Sexualität für Behinderte tabu?

■ Werkstatt Bremen klärt Behinderte über die Aidsgefahr auf

Wer über Aids aufklären will, kommt um das Thema Sexualität nicht herum, ein Thema das in der Arbeit mit geistig Behinderten allerdings bislang weitgehend tabu war.

Als Hannelore Stöver, Leiterin der Werkstatt Bremen, im Rahmen einer behördlichen Aids-Aufklärungskampagne mit Kondomen für ihre Schützlinge versorgt wurde, stand sie deshalb zunächst vor einem ganz anderen Problem, als die 1.100 geistig behinderten MitarbeiterInnen der Werkstatt Bremen über die Ge

fahren von Aids aufzuklären. Statt direkt über tödliche Viren, Infektionswege und Vorsorgemaßnahmen zu sprechen, mußten Stöver und ihre MitarbeiterInnen über Sexualität mit den Behinderten reden. Ein heikles Unterfangen, das nicht nur die Behinderten sondern ebenso ihre BetreuerInnen vor Probleme stellte.

Als bundesweit einmaliges Projekt in der Behindertenarbeit, von der Bundesgesundheitsministerin mit 591.000 DM gefördert und auf drei Jahre befristet, läuft nun in der Werkstatt ein spezielles

Modell der Aidsprophylaxe. Seit 1. Januar arbeiten eine Sonderpädagogin und ein Psychologe daran, sowohl Behinderte als auch ihre BetreuerInnen so sensibel wie möglich an die Themen Sexualität, Liebe, Zärtlichkeit und Partnerschaft heranzuführen.

Es geht aber auch darum, einfachste Kenntnisse über Aids -Infektionswege zu vermitteln. Außerdem müssen spezielle Informationsmaterialien entwickelt werden, weil die üblichen Broschüren zur Aids-Aufklärung den

Großteil der Behinderten nicht ansprechen.

Sozialsenator Henning Scherf hält das Projekt für integrationspolitsch bedeutsam, weil Emanzipation von Behinderten ohne Einbeziehung ihrer Sexualität unmöglich sei. Bislang gibt es keine bekannten Fälle von Aids -Infizierten in der Werkstatt, bundesweit sind 13 Fälle bekannt. Daß in Bremen jetzt endlich auch mit Behinderten über Sexualität geredet wird, ist sicher löblich, aber wieso passiert das erst in den Zeiten von Aids?

rike