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Staatsvertragsverträglichkeit oder die Bauchschmerzen der Bedenkenträger

■ Auf der Suche nach den Gründen für eine Programmänderung

Sonntag nachmittag in der Redaktion erreicht mich ein aufgeregter Anrufer. Der NDR habe am Samstag abend eine Fernsehsendung kurzfristig abgesetzt. Nicht irgendeinen Beitrag, sondern etwas Brisantes, Hochpolitisches: Spaltprozesse, Claus Strigels und Bertram Verhaags engagierte Dokumentation über den Widerstand gegen die Wiederaufarbeitunganlage in Wackersdorf sollte eigentlich um 19.15 Uhr in der Nordkette laufen und wurde nun durch eine Beitrag des Bayrischen Rundfunks ersetzt. Der Anrufer weiß, wovon er spricht. Er war Tonmeister bei der Wackersdorf -Produktion und ist zu Recht verärgert, daß er und seine Berliner Freunde das Werk jetzt kurzerhand vom Fernsehen vorenthalten bekommen. Die Gründe? Sein sofortiger Anruf beim NDR habe nur herausgebracht, daß die mangelnde „Staatsverträglichkeit“ des Films an seiner Absetzung schuld sei. Irgendwelche politischen Motive, mutmaßt er. Und die Medienredakteurin, die das skandalöse Ereignis schlicht verschlafen hat, wittert eine heiße Story.

„Staatsunvertäglichkeit“ soll die Begründung sein? Ein Anruf beim NDR macht die Begriffsverwirrung komplett. Eine nette Dame in der Programminformation zitiert auf Nachfrage den genauen Ansagetext: „Zu unserem Bedauern können wir den vorgesehenen Film vorerst nicht senden, da Zweifel an der Staatsvertragsverträglichkeit dieser Produktion aufgekommen sind.“ Eine genauere Interpretation des Gesprochenen kann sie nicht geben. Der Staatsvertrag verträgt die Spaltprozesse also nicht. Das NDR-Gesetz ist damit wohl gemeint, das neben der Besetzung der Rundfunkgremien, den Kompetenzen des Intendanten auch die Programmgrundsätze und den Auftrag des NDR dem Staat gegenüber regelt. Was im einzelnen gegen diesen Staatsvertrag verstößt, war sonntags im NDR nicht in Erfahrung zu bringen.

Auch Claus Strigel, der Filmemacher, kann sich die Absetzung nicht erklären. Schließlich habe der Film bereits elf Auszeichnungen international anerkannter Juries erhalten und sei schon mit großem Erfolg in zwei öffentlich -rechtlichen Anstalten, beim Südwestfunk und im Hessischen Rundfunk, gesendet worden. Dort allerdings jeweils mit einer anschließenden Diskussion, die beim NDR nicht vorgesehen war. Die Informationen geben nur Stoff für einen aktuellen 40-Zeiler. Am Montag muß die Recherche genaueres bringen.

Montag früh ist im NDR immer noch kein Programmverantwortlicher zu sprechen. Chefredakteurin Ulrike Wolf, gerade aus dem Urlaub zurück, ist in einer wichtigen Sitzung. Man munkelt, sie sei die Bedenkenträgerin. Programmdirektor Rolf Seelmann-Eggebert ist draußen in Lokstedt. Dafür habe ich den aufgebrachten Zeitgeschehen -Redakteur Carl Heinz Ibe an der Strippe. Er hat den Wackersdorf-Film für seine Redaktion vorgesehen und ist über die Programmänderung hörbar erbost. Er kenne zwar die Bedenken, Spaltprozesse sei eben kein journalistischer Film, sondern ein durch und durch parteiliches Dokument. Sein Herz schlage für diese Produktion, die überzeugend demonstriert, wie in Anbetracht der ökologischen Bedrohung aus braven Bürgern, Apothekern, Lehrern, Bauern und Hausfrauen, aufmüpfige Widerständler werden. Er sei aber nicht bereit, die Begründung für diese Entscheidung zu liefern. Schließlich sei er nicht der „Chefpathologe“ des NDR, der das Bauchgrimmen seiner Vorgesetzten zu interpretieren habe. Er und seine Kollegen aus der Redaktion hätten keine „Blähungen“ verspürt. Und schließlich sein erbitterter Kommentar: Über sowjetische Bürgerrechtler oder demonstrierende chinesische Studenten zu berichten gelte als schick im Deutschen Fernsehen, aber wenn Bauern in der Oberpfalz aufmüpfig sind, dann sei das anstößig staatsvertragsverletzend eben.

