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Ghetto-Fotograf der Menschlichkeit

■ Zum Skandal um die Ghetto-Reportage des berühmten Fotoreporters Hilmar Pabel. Ein Gespräch mit H.D.Heilmann

taz: Die Fotoausstellung des Reporters Hilmar Pabel in Berlin hat einige Veröffentlichungen nach sich gezogen, seine Bildreportage über eine Razzia im Ghetto Lublin, die im Dezember 1940 in der 'Berliner Illustrierten Zeitung‘ erschien, fehlt in der Ausstellung. Der 'tip‘ hat sie jetzt präsentiert. Und auf einmal ist alles überrascht von der unrühmlichen Vergangenheit des berühmten Pressefotografen. Dabei sind diese Dinge schon länger bekannt.

H.D.Heilmann: Das ist dasselbe wie bei Werner Höfer, da haben es ja auch die Spatzen von den Dächern gepfiffen, und es hat niemanden interessiert lange Zeit. Oder die Leute, die es wußten, haben geschwiegen. So ist es auch bei Pabel. Wir haben im Hamburger Institut für Sozialforschung diese Lublin-Reportage 1986 ausgestellt, und Götz Aly und Susanne Heim haben in einer Arbeit über den Zusammenhang von Sozialpolitik und Judenvernichtung (Prof. Helmut Meinhold

-Ein Berater der Macht) diese Reportage mit einbezogen. Der ehemalige Hilfsredakteur der taz - Höge - hat mir monatelang auf die Zehen getreten, „den Pabel“ für die taz zu machen. Aber Höge ist ja nun seit längerem weg...

Es gab ja schon mehrere Ausstellungen, zuletzt in der Staatsbibliothek 1985, immer ohne die Ghetto-Fotos. Gräfin Dönhoff schrieb im Katalog zu dieser Ausstellung, Pabel sei es immer „um ein bestimmtes Ethos gegangen“.

Das ist von Dönhoff richtig formuliert, denn ihr geht es um das gleiche Ethos - lies doch nur mal die Berichte in der 'Zeit‘ über die Nürnberger Prozesse, den Krupp-Prozess, den Wilhelmstraßen-Prozeß nach, da schlackerst du mit den Ohren. Zu diesem Ethos haben Leute wie Pabel nur die Bilder geliefert, die Döhnhoffs hatten die Ideen. Das ist eine nahtlose Fortsetzung der deutschen Herrschaftsideologie, die mit „Nazi“ überhaupt nichts zu tun haben braucht. Wie ja Pabel auch immer behauptet und Zeugen dafür hat, daß er kein Nazi war. Nehmen wir mal an, das stimmt, dann erhebt sich doch die Frage: Wie kann ein simpler deutscher Otto Normalverbraucher solche Fotos schießen? Pabel schwört ja steif und fest, daß die Bildunterschriften nicht von ihm sind, doch woher hat die Redaktion dann die detaillierten Informationen - aber die Bildunterschriften kannst du ruhig weglassen, die Fotos sprechen für sich. Die Motive und der Blick - es gibt andere Ghetto-Fotos, beispielsweise von Joe Heidecker, das sind vollkommen andere Bilder, ein ganz anderes Auge hinter der Kamera. Bei Pabel aber siehst du: der hatte den Text, von den jüdischen Ratten und Untermenschen, in dem Moment, wo er abdrückte, im Kopf.

Pabel ist ja nach dem Krieg berühmt geworden als der Erfinder des „sprechenden Bilds“, der sprechenden Fotogeschichte...

Man müßte da einen Semantiker und Kunstwissenschaftler ein Gutachten machen lassen, der diese Sachen mal vergleicht. Was Pabel nach dem Krieg gemacht hat - die Bombennächte, die Vertreibungsgeschichten, die Trümmerstädte, das deutsche Elend, der unbekannte Landser, feldgrau, diesen ganzen Ideologiemüll hat er 1948/49 schon wieder voll drauf - das unterscheidet sich, vermute ich mal, nicht von den Ghetto und Frontberichten, es ist dieselbe Diktion.

