„Die Deutschen werden doch aufgehetzt“

In den Opel-Werken Rüsselsheim bekämpfen Betriebsräte und Vorstandsmitglieder die wachsende Ausländerfeindlichkeit gemeinsam / „Böses Blut“ durch die Ausländerpolitik der Bundesregierung und die „soziale Verelendung“ vieler Deutscher  ■  Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Rüsselsheim (taz) - „Ohne die ausländischen Kollegen würde die gesamte Produktion stilliegen“, glaubt nicht nur der Vorsitzende der Vertrauensleute im Rüsselsheimer Stammwerk der Adam Opel AG, Gerhard Wink, von der IG-Metall. Auch Vorstandsmitglied Dr.Walter Schlodfeldt teilt die Auffassung des Gewerkschafters: „In der Produktion sind die ausländischen Arbeitnehmer ein unverzichtbarer Bestandteil der Belegschaft geworden.“ Und deshalb wenden sich sowohl die Betriebsräte als auch die Vorstandsmitglieder um Schlodfeldt gemeinsam gegen die an den Fließbändern um sich greifende Ausländerfeindlichkeit. Immerhin arbeiten im Produktionsbereich des Rüsselsheimer Werks des Automobilherstellers rund 6.000 auländische ArbeitnehmerInnen mit nur knapp 5.000 Deutschen zusammen. Und von denen haben mehr als die Hälfte einen türkischen Paß.

Doch im Gegensatz zu den Betriebsräten glaubt Schlodfeldt vom Vostand, „alles im Griff“ zu haben. Die Werksmeister und Schichtführer seien angehalten, einen integrierenden Führungsstil zu praktizieren. „Anerkennung, Respekt und Vertrauen“ gehören zu Maximen der Personalpolitik bei Opel.

Doch Vorstandsmitglied Schlodfeldt scheint sich nur selten etwa in die Toilettenanlagen in der Endmontage zu verirren. Denn dort schmieren die deutschen „Kollegen“, die während der Arbeitszeit mit den Türken zusammen die Türverkleidungen am „Vectra“ anbringen, ausländerfeindliche Parolen gleich im Dutzend an die Wände und Türen: Vom faschistoiden „Türken vergasen!“ bis hin zum menschenverachtenden „Tod allen Ausländern!“ reicht die Palette der rassistischen Gedankensplitter, die an den stillen Örtchen zu Haß-Graffiti wurden - die unzähligen Hakenkreuze und die „Sieg! Heil!„ -Schmierereien nicht gerechnet.

Der türkische Betriebsrat Yaser-Nuri Akkeci, der von den türkischen, italienischen, marrokanischen und auch deutschen ArbeiterInnen in der Endmontage zu ihrem Vertreter gewählt worden war, blieb beim gemeinsamen Gang durch die Aborte dennoch gelassen: „Verrückte und Hetzer“ gebe es schließlich überall. Doch auch Akkeci räumt ein, daß die widerlichen Schmierereien nach den Wahlerfolgen der Rechten in Berlin und auch in Hessen zugenommen hätten. Und auch an den Fließbändern würden die Anhänger der „Republikaner“ Stimmung gegen die Türken machen.

Wie im Werk „Stimmung gemacht“ wird, berichtet in der Pause der Frühschicht eine Gruppe türkischer Arbeiter, die nahezu isoliert von den Deutschen, mit denen sie noch vor Minuten zusammengearbeitet haben - in der Montagehalle auf ihren Betriebsrat und den „Reporter“ wartet. An Ausdrücke wie „Kümmeltürke“ und „Kameltreiber“ habe man sich schon fast gewöhnt, meint ein junger Türke. Und sein älterer Kollege ergänzt: „Die Türkenwitze wandern durch den ganzen Betrieb.“ Doch trotz aller Empörung und auch Wut über die ausländerfeindlichen Äußerungen deutscher „Kollegen“, haben sich die betroffenen Türken eine erstaunliche Sensibilität bei der Beurteilung der Hintergründe dieser rassistischen Ausfälle bewahrt: „Die Deutschen werden doch aufgehetzt“, erklärte ein anderer türkischer Arbeiter. Seit in Bonn die CDU regiere, hätten nicht nur die Ängste der AusländerInnen vor Ausweisung und Arbeitsplatzverlust, sondern auch die der deutschen ArbeiterInnen zugenommen. Wohnungsnot und drohende Arbeitslosigkeit erzeugten Spannungen zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen „und diese Spannungen machen schließlich nicht vor den Werkstoren halt“.