Vom Programmdirektor gibt es immer noch keine Stellungnahme, die Pressestelle hat auch keine Erklärung vorliegen. Zwischendurch erreiche ich den NDR-Hausjuristen, Dr. Puttfracken. Er zieht sich hinter das Staatsvertragsargument zurück. Ein ganz normaler Vorgang sei das. Die Prüfung der Sendefähigkeit der Fremdproduktion habe einige formale Mängel ergeben. Welche Passagen anstößig seien, darauf wollte er im einzelnen nicht eingehen. Schließlich könne ich von ihm keine detailierte Inhaltsanalyse einer 90minütigen Sendung verlangen. Wollte ich auch gar nicht. Auf meine Frage, ob denn die Staatsverträge des SWF und des HR freizügiger seien, weil diese Sendeanstalten ja offensichtlich keine Probleme bei der Ausstrahlung sahen, antwortete der Justiziar lapidar, das sei nicht sein Problem. Vermutlich aber sei dort nur keiner so aufmerksam und gründlich gewesen wie beim NDR.

Die Frage bleibt, was an den Spaltprozessen so verwerflich ist. Sicher, die Filmemacher sind radikal parteiisch. Sie kommentieren nicht, sondern lassen die aufgebrachten Bürger für sich selbst sprechen. Sie stellen durch kluge Montage einen Zusammenhang her zwischen den markigen Phrasen der Politiker und ihrer Macht, den Bau der umstrittenen WAA gegen den Willen der Bevölkerung durchzusetzen. Und gerade das ist an dem Film bemerkenswert. Es ist keine schnellabgedrehte Reportage, sondern eine sensible Langzeitstudie, etwas, das den Öffentlich -Rechtlichen nur selten gelingt.

Am Montag abend klärt mich NDR-Programmdirektor Seelmann -Eggebert durch einen persönlichen Anruf endlich auf. Es sind jene manipulativen Elemente, die mit dem Staatsvertag nicht vereinbar wären. Politikeraussagen, die nichts mit der WAA zu tun haben, werden in einen mißverständlichen Zusammenhang gebracht. Das sei Stimmungsmache und dem stehe der öffentlich-rechtliche Programmauftrag entgegen. Spaltprozesse sei ein engagierter Meinungsfilm, er persönlich fände ihn ja fabelhaft, aber in seiner Funktion als Programm-Macher müsse er die rechtlichen Verbindlichkeiten des NDR beachten. Im übrigen sei der Film nicht endgültig abgesetzt, sondern mit Änderungen, kleinen Schnitten vielleicht, doch noch sendbar. Eventuell mit einer anschließenden Diskussion, wie damals im Südwestfunk.

Dort war die Dokumentation ohne Bedenken gesendet worden und hatte ein erstaunlich positives Echo erhalten. Es gab jede Menge Zuschauerpost und mehr als 200 Anrufe. Wer sich ein bißchen im Fernsehalltag auskennt, weiß, daß diese Zahlen für einen Dokumentarfilm traumhaft sind. Die 'Süddeutsche Zeitung‘ würdigte den Mut des Senders: „Hut ab vor dem Südwestfunk“. In Anbetracht des hasenfüßigen NDR muß man die Mütze wieder tief ins Gesicht ziehen.

Nun ist der Fall aufgeklärt. Kein übermächtiger Konzern hat den NDR massiv unter Druck gesetzt, kein erboster Politiker hat seinen Zeigefinger erhoben. Die Selbstzensur im Sender funktioniert von selbst. Beflissene Justiziare, übervorsichtige RedakteurInnen und Direktoren sorgen - nicht nur im NDR - dafür, daß nichts Links-Subjektives in Deutschlands Wohnstuben flimmert, auch wenn sie es privat „ganz fabelhaft“ finden. (Oder hat es am Ende doch etwas damit zu tun, daß am Montag die Wiederaufarbeitungsfirma DWK in Hannover tagte? Wenn auch Wackersdorf mittlerweile aufgegeben wurde, der WAA-Tango geht weiter - in Frankreich oder anderswo.)

Ute Thon

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