Hilmar Pabel behauptet, daß es sich bei der Lublin -Reportage quasi um einen einmaligen Ausrutscher handelte und daß man ihn gezwungen hätte. Dem 'Tagesspiegel‘ hat er erklärt: 'Ich war ohnmächtig, ich war ausgeliefert, was hätte ich denn tun sollen?‘.

Das ist die übliche Mitleidstour, wobei Höfer insofern noch ehrlich war und ganz offen zugegeben hat, daß er halt über die Runden kommen wollte. Diese Kerle spekulieren auf die Unwissenheit der Leute heute, die eben nicht wissen, daß die Pabels und Höfers so Karriere gemacht haben. Und das heißt erstmal, das riesige Privileg genossen, nicht einberufen, sondern „uk“ (unabkömmlich, d. Red.) gestellt zu werden und eine ruhige Kugel zu schieben. Das wäre ja noch ganz okay, wenn einer nicht den Held spielen wollte, davon hätten wir mehr brauchen können, aber es kommt doch darauf an, was einer denn nun statt dessen gemacht hat. Und da sehen wir, Pabel hat sein Nicht-Heldentum auf dem Rücken der Alleruntersten ausgetragen, auf dem Rücken der Juden. Kein Nazi, ein ganz normaler Deutscher, der versucht hat, über die Runden zu kommen und dabei auch noch Karriere gemacht hat!

Wie sah die Karriere Pabels denn aus?

Er hat als Bildjournalist, Bildberichter hieß das damals, angefangen, dann war er beim Deutschen Verlag, dem arisierten Ullstein-Verlag. Mit Kriegsbeginn drohte die Einberufung, er war Jahrgang 1910 und hatte noch keinen Wehrdienst gemacht - mußte also Freunde, Vetterle irgendwo gehabt haben, und dank deren Hilfe blieb er weiter Zivilist und landete bei der Zeitung für Front- und Heimat 'Erika‘. Sein Chefredakteur dort war übrigens Helmut Kindler (der spätere Verleger), der seinerseits einer Einberufung nicht entging und zu einer Propagandakompanie (PK) nach Warschau kam. Und was hat Kindler gemacht? Er kam in Kontakt mit dem polnischen Untergrund und hat für den Waffen beschafft - und saß 1943 hier in der Lehrter Straße, angeklagt wegen Hochverrats und allem möglichen und kam nur durch einen guten Anwalt mit dem Leben davon. Pabel unterdessen hat bei der Propaganda-Ersatzkompanie in Potsdam seinen Grundwehrdienst gemacht, und damit war es erledigt, er landete an der Spitze der deutschen Journalistik, einem Farbmagazin für das Ausland, 'Signal‘. Dort war er dann den ganzen Krieg über. Pabel behauptet immer, er sei „unpolitisch“ gewesen, aber wenn man sich alle Beiträge in 'Signal‘ anschaut, sind die politisch, ideologisch besetzten Reportagen meistens von Pabel - der deutsche Vormarsch, die 'Befreiung der Ukraine‘, die Kosaken, die russische Freiheitsarmee und so weiter. Und genauso „unpolitisch“ sind auch die Sachen, die er nach dem Krieg gemacht hat.

Wie ist der „unpolitische“ Pabel zu einer Reportage wie dieser aus dem Ghetto Lublin gekommen?

Sie entstand im Auftrag der 'Berliner Illustrierten‘, der größten deutschen Illustrierten, und einen solchen Autrag zu kriegen - über ein Ghetto und die „Untermenschen“ im Osten war keine Strafe, sondern eine Auszeichnung. Pabel hat sich damit für Höheres empfohlen und kam ja denn auch - nachdem ihn die zuständige NSDAP-Ortsgruppe Halensee, eine der schärfsten Ortsgruppen überhaupt, als „politisch zuverlässig“ empfohlen hat - zu 'Signal‘.

