Schlangen, Schlangen, Schlangen

■ An der Warschauer Buchmesse nehmen erstmals auch Untergrund- und Emigrantenverlage teil

Klaus Bachmann

Es gibt nur eine polnische Kultur.“ Diese These setzten Polens Kulturschaffende jahrzehntelang gegen die Propagandaslogans der Staatsmacht, die Emigranten und Dissidenten aus dem Kulturleben der Nation ausschließen wollte. Schriftsteller, Musiker und Regisseure und Schauspieler konnten offiziell im Lande nicht veröffentlichen, weil sie es in Emigrantenverlagen, ausländischen Rundfunkstationen oder im Untergrund getan hatten oder weil sie sich auf die Seite „konterrevolutionärer“, „staatsfeindlicher“ oder „landesverräterischer Elemente“ geschlagen hatten.

Jetzt hat, de facto und de jure, auch die Staatsmacht in Polen anerkannt, daß sich Kultur nicht in angepaßte und unbequeme teilen läßt. Äußeres Zeichen dafür ist die Tatsache, daß bei der Warschauer Buchmesse erstmals auch zahlreiche Aussteller aus der Emigration und selbst von Untergrundverlagen dabei sind. Entfernte die Zensurbehörde letztes Jahr noch einige Übersetzungen von Werken, die bis dahin in Polen nicht hatten erscheinen dürfen, so gibt es dieses Jahr keine Tabus mehr. Selbst die Pariser 'Kultura‘, noch in den siebziger Jahren meistgehaßte Exilzeitschrift der polnischen Machthaber, wird ausgestellt. Und Andrzej Szczypiorskis Bestseller Die schöne Frau Seidenmann, die letztes Jahr noch auf der Messe aus dem Verkehr gezogen wurde, soll nun von einem polnischen Verlag den Lesern im Lande zugänglich gemacht werden. Damit bietet sich dem Besucher der Messe ein nie dagewesenes, breites politisches Spektrum: von Dogmatischem aus dem Verlagsprogramm tschechoslowakischer Verlage etwa bis zu ausgesprochen Antikommunistischem in den Programmen der polnischen Exilverlage.

Diese Öffnung kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß sich der polnische Buchmarkt in einer ernsten Krise befindet, wie auch die Aussteller zugeben. „87 Prozent der Polen lesen keine Bücher“, schreckte die Messezeitung ihre Leser, und Jerzy Wysokinski, Vorsitzender der Gemeinschaft polnischer Verleger, setzte noch eins drauf: In 17 Prozent der polnischen Haushalte finde sich nicht die Spur eines gedruckten Wortes. Das geringe Interesse an Büchern hat seine Ursache - wie fast alles in Polen - in der Wirtschaftskrise. Es gibt zu wenig zum Druck geeignetes Papier, importieren geht fast nur gegen Devisen, was beim derzeitigen Wechselkurs des Zloty dazu führt, daß mehr als zwei Drittel der Kosten eines Buches fürs Material draufgehen. Durch den Export wird das längst nicht aufgewogen, da viele Bücher im Westen nur dann wettbewerbsfähig sind, wenn sie auch zumindest teilweise dort hergestellt wurden. Auch die Gewinnspanne und die Honoraranteile für die Autoren sind entsprechend geringer.

Viele Autoren verlegen daher ihre Bücher lieber bei Emigrationsverlagen, die die Honorare in konvertibler Währung zahlen. Dieser Teufelskreis bleibt natürlich auch inhaltlich nicht ohne Auswirkungen. Mancher Verlag überlegt sich da, ob er Außenseitern überhaupt noch eine Chance geben soll und nicht lieber die Papiervorräte für einen lohnenden Bestseller aufbraucht.

Während hervorragende Werke von Spezialisten, gelungene Anfängerwerke oder auch einfach Minderheitenprogramme dem Rotstift zum Opfer fallen, überschwemmt eine Welle von billigen Oben-ohne- und Krimiheftchen die polnischen Kioske. Positiv zu vermerken ist dabei vor allem, daß die Preissteigerungen auf dem Buchmarkt wenigstens etwas hinter der Inflationsrate zurückgeblieben sind, was unter anderem darauf zurückzuführen ist, daß die Regierung für Verlage Steuervergünstigungen und für die Einfuhr von poligraphischem Gerät Zollvergünstigungen gewährt hat.

Die Krise zeigt sich auch auf der Warschauer Buchmesse. „Die goldenen Zeiten, in denen die Messe in Warschau gleich nach der Frankfurter Buchmesse angesiedelt wurde, sind vorbei“, geben die Veranstalter zu. Da westliche Aussteller einerseits recht hohe Teilnahmegebühren entrichten, andererseits aber aufgrund des Wechselkursgefälles kaum mit reißendem Absatz rechnen können, gab es den Brauch, die ausstellenden Verlage durch Aufkauf der Exponate zu entlasten, häufig mit großzügigen Preisabschlägen von seiten der Verlage. In diesem Jahr wird dies nach Angaben der Messezeitung erstmals nicht in vollem Umfang möglich sein. Somit bleiben Polens Bibliotheken und Forschungsanstalten zahlreiche dringend benötigte Fachzeitschriften und Fachbücher vorenthalten.

Auch atmosphärisch hat der graue Alltag im Warschauer Kulturpalast Einzug gehalten. Für die 130 Aussteller, die 900 Verleger repräsentieren, ist im Kulturpalast zu wenig Platz. So drängen sich in den Räumen Aussteller und Besucher, und vor den zu wenigen Kassen geht es zu wie auch sonst überall in Warschau: Schlangen, Schlangen, Schlangen. Angesichts der Räumlichkeiten in Warschau gebe es da wohl nur eine Lösung für die Buchmesse. Kritiker meinen: zurück nach Poznan.