Und im Betrieb gehe es ihnen schließlich immer noch besser als draußen. Draußen in der Stadt mit ihren knapp 60.000 EinwohnerInnen könne man mit seinen Problemen schließlich nicht zum Betriebsrat gehen und um Hilfe bitten. Betriebsrat Akkeci ist denn auch der Blitzableiter für die „Spannungen“ in der Endmontage. Der Türke, der seit 29 Jahren bei Opel arbeitet und einer der ersten Ausländer war, die ihr 25jähriges Arbeitsjubiläum feiern konnten, ist um Ausgleich bemüht - und findet dabei auch Anerkennung bei den deutschen ArbeiterInnen. Man könne nicht jeden Türkenwitz gleich an die große Glocke hängen und einen Aufstand wegen jeder ausländerfeindlichen Äußerung machen, meint der Mann, der die Kollegen am Band mit „Ei guude wie?“ begrüßt und bei Pressechef Erich Ihrig einen „Stein im Brett“ hat.

Mit seiner Methode der „kleinen Schritte“ und des persönlichen Gesprächs hat Akkeci Erfolge zu verbuchen. Die Vertrauensleute in der Endmontage - gleich welcher Nationalität - stehen voll hinter ihm. Noch könne man zwar die deutschen Arbeiter, die in den Pausen mit ihren ausländischen Kollegen an einem Tisch säßen, zählen, doch es gebe sie: etwa den jungen Arbeiter, der sich wie selbstverständlich unter die türkische Gruppe mischte und mit den Männern frühstückte und lachte. Und die Türken selbst sprechen davon, daß bei jüngeren Deutschen die Vorurteile nicht so ausgeprägt seien wie bei den alten. Akkeci und seine Leute setzen denn auch „auf die Jugend“. Und der Vorsitzende der Vertrauensleute im Werk, Gerhard Wink, knüpfte schon vor Jahren „zarte Bande“ zu den ausländischen Arbeitern und ihren Familien über die Werksgrenzen hinaus. Hobbyfußballer Wink betreut gemischt -nationale Mannschaften in einem Rüsselsheimer Club - „und da sitzen wir mit allen Familien schon einmal einen Abend lang im Vereinsheim und feiern und erzählen“.

Wink und Akkeci sind sich einig: Den Medien komme im Kampf gegen die Ausländerfeindlichkeit und für das friedliche Zusammenleben der Menschen innerhalb und außerhalb des Werkes eine „entscheidende Bedeutung“ zu. Akkeci ist davon überzeugt, daß es in der Bundesrepublik zu „Mord und Totschlag“ käme, falls das Fernsehen sechs Wochen lang mit ausländerfeindlicher Tendenz über Ereignisse berichten würde. Akkeci: „Es reicht schon, wenn die 'Bild'-Zeitung mit Schlagzeilen gegen Türken oder Asylbewerber erscheint“, denn an solchen Tagen werde die Stimmung automatisch aggressiver. Und Vertrauensmann Wink ergänzt: „Die Medien sollten einmal groß berichten, wieviel Milliarden an Steuergeldern die ausländischen Arbeitnehmer schon hier bezahlt haben. Dann würde das ausländerfeindliche Geschwätz bald verstummen.“

Der Vorstand will mit diziplinarischen Maßnahmen gegen all die „Unverbesserlichen“ vorgehen, die das Klima im Werk mit ausländerfeindlichen Parolen vergiften. Schlodfeldt: „Und am Ende einer solchen Maßnahmenkette muß selbstverständlich die Entlassung stehen.“ Für Schlodfeldt ist Ausländerfeindlichkeit schlicht Dummheit. Gewalttaten gegen ausländische MitarbeiterInnen seien im Werk „Gott sei Dank bislang nicht vorgekommen - wir sind ja hier nicht in Kreuzberg, sondern in Rüsselsheim.“