Aber er sagt doch, kein Parteimitglied gewesen zu sein, wie kommt er da zu einer solchen Empfehlung?

Für manche Jobs war es erwünscht, daß die Leute kein Parteimitglied waren. Darauf hat Götz Aly im Zusammenhang mit Höfer ebenfalls hingewiesen und vermutet, daß Höfer Zuträger des SDs (Sicherheitsdiensts) war. Aber Leute wie Pabel, er wohnte in der Forckenbeckstraße links vom Ku'damm, waren natürlich bekannt in ihrer Gegend. Zum Beispiel Barth -von-Wehrenalp, ein Nazi auch nach außen hin, der beim 'Völkischen Beobachter‘ (und später beim Econ-Verlag) war, der hockte auf seinem Balkon in der Bonner Straße und diktierte lauthals seine Drecksartikel, so daß die ganze Nachbarschaft es hören konnte, seiner Freundin und Sekretärin in die Maschine. Als kleiner, unbekannter Fotograf konntest du nie zu einem solchen Auftrag kommen, eine Titelstory für die 'Berliner Illustrierte‘ war für einen jungen Journalisten das große Los, da waren Tausende scharf drauf. Es gab in jeder Zeitschrift, bis hinunter zum Hausfrauenblatt, solche Geschichten gegen die Juden, es gab Rundfunk-Live-Reportagen von SS-Razzien im Warschauer Ghetto. Im kalten Winter 40/41 wurde durch die vielen Geschichten überall der „schneeschippende Jude“ zu einer richtigen Metapher. Und wenn wir heute, eigentlich erst nach dem Eichmann-Prozeß 1961, solche Reportagen entsetzlich finden - damals fiel das gar keinem auf, es war wie selbstverständlich.

Für Pabel angeblich nicht, er sagt, daß er von der Feldgendarmerie in Lublin gezwungen wurde, bei einer Razzia als Fotograf mitzugehen.

Das ist ein Riesen-Witz, ein Super-Höfer sozusagen. Es gab doch, vor allem in der Kriegszeit, ganz streng geregelte Zuständigkeiten, Kompetenzen, Dienstwege, die ein Bildberichter Pabel nicht einfach übergehen konnte. Wie kam man zu dieser Zeit überhaupt nach Lublin? Lublin war die Hauptstadt des Distrikts Lublin im Generalgouvernement, dem polnisch belassenen Teil des besetzten Polens, verwaltet von bewährten deutschen Kommunalbeamten, Propagandaleuten und vor allem Bullen. In das Generalgouvernement reinzukommen, war vergleichsweise so schwierig, wie heute aus der DDR rauszukommen, du konntest nicht einfach eine Neckermann -Reise dahin buchen. Pabel brauchte Passierscheine, Papiere, Stempel, also hin zur Paßstelle des Bevollmächtigten des Generalgouverneurs in Berlin, Standartenstraße, heute wieder Mathäikirchstraße. Und in Lublin angekommen, konnte er nicht einfach ins Hotel ziehen, er mußte sich da melden, wahrscheinlich beim Propagandaamt der NSDAP oder beim Amt für Volksaufklärung und Propaganda der Distriktsregierung Lublin. Da hockte ein gewisser Dr. Horst Dressler-Andres, den Pabel wahrscheinlich aus Berlin kannte, der war bis Kriegsbeginn eine große Nummer im Reichsrundfunk. (Nach '45 ist er ein ganz hohes Tier in der DDR geworden, ziemlich untypisch, denn normalerweise haben die Propagandaleute, die an der Ostfront gefangen wurden, von den Sowjets grundsätzlich 15 Jahre gekriegt, wenn sie nicht gleich erschossen wurden. Diese Leute, ob sie nun dahinter standen oder nicht, waren in den Augen der Russen Protagonisten der Völkerzwietracht und des Rassenhasses - wer so was schreibt, der muß ein Schwein sein, also wurden viele, zu Recht sage ich, sofort erschossen. Übrigens hat sogar Eichmann, gefragt wen er denn alles für den Judenmord vor Gericht stellen würde, geantwortet: die ganzen Propaganda-Fritzen, um zu klären, welche Rolle sie für die Beeinflussung der öffentlichen Meinung spielten)

