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Als „Fall“ Karriere - als Mensch fertig

Die Familie Munzemba aus Zaire kämpft seit Jahren um Asyl / Die Gemeinde Duisburg-Bruckhausen steht hinter der Familie / Die Weiterleitung des Asylfolgeantrags nach Zirndorf bannt die Abschiebung für ein paar Jahre  ■  Von Bettina Markmeyer

Duisburg (taz) - „Ich habe alles vergessen“, sagt Lema Munzemba und sieht uns an. „Ich habe alles vergessen“, wiederholt er, „wir leben jetzt nur noch von Montag bis Dienstag von Dienstag bis Mittwoch, von einem Tag zum anderen Tag.“ Seit Anfang Mai können seine Frau Mavuba, drei Kinder und er täglich abgeschoben werden. Zurück nach Zaire, von wo Lema Munzemba vor sieben Jahren allein in die BRD geflohen ist.

Hier, in Duisburg-Bruckhausen, wo die Familie jetzt lebt, in diesem zwischen Thyssen und dem Emscher-Schnellweg eingeklemmten Stadtteil, werden die Munzembas auf der Straße angesprochen. „Wie läuft es? Fragen die Leute. Sie sind freundlich zu uns“, sagt Lema Munzemba, aber der Zairer kann nicht mehr, mag nicht mehr. Zu oft schon hat er seine Geschichte erzählt, in Bruckhausen auf der Straße, vor Behördenschreibtischen, in der Kirchengemeinde und bei Leuten, die der Familie helfen wollen. Als „Fall“ hat er Karriere gemacht. Als Mensch ist er „mit den Nerven fertig“, wie Gerhard Greiner, Pfarrer in der evangelischen Gemeinde Bruckhausen, es ausdrückt.

Seit zwei Jahren unterstützt die Kirchengemeinde, der ökumenische Arbeitskreis Asyl und halb Bruckhausen die Familie. Der Grund für das ungewöhnliche Engagement: Nsunda, der durch eine Hirnhautentzündung körperlich und geistig stark behinderte zehnjährige Sohn der Familie, der in Duisburg-Neumühl auf eine Körperbehinderten-Schule geht.

„Der Junge braucht Hilfe“, sagt Sida Strobl, eine Unterstützerin. „Wie kann man diese Familie abschieben?“ Jetzt läuft Sida Strobl wieder durch den Stadtteil und verteilt Postkarten, auf denen Innenminister Schnoor aufgefordert wird, seine Entscheidung zu überdenken. Ende April hat er eine Duldung endgültig abgelehnt.

Lema Munzemba, der in Kinshasa als Drucker gearbeitet hatte, floh 1982 in die BRD, nachdem er wegen eines oppositionellen Flugblattes zusammen mit dem Chef seines Betriebes unter Verdacht geraten war. In Zaire, wo nur eine Partei zugelassen ist, verschwinden immer wieder Oppositionelle ohne Haftbefehle im Gefängnis.

Im September 1986 zog Lema Munzemba seinen Asylantrag in der Hoffnung auf stillschweigende Duldung zurück, um einer endgültigen Ablehnung durch das Düsseldorfer Verwaltungsgericht zuvorzukommen. Inzwischen war auch seine Frau mit den Kindern nach Duisburg gekommen. Ihr Verfahren lief noch. Die Ausländerbehörde drohte nun, Lema Munzemba allein abzuschieben. Im Mai 1987 erhielt er die Aufforderung zu gehen. Für die Familie eine Katastrophe.

Durch Bruckhausen ging eine Welle der Empörung. Der Asylarbeitskreis sammelte 3.500 Unterschriften unter eine Petition an den Landtag. Das Petitionsverfahren verzögerte die Abschiebung um eineinhalb Jahre, während derer auch Mavuba Munzembas Asylantrag abgelehnt wurde, brachte aber keinen positiven Bescheid.

Das Kollegium von Nsundas Schule, der Rheinischen Schule für Körperbehinderte, stellte sich geschlossen hinter die Familie. Landtags- und Bundestagsabgeordnete aller Fraktionen, die evangelische Kirche im Rheinland, andere Kirchengemeinden, Menschenrechtsorganisationen und selbst der Duisburger Oberbürgermeister Krings unterstützten die Petition und appellierten auf humanitäre Duldung.

„Wir alle hier kennen die Familie“, sagt Friedhelm Schade, dessen Versandhandel in Bruckhausen so etwas wie ein Nachbarschaftstreff ist. „In dem Sommer hatten wir auch hier im Laden die Unterschriftenlisten ausliegen und haben Geld gesammelt.“ Lema Munzemba erhielt eine Stelle als Hausmeister, die die evangelische Gemeinde aus Spenden finanzierte, um die Stadt Duisburg demonstrativ von Sozialhilfekosten zu entlasten.

Nach dem Engagement im Sommer 1987 glaubten viele BruckhausenerInnen, daß die Familie aus Zaire nun dableiben könne. Die örtliche Presse hatte berichtet, das Fernsehen war dagewesen. Zwei Wochen lang ließ Friedhelm Schade den Fernsehfilm als Video in seinem Schaufenster laufen.

Doch während vor den Schaufenstern seines Versandhandels BruckhausenerInnen standen und den Film sahen, schoben sich hinter den Kulissen die Verantwortlichen die Entscheidung gegenseitig in die Schuhe. Abgelehnt habe er eine Duldung „aus grundsätzlichen Erwägungen“, meint der Referent für Asylangelegenheiten im Innenministerium, Nagel. Eine positive Entscheidung für die Munzembas wäre „ein Einstieg in die Gewährung von Daueraufenthalt für Ausländer mit der Begründung, daß die medizinische Versorgung im Heimatland schlechter ist als hier. Das ist in fast allen Ländern der Welt so.“ Der Fall Munzemba habe inzwischen so viel Unterstützung, daß er zum Präzedenzfall werden könne.

Bei der Duisburger Ausländerbehörde wollte man den Fall loswerden und berief sich auf die angeblich eindeutige Entscheidung des Innenministeriums. Anfang Mai sollten die Munzembas gehen. Aufgerieben zwischen den Behörden und mit einem Kind, das in ihrer Heimat keine Chance hat.

In der ersten Maiwoche machte Lema Munzemba einen letzten Versuch. Er stellte einen Asylfolgeantrag. Den leitete die Duisburger Ausländerbehörde wider Erwarten am Anfang dieser Woche ins ferne Bayern nach Zirndorf weiter. Die Gefahr der täglichen Abschiebung ist damit gebannt - für ein oder zwei Jahre. Jetzt muß Lema Munzemba wieder damit anfangen, seine Geschichte zu erzählen. Und das, um zwei Jahre später womöglich erneut vor der Abschiebung zu stehen.

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