Peking: Proteste gehen weiter

■ Studenten enthüllten Freiheitsstatue auf dem Platz des himmlischen Friedens/ Streik soll bis zum 20. Juni fortgesetzt werden / 300 Lehrer drohen mit Hungerstreik / „Nicht die Regierung bestimmt das Volk, sondern das Volk bestimmt die Regierung“. / Erste Verhaftungen wurden bekannt

Peking (taz/dpa/afp) - Montag nacht im Zentrum der chinesischen Hauptstadt. Auf dem Tiananmen, dem Platz des himmlischen Friedens sind trotz der Ankündigung des autonomen Studentenverbandes, die Proteste bald abzubrechen, wieder zahlreiche Menschen zusammen gekommen. Manche Meldungen aus Peking sprechen von 100.000, andere von einer Million Menschen. Sie wollen Zeuge eines ungewöhnlichen Polit- und Kunstspektakel werden. Studenten der staatlichen Kunsthochschule hatten in tagelanger Arbeit eine etwa zehn Meter hohe Nachbildung der amerikanischen Freiheitsstatue modelliert.

Die Frauenfigur mit wehendem Haar und der Flamme der Demokratie in der emporgestreckten rechten Hand, symolisiert noch einmal, worum es den Studenten und den mit ihnen demonstrierenden Arbeitern geht. Das Gesicht der Statue schaut genau auf das riesige Porträt von Mao Zedong, das nur wenige hundert Meter enfernt den Eingang zum einstige Kaiserpalast, der Verbotenen Stadt, markiert. Das Bildnis des „Großen Steuermanns“ aus längst vergangenen Tagen, das hier noch immer den Allmachtsanspruch der chinesischen KP in Szene setzt, war in der letzten Woche mit Farbe bespritzt worden. Ein Affront gegen Partei und Staat, von dem sich die Studenten klugerweise sofort distanzierten.

Doch jetzt haben die Studenten Mao Zedong ihr Symbol gegenüber gestellt. Zu den Klängen der Internationale wurde die Freiheitsstatue, Made in China, eingeweiht. Rauschender Applaus unter den umstehenden StudentenInnen und Pekinger BürgerInnen. „Die Stimmung hat sich gewendet“, freut sich ein Flugblattverteiler sichtlich erleichtert. Zwei Tage lang war der Platz fast leer geblieben, es gab keine Straßenumzüge mehr, die Essensspenden der Bevölkerung gingen rapide zurück und viele debattierten über eine Beendigung des Sitzprotestes. Die resignativen Untertöne in den Gesprächen im Stadtzentrum oder an den Unis waren unüberhörbar.

Doch jetzt ist die Stimmung wieder umgeschlagen. Eine Mehrheit der Studenten auf dem Tiananmen, stimmte am Montag dafür, die Besetzung des Tiananmen fortzusetzen. Unterstützt werden sie dabei vor allem von Studentendelegationen, die aus den entlegenen Provinzen angereist waren. Einige von ihnen waren, wie zuvor nur in der Kulturrevolution (1966 -76), letzte Woche kostenlos von den Bediensteten der Staatsbahnen befördert worden. Sie wollen jetzt nicht unverrichteter Dinge in die Heimat zurückkehren. Schließlich ist ihr Ziel, Freiheit, Demokratie und ein Ende der Korruption unter den führenden Kaderfamilien des Landes noch lange nicht erreicht.

„Der Kampf geht weiter“, gaben die Lautsprecher auf dem Platz das Abstimmungsergebnis bekannt. Einzelne Studenten, die sich über einen Monat lang an Demos, Hungerstreik und Sitzprotest beteiligt hatten, fielen sich um die Arme, andere führten Freudentänze auf. Nach diesem Spektakel stellten die Vertreter der Peking-Uni ihr Vorhaben erstmal zurück, am Dienstag vor dem Regierungssitz einen Hungerstreik mit Persönlichkeiten aus allen Bereichen der Gesellschaft zu beginnen.

Die Blockade des Regierungssitzes geht aber weiter. Zum Ärger der Spitzenkader haben die Studenten eine Transparent über das Haupttor gespannt. Die Aufschrift: „Nicht die Regierung bestimmt das Volk, sondern das Volk bestimmt die Regierung“. Auf dem Tiananmen wurden gestern zusätzliche Zelte aufgeschlagen und mit Lastwagen Vorräte herbeigeschafft. Jetzt scheint es klar, die Aktionen sollen trotz des Ausnahmezustandes mindestens bis zum 20.Juni weitergehen. An diesem Tag tritt der Nationale Volkskongress, das Parlament der Volksrepublik China zusammen, um sich mit Forderungen der Studenten und sicherlich auch den Machtkämpfen in der kommunistischen Partei zu beschäftigen.

„Bis dahin machen wir noch viel Druck“, kündigt der Pekinger Hochschulbund an. Mit neuen Flugblättern fordern die Studenten die Bevölkerung auf, den Protesten die volle Unterstützung zu geben.

300 Lehrer haben sich trotz des massiven Drucks der Regierung auf die Seite der Studenten geschlagen. Sie haben gestern damit gedroht, aus Solidarität mit den protestierenden Studenten in den Hungerstreik zu treten, nachdem die Regierung deren Forderungen abgelehnt hat. Das gab der Studentensprecher Yao Li am Dienstag auf einer Pressekonferenz auf dem Tiananmen-Platz bekannt. Nach Angaben des Studentensprechers haben zwar Gespräche mit der Regierung stattgefunden, aber von einem Dialog könne keine Rede sein, da die Staatsführung sich weigere, mit den Studenten über deren Vier-Punkte-Forderungskatalog zu diskutieren. Dieser umfaßt die Aufhebung des vor elf Tagen verhängten Kriegsrechts, den Abzug der 150.000 rund um die Hauptstadt postierten Soldaten, Straffreiheit für die Studentenaktivisten und Pressefreiheit. Wann die Gespräche, die am 18. Mai abgebrochen worden waren, wieder aufgenommen wurden und wer an ihnen teilnahm, ist nicht bekannt. Die Regierung hat stattdessen damit begonnen einzelne Personen zu verhaften. Unter ihnen sollen Arbeiter und elf Mitglieder einer Motorradgruppe sein, die sich an dem Protest letzter Woche beteiligt haben.

Thomas Reinbach, Peking/J.K.