Wie kommt nun der Propaganda-Fritze Pabel in das Ghetto hinein? Er braucht wieder eine Genehmigung. Für die Ghettos zuständig war der SS-Brigadeführer Odilo Globocnik, der berüchtigste Judenmörder, der zu der Zeit 1940 dabei war, alles für die Ermordung der polnischen Juden vorzubereiten. Globocnik war als SS- und Polizei-Führer im Distrikt Lublin der Chef der gesamten SS, Polizei und Gestapo, hatte mit der Feldgendarmerie aber überhaupt nichts zu tun. Und wenn du dir Pabels Fotos anguckst, siehst du sofort: die Uniformen, die dort getragen werden, sind Uniformen der Sicherheitspolizei. In Lublin war seit 1939 kein Schuß mehr gefallen, es galt als „Friedensgebiet“, da hatte die Feldgendarmerie, eine Wehrmachtseinheit, gar nichts zu melden.

Warum greift Pabel dann heute zu so einer absurden Ausrede?

Es ist wieder die Mitleidstour, weil „Wehrmacht“ harmlos klingt. Pabel ist einer der letzten, die an dieser Unschuldslammtheorie in Bezug auf Wehrmacht stricken und die Schweinereien der SS zuschieben. Ohne einen Wisch der Sicherheitsbehörde Globociks konnte Pabel eine solche Reportage nicht machen, und wahrscheinlich ist er sogar mit ihm und seinen Leuten zusammengetroffen. Denn Lublin war sozusagen ein Kaff, 120.000 Einwohner, davon 50.000 fast schon im Ghetto, die Mauern wurden gerade fertiggestellt, und die Spitze der Verwaltung bestand aus nur elf Reichsdeutschen.

Pabel bestreitet, daß er den Auftrag hatte, im Ghetto zu fotografieren, er sollte eine Reportage über die Truppenbetreuung im Lazarett machen, behauptet er.

Da muß man zuerst fragen: Gab es in Lublin, quasi im Friedensgebiet, wo nur etwa 500 Deutsche stationiert waren, überhaupt ein Lazarett. Ich kann mir das nicht vorstellen und habe nirgends einen Hinweis darauf gefunden. Und wenn es doch so etwas gab, ein Rekonvaleszentenheim oder was auch immer, wo ist diese Reportage von Pabel?

Auf dem Titelblatt der Ghetto-Reportage ist zu erkennen, daß die Embleme auf den Polizeiuniformen wegretuschiert wurden. Wer hat das gemacht, und vor allem warum?

Das hat die 'Berliner Illustrierte‘ gemacht. Es ging darum, möglichst einheitliche Uniformen zu zeigen. Daß zum Beispiel die allgemeine SS irgendwo im Osten in schwarzen Uniformen bei militärischen Einsätzen aufgetreten wäre, das gab es nicht. Auch die Einsatzkommandos traten in grau auf - es ging um das Bild der Geschlossenheit; an den Heldentaten, Frauen und Kinder umzubringen, sollte nach außen sichtbar jeder beteiligt sein. Deshalb wurden die Uniformen möglichst verallgemeinert, in Richtung feldgrau. Aber nehmen wir mal an, es wäre tatsächlich ein Trupp Feldgendarmerie gewesen, mit dem Pabel mitgegangen ist. Die hätten doch nie einen Zivilisten wie Pabel dort fotografieren lassen, dafür hatten sie ihre eigenen PK-Leute. Pabel erzählt ja mehrere Versionen, wie es zu seinem Bericht gekommen sei, eine ist, daß die Polizei ihn zum fotografieren gezwungen und ihm nachher sofort die Filme abgenommen habe - als gäbe es in Lublin, bei der Polizei und beim Propagandaamt keine Fotografen. Aber diese Fotografen, deren Reportagen, ähnlich übel wie die Pabels, in den örtlichen Zeitungen erschienen, hatten doch keine Chance, in der größten Reichsillustrierten zu veröffentlichen.

