„Nach Demos und Hungerstreik bin mittlerweile maßlos enttäuscht“

Im Gespräch mit den sechs Initiatoren der Kahlrasur-Aktion in Peking / Protestform mit jahrzehnteralter Tradition des Protests / „Effektiver als jede Parole“  ■ I N T E R V I E W

Die sechs Studenten der Kahlkopf-Aktion kommen von der biologischen Fakultät an der Pekinger Beida-Universität. Ihre Namen: Peng Rong, Lou Wei, Sun Jing Chuan, Song Xianming, Deng Yonggi, Fan Xuhong

taz: Ihr habt Euch am Montag in einer spektakulären Aktion aus Protest öffentlich die Haare kahlgeschoren. Warum?

Peng: Die Kahlrasur ist in China seit über zweitausend Jahren Zeichen des politischen Protests. In der neueren Geschichte drückten die Anhänger der Reformbewegung mit dem Abschneiden der Zöpfe ihre Verachtung gegenüber der verfaulten Manschu-Dynastie aus. Wir haben keinerlei Vertrauen mehr in die Regierung und setzen auf sie keinen Funken Hoffnung.

Wochenlang demonstrierten über eine Million Menschen, aber die Regierung ignoriert einfach den Willen des Volkes. Alle Methoden des friedlichen Protestes sind augeschöpft: Bittgesuche, Sit-ins, Hungerstreik, Demos, Blockaden. Aber die Regierung verkauft das Volk nur für dumm. Von einer Partei, die alle paar Jahre ihren Chef zum Parteifeind erklärt - wohl eine chinesische Spezialität - haben wir nichts mehr zu erwarten.

Lou: Wir haben keine Waffen und keine Macht in Händen. Wir können nur mit persönlichen Mitteln unsere Gefühle ausdrücken. Ich habe an den Demos und dem Hungerstreik teilgenommen und bin maßlos enttäuscht. Die Regierung betrachtet das Land als Familienbesitz, sieht sich als Landesvater und das Volk als die unmündigen Kinder. Die Zukunft Chinas und mein persönliches Schicksal sehe ich sehr düster.

Sun: Durch unsere Aktion wird natürlich nicht die ganze Bevölkerung zur Solidarität motiviert. Aber wenn mehrere hundert oder tausend Kahlköpfige an den Demos teilnehmen, ist der Effekt viel stärker als jede Parole und jedes Transparent. Wir hoffen auf viele Nachahmer, aber bisher haben sich nur 15 Studenten an der Aktion beteiligt. Alle hoffen, daß andere vorangehen und den persönlichen Schritt tun, aber kaum jemand ist bereit, selbst den Anfang zu machen und für die eigenen Rechte zu kämpfen.

Song: Das ist eine der Ursachen, warum China so arm ist, keine Freiheit, keine Demokratie und keine Wissenschaft hat; das hat viel mit dem von der Tradition her sklavischen Charakter der Chinesen zu tun: Niemand traut sich, aus dem Schatten hervorzutreten. Sie sind es gewohnt, mit Gewalt regiert zu werden.

Deng: Die Aktion ist sehr gut, weil sie mit der Tradition bricht. Es ist Ausdruck unserer Wut, kein Spaß, sondern eine ernste Aktion.

(Interview: Thomas Reichenbach, Peking)