daß Ruth Berghaus nicht Handlung sondern den Gehalt einer Sache inszeniert. Dies entspricht ihrer Auffassung, „daß der Text eine Übersetzung von Wirklichkeit ist und keine Abbildung“. Damit wird der Opernabend für den, der in seiner Erwartungshaltung auf Tradiertes festgelegt ist, gewissermaßen ein Streßerlebnis. Der Verzicht auf den ganzen falschen Orient in der Verkleidungsszene verunsichert und bewirkt, daß man „Cosi fan tutte“ nicht zu kennen scheint, so fremd und rätselhaft kommen die Personen daher. Nichts ist von klamottiger Maskerade übriggeblieben, eher schon werden die Abgründe in Mozarts / da Pontes Stoff sichtbar, wird der stets latent vorhandene Umschlag ins Tragische als Bild sinnlich erfahrbar.

Auf Maskerade indes wird nicht verzichtet. Nur ist es jetzt der Selbstdarstellungszirkus unserer Erfahrungswelt. Rezepte und Instantlösungen bietet die Regisseurin nicht an. „Garten am Meeresstrand“ - wieder ist es einer dieser „Schuhkartons“. Diesmal wohnen Fiordiligi und Dorabella darin, in dem nächsten ihre Zofe Despina. Die beiden Ferrareser Fräulein erwachen soeben - es ist Morgen. Das Interieur ist streng symmetrisch, besteht aus einem Bett und vier Stühlen. Historische Welten sind zusammen auf die Bühne gerollt, denn nicht nur wirken Fiordiligi und Dorabella mit ihren Kostümen wie aus dem 18. Jahrhundert (auch mit ihrem Hang zur Empfindsamkeit), während Despina unsere Zeit verkörpert. Der Unterschied wird auch in den Räumen deutlich. Denn in Despinas Kammer sieht's modernistisch schräg aus. Über die schwärmerisch veranlagte Herrschaft kann sich die Zofe ohnedies nur wundern. Ist sie doch ganz Realistin, will ihren Spaß haben und weiß vor allem, wie sie ihn bekommt. Sie intrigiert mit, wenn als Lohn ein Pelzmantel herausspringt.

Ruth Berghaus legt sich nicht auf eindeutige Charakterisierungen der Personen fest. Die Intriganten Don Alfonso und Despina sind keinesfalls nur Negativgestalten, denn wo wäre schon gut und böse derart ausschließlich anzutreffen.

Unter dem Vorwand, in den Krieg ziehen zu müssen, haben sich Ferrando und Guglielmo von Dorabella und Fiordiligi verabschiedet. Verkleidet kommen sie zurück: Nur erscheinen sie nicht als die türkischen Beis, sondern sie treten in einer Art Fliegermontur auf und gebärden sich in der Lederkluft ganz wie penetrante Machos. Viel Aufwand gehört dazu, Liebe bei den jungen Damen zu erwecken. Und weil das wie ein Sport anmutet, nimmt es nicht wunder, wenn es überhaupt recht sportlich in der Inszenierung zugeht: Da segelt eine Schar von Matrosen an der Küste vorüber, dann wieder sind es Schlittschuhläufer, die elegant über die Eisfläche gleiten. Ein andermal versuchen sich die Männer im Tigerfellkostüm, um es Tarzan gleichzutun.

Mozarts Oper spielt an einem einzigen Tag: Zum Nachmittag hin hat sich die Wandlung von Fiordiligi und Dorabella vollzogen. Im zweiten Akt treten sie auf, als kämen sie direkt aus der Modeboutique. Ein wenig unsicher fühlen sie sich in diesem Modepuppenstyling. Vorerst noch verschämt hören sie von Despina die revolutionären Ansichten über die Liebe, die zum neuen Outfit passen sollen. Die Liebe sei „en bagatelle“ zu nehmen, die schönen Gelegenheiten solle sie nicht auslassen. Die Verführung scheint perfekt. Während sie die Posen von Fotomodellen imitieren, singen Fiordiligi und Dorabella vom neuen Lebensstil, den sie versuchen wollen.

Am längsten wehrt sich Fiordiligi (die „fleischgewordene Keuschheit“) gegen den neuen Verehrer. Während Ferrando den letzten Versuch startet, beobachtet Guglielmo im Hintergrund eifersüchtig die Szene. Dabei sitzt er auf einem Fahrrad und wird im Vorbeifahren Zeuge des Geschehens. Bildlich gesprochen hat er die Strecke, die Ferrando gerade zurücklegt, schon hinter sich, weil mit Dorabella leichteres Spiel zu machen war.

Im Finale ist die Szene vollends surrealistisch verfremdet. In Arkaden aus weißem Tuch bewegen sich lauter Maskierte, allesamt in roten Gewändern. Ist es ein Ritual oder ist es nur Clownerie? Die Hochzeitsszene folgt. Die beiden Paare haben neue Erfahrungen gemacht, Erfahrungen, die sich offenbar beliebig multiplizieren lassen. Das gleiche Aussehen aller Beteiligten mag das wohl meinen. Nur Despina gehört nicht zu den Maskierten, weil sie es vermutlich sowieso schon immer besser wußte: keine Konvention, kein blinder Gehorsam, keine falschen Gefühle, keine Illusionen. Vieles in Berghaus‘ Inszenierung leuchtet mehr ein, als daß es auf Anhieb verständlich ist. Die Inszenierung ist geprägt von dem, was Ruth Berghaus einmal ironisches Pathos nannte. Der ständige Wechsel der Perspektive verhindert die Begrenztheit der Figuren. Plausibler wird das Bühnengeschehen übrigens dadurch, daß man Rezitative ins Deutsche übersetzte und nur die Arien (mit wenigen Ausnahmen) italienisch singt.

Von großer ästhetischer Wirkung sind die als Kunsträume gestalteten Bühnenbilder. Immer wieder stellt das Bühnenbild die Befindlichkeit der beiden Paare aus, kehrt das Innen nach außen. Wie ein Wolkenkuckucksheim wirkt die Szene, wenn der Partnertausch vollzogen ist: Wolkig weiß ist die Bühne mit Satin ausgeschlagen, rote Blumen stecken darin wie Amors Pfeile, die auf das Stichwort „amore“ prompt aufleuchten. Nur auf dem Boden geht es felsig zu.

Musikalisch blieb der Abend eher bescheiden. Ein aus Nachwuchskräften bestehendes Sängerensemble bemühte sich mehr oder weniger erfolgreich um die anspruchsvollen Gesangspartien. Ein ebenfalls junger Dirigent, Olaf Henzold, leitete den Abend musikalisch. Am Ende singen alle: „Glücklich der Mensch, der jede Sache von der guten Seite sieht...“. Ein Teil des Publikums sah das wohl anders und buhte kräftig, als sich das Regieteam zeigte. Dieses Publikum hat die veränderte Sicht auf das Werk zweifellos verstört, was aber nichts daran ändert, daß es sich um einen unbedingt lohnenden Opernabend handelt.

ec

Zwei Vorstellung gibt es in dieser Spielzeit noch: 31.Mai und 5.Juli