Pabel sagt, ihm sei der Film abgenommen worden und ohne sein Wissen nach Berlin gelangt.

Ein Witz. Wie kommt ein Film von der Sicherheitspolizei Lublin auf die Titelseite der 'Berliner Illustrierten‘, in den Verlag, in dem Pabel angestellt ist? Das Urheberrecht galt damals doch ähnlich wie heute. Wenn es so gewesen wäre, wie Pabel erzählt, hätten mindestens folgende Instanzen hintergangen werden müssen: die Redaktion der 'Berliner Illustrierten‘, die Dienststelle des ProMi Goebbels in Lublin, das Propagandamt des Generalgouverneurs Frank in Krakau und seine Dienststelle in Berlin (und selbst wenn es Feldgendarmerie gewesen wäre, hätte das über den Oberbefehlshaber Ost in Spala zum OKW-Amt Wehrmachtspropaganda laufen müssen) - die alle hätten auf dem Dienstweg mitbefaßt sein müssen an dieser angeblichen Hintergehung Pabels. Er behauptet ja, erst Wochen später, aus Norwegen zurückkommend, diese Titelstory entdeckt zu haben. Wahrscheinlich dagegen ist, daß Pabel nicht allein, sondern mit einer Delegation nach Lublin reiste, im Auftrag des Propagandaministeriums für die 'Berliner Ilustrierte‘.

Wenn man sich die Bilder genauer ansieht, drängt sich ein Verdacht auf: Es ist gar keine Live-Reportage, die Fotos sind gestellt. Ich kann das nicht beweisen, aber vieles spricht dafür. Nur ein paar Kleinigkeiten: So gut wie der Schieber auf dem Bild, mit solchen tollen Stiefeln, waren die Juden, die in Lublin schon massenhaft wegstarben, nicht mehr gekleidet zu dieser Zeit. Oder ein anderes Foto: So geordnet, wie der Polizeitrupp da in das verdächtige Haus reingeht - und vor allen Dingen ohne gezogene Waffe -, das gibt's nicht. Zu so einem Einsatz wurde nie ohne Karabiner oder MP gegangen. Hier marschieren sie mit umgeschnallten Pistolen rein. Und dann die drei gestellten „Täter“ in diesem so gefährlichen Schmugglerloch: drei alte Männer über 65, die aussehen wie Rabbis, Vorzeigejuden. Die Schwarzhändler aber waren tough guys, gewiefte Typen, nicht solche gelehrten Opis. Und dann der Kartoffelkeller, so sauber, so aufgeräumt, richtiggehend hergerichtet. Das einzige, was echt wirkt auf diesen Bildern von der Razzia, was den Live-Charakter suggeriert, ist, daß die Juden ihre Hüte aufhaben. Solche Fotos, auf den Juden oder Polen vor Deutschen den Hut aufhaben, gibt es normalerweise nicht. Sie werden beim Schachern überrascht, haben die Hüte auf, und nachdem sie gestellt sind, müssen sie als erstes die Kopfbedeckung runterreißen.

Pabel nimmt für sich in Anspruch, daß es sich bei dieser Reportage um einen einmaligen Ausrutscher handelt und er so was sonst nie mehr gemacht hat. Gibt es wirklich nur die eine Ghetto-Reportage.

