Müllexport-Jubiläum in Lübeck

Seit zehn Jahren werden täglich Tonnen von Müll auf die DDR-Deponie Schönberg gekarrt / Lübecker fürchten um ihr Trinkwasser / Gruppe „Lebenslaute“ veranstaltet Musikblockade  ■  Aus Lübeck Dieter Hanisch

Zehn Jahre Mülldeponie Schönberg - für die Hansestadt Lübeck kein Datum zum Feiern, sondern gleichbedeutend mit zehn Jahren Angst um das Trinkwasser. Ab sechs Uhr morgens ist in Lübeck-Schlutup die Welt von Montag bis Freitag nicht mehr in Ordnung, wenn die Müll-LKW Richtung Grenzübergang rollen: 250 am Tag. 1988 waren es insgesamt 47.884. Diese Laster lieferten im vergangenen Jahr offiziell insgesamt 1,1 Millionen Tonnen Haus- und Sondermüll nur aus der Bundesrepublik auf die sechs Kilometer von Lübeck entfernte Mülldeponie Schönberg in der DDR. Hinzu kommt noch Abfall aus den Niederlanden, Belgien, Frankreich, Österreich und anderen Ländern.

Gestern rollte kein einziger LKW über Schlutup auf die billigste Giftkippe Europas. Die Gruppe „Lebenslaute“ hatte zu einer zwölfstündigen Konzertblockade aufgerufen, und mit Händels „Wassermusik“ morgens um sechs Uhr passend zur akuten Schönberger Bedrohung für das Lübecker Wasser die ganztägige Blockade eingeleitet.

Ein Großaufgebot von Polizei und Bundesgrenzschutz griff nicht ein, weil die BlockiererInnen in Intervallen immer wieder Durchreisebegehrende PKW passieren ließen. Mülltransporter wurden nicht gesichtet. Die Blockade war schließlich lange Zeit öffentlich angekündigt worden. „Dafür fahren die nächsten Tage wieder mehr LKW“, war die einhellige Meinung der Lübecker Bürgerinitiative gegen Schönberg, die daher spontane und vorher nicht angekündigte Protestaktionen für die nahe Zukunft nicht ausschließen wollte.

Wie sehr die Bevölkerung Schlutups hinter der Bürgerinitiative steht, wurde gestern deutlich, als für die BlockiererInnen ein üppiges Frühstücksmahl bei bestem Picknickwetter zusammengetragen wurde. Neben den MusikerInnen fanden sich morgens um sechs Uhr über 200 ZuhörerInnen und BlockiererInnen am Grenzübergang ein. Während des ganzen Tages wurde vor Ort über die Giftmülldeponie Schönberg und die zehnjährige Auseinandersetzung dagegen informiert.

Voraus ging dem gestrigen Aktionstag ein Treffen norddeutscher und Berliner Bürgerinitiativen und Umweltorganisationen gegen Mülldeponien. Landesweit existiert in Schleswig-Holstein bereits ein entsprechender Zusammenschluß von MüllgegnerInnen, nun steht auch eine norddeutsche Zusammenarbeit bevor. Wie nötig das ist, zeigt wieder das Beispiel Schönberg. Während Schleswig-Holsteins Landesregierung keine Transportgenehmigungen mehr für Schönberg ausstellt, gelangt dennoch Müll zwischen Ost- und Nordsee auf die DDR-Deponie. Für die DDR-Dumping-Preise wird Müll zum Beispiel auch mal erst nach Bremen gebracht und mit einer von dort ausgestellten Transportgenehmigung nach Schönberg befördert. Dies mußte selbst Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Björn Engholm, selbst Lübecker, resignierend einräumen.

Die Bürgerinitiative gegen Schönberg attackiert derzeit seine sozialdemokratischen Parteifreunde aus der Lübecker Bürgerschaftsfraktion. So vertritt Lübecks SPD-Bürgermeister Michael Bouteiller inzwischen ernsthaft die Position, Schönberg von der Bundesrepublik aus weiter zu beliefern, denn nur so könne überhaupt eine Kontrolle über die Müllkippe ausgeübt werden. Zudem sind er und die SPD -Fraktion in der Hansestadt auch dafür, eine Kontroll- und Untersuchungsstelle für die LKW in Lübeck einzurichten, alles für die Sicherheit der Bevölkerung. Dagegen laufen der SPD-Ortsverband Schlutup und sogar SPD-Umweltsenator Hans -Ludwig Gerlach Sturm: „Damit würden wir Schönberg ein für allemal festschreiben“, so Gerlach. „Das ist so ein Köder wie Mitte der achtziger Jahre. Da wollte man uns eine Umgehungsstraße schmackhaft machen, damit wir Schlutuper nicht mehr protestieren, die LKW womöglich aber noch schneller den Giftmüll über die Grenze bringen können“, so ein Schönberg-Gegner.

Kritik mußte sich auch Schleswig-Holsteins Umweltminister Berndt Heidemann von den norddeutschen Bürgerinitiativen anhören. Sein Konzept zum Schönberg-Ausstieg heißt Müllverbrennung, und da spielen die UmweltschützerInnen nicht mit, weil sie darin große Gefahren der Luftverunreinigung sehen, insbesondere mit Dioxinen. Widerstand regt sich deshalb in Schleswig-Holstein insbesondere gegen die noch von Barschels Landesregierung geplante und jetzt von Heidemann weiter propagierte Sondermüllverbrennungsanlage in Brunsbüttel als auch gegen eine Erweiterung der Hausmüllverbrennungsanlage in Stapelfeld vor den Toren Hamburgs.