Noch einmal zurück zu dieser Lublin-Reportage, warum wurde im Herbst 1940 ein Bildjournalist aus Berlin gerade dorthin geschickt?

Ich will zuerst noch einmal etwas zu der Ohnmacht sagen, die Pabel heute für sich in Anspruch nimmt. Es gab nämlich Leute, die solche Sachen einfach nicht gemacht hätten diese intellektuelle Beihilfe zum Judenmord. Das Beispiel Helmut Kindler hatten wir schon, Kindler hat gegenüber zwei Zeugen, die es später unabhängig voneinander wiedergegeben haben, in der Haft in der Lehrter Straße gesagt: „Seit dem 30.Januar 1933 ist für mich Hochverrat ein Gebot des Gewissens, und Landesverrat ein Gebot der Menschenrechte.“ Das Schlimme ist, daß Typen wie Pabel nach '45 solche Leute wie Kindler für sich reklamieren konnten und können, und es nur wenige gab, die bei dieser Persilscheinfabrikation nicht mitgemacht haben, sich nicht aus menschlichen Gründen hinreißen ließen. Deshalb konnten so viele gemeine Opportunisten nach '45 nahtlos weitermachen.

Jetzt zum Zweck der Reportage: Wenn so etwas auf der Titelseite erschien, war es kein Zufall. Es gab die Goebbels -Konferenzen, da wurden Leitlinien entworfen, Sprachregelungen getroffen und Themen festgesetzt - wie das im Detail ablief, ist alles schon veröffentlicht und bekannt. Die Lublin-Reportage war lange geplant und wurde gezielt eingesetzt. Sie steht meines Erachtens im Zusammenhang mit den ersten sogenannten „wilden Deportationen“ ins Generalgouvernement durch einige Gauleiter. Die fingen 1940 einfach an, die Juden rauszuschmeißen, und das gab internationale Proteste, die USA waren noch nicht im Krieg und sandten Hilfsgüter ins Generalgouvernement, im Vatikan grummelte es und aus der Schweiz, und solche außenpolitischen Turbulenzen waren zu der Zeit noch unerwünscht. Diese Reportage über kriminelle Ratten in ihren Löchern wurde gemacht, um die Proteste zu konterkarieren. Die Gauleiter in Stettin und Danzig, die wilde Deportationen durchführten, wurden ja nicht abgesetzt, sondern schultergeklopft, und ihre Kollegen trachteten, ihnen nachzueifern. Reportagen wie die von Pabel im Dezember 1940 dienten dazu, die deutsche Bevölkerung auf ähnliche Szenen vorzubereiten. In Berlin begann gerade die „Entjudung des Wohnraums“, und in diesem Zusammenhang hatte die Reportage des „unpolitischen“ Herrn Pabel ihren ganz gezielten Zweck.

Daß man heute die Fassung verlieren kann, angesichts dieser Reportage und der Karriere des Herrn Pabel, wird erst deutlich, wenn man diese Geschichte konfrontiert - ja, mit was? Es ist sinnlos, da mit einem allgemeinen Ethos, Humanität und so weiter zu kommen, es geht nur konkret. Ein Beispiel soll genügen: Es gab hier in Berlin Leute, wenig genug, die - noch nicht unter Lebensgefahr, aber schon notiert und vorgemerkt (übrigens von der Post!) - sich auf Schleichwegen die Adressen ins Generalgouvernement deportierter Juden besorgt und den Leuten Päckchen geschickt haben: Seife, Bindfaden, Zucker, man durfte nur kleine Päckchen schicken. Und nun stell dir eine Frau vor wie Helene Jakobs, die so etwas tut, die die Adresse einer deportierten Familie in Lublin rausgekriegt hat und sie von Berlin aus versucht, am Leben zu erhalten, mit winzigen Paketen. Und dann diese Drecksreportage von so einem Scheißkerl...

Interview: Mathias Bröckers

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