Warum La Hague so billig ist

Brief des Betriebsrats der „DWK Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf GmbH“ an Kohl / Sind die Sicherheitsauflagen „nicht das Papier wert, auf dem sie stehen“?  ■ D O K U M E N T A T I O N

Wenn der Betriebsratsvorsitzende der DWK -Wiederaufarbeitungsanlage, Helmut Kumeht, die WAA in La Hague als sicherheitstechnisch unverantwortlich kritisiert, dann liegt das Motiv für seine Kritik auf der Hand. Er will um jeden Preis an Wackersdorf festhalten. Unfreiwillig wird dieser Brief aber zum Kronzeugen für die Antiatombewegung, die eine Wiederaufarbeitung nicht nur in Wackersdorf, sondern auch und jetzt erst recht in La Hague und Sellafield ablehnt. d.Red.

(...) Der Bau einer französischen Wiederaufarbeitungsanlage ist billiger,

-weil dort nicht die gleichen Auslegungen gegen Erdbeben gefordert werden (...),

-weil dort nur eine Auslegung gegen den Absturz von zweimotorigen Sportflugzeugen gefordert wird (...),

-weil dort keine Verarbeitungsanlage für schwachradioaktive Wässer gefordert wird. Bei der Verarbeitung von 300 bis 400 Tonnen Brennstoff pro Jahr werden in La Hague mit den Abwässern 200.000 bis 600.000 Ci radioaktiver Isotope an das Meer abgeleitet.

-weil dort keine Tritiumlagerung und -fixierung gefordert wird. Bis zu 75 Prozent des radioaktiven Tritiums ist nach der Aufarbeitung in Hülsenschrott enthalten, der in der WAW (Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf, d.Red.) durch Einbetonieren fixiert werden muß, die restlichen tritiumhaltigen Wässer müssen in großen Lagertanks abklingen. In La Hague lagert der Hülsenschrott unfixiert, und die tritiumhaltigen Wässer werden mit den schwachradioaktiven Abwässern an das Meer abgegeben (...).

-weil dort keine solch restriktive Rückhaltung von radioaktivem Iod gefordert wird. Bei der Aufarbeitung von 200 bis 400 Tonnen Brennstoff pro Jahr werden in La Hague über Abluft und Abwasser zwischen sechs und zehn Ci Iod-129 an die Umwelt abgegeben (...).

-weil dort keine Kryptonrückhaltung gefordert wird. Bei der Wiederaufarbeitung werden gasförmige, radioaktive Stoffe (Krypton-85) freigesetzt. In La Hague ist selbst bei einer Aufarbeitung von 1.600 Tonnen Brennstoff pro Jahr keine Kryptonabtrennung vorgesehen. Obwohl dem Edelgas Krypton-85 nur sehr wenig zu einer radiologischen Belastung beiträgt, wird von den deutschen Genehmigungsbehörden eine aufwendige Kryptonverflüssigung und -abtrennung aus dem Abgas der WAW verlangt (...).

-weil dort die Bau- und Betriebsgenehmigungen einfacher sind. Bei der sehr aufwendigen und langwierigen Abwicklung der Bau- und Betriebsgenehmigungen für deutsche kerntechnische Anlagen durch Behörden und Gutachter verdoppelt sich nicht nur die Bauzeit bis zu einer Inbetriebnahme, sondern verteuert sich das WAW-Projekt zusätzlich durch Maßnahmen aufgrund von Behördenauflagen (...).

-weil dort nicht der neueste Stand der Technik gefordert wird. Diese Forderung nach dem deutschen Atomgesetz kann bei den jährlichen widerkehrenden Prüfungen zum zwingenden Austausch von Verschleißteilen führen, der mit problematischem Vororteinsatz des Betriebspersonals verbunden sein kann. Um dem Atomgesetz und dem Minimierungsgebot nach der Strahlenschutzverordnung gerecht zu werden, müssen die wichtigsten Komponenten der WAW in einer teuren, fernbedient austauschbaren Modultechnik gefertigt werden.

Die wenigen und keineswegs vollständig aufgeführten Punkte zeigen, warum die nationale Entsorgung der Kernkraftwerke unter den Vorgaben des deutschen Atomgesetzes, der Strahlenschutzverordnung und der BMU-Richtlinien teurer sein muß.

Bei einem Verzicht der Bundesregierung und des Umweltministeriums auf den deutschen kerntechnischen Sicherheitsstandard und die restriktiven Umweltauflagen kann die WAW genauso billig errichtet und betrieben werden.

Darf die WAW aber nicht auf Kosten der Sicherheit und der Umwelt vereinfacht errichtet und betrieben werden, kann auch bei der Aufarbeitung der deutschen Kernbrennstoffe in Frankreich nicht auf die notwendige Sicherheit oder Rückhaltung der radioaktiven Stoffe verzichtet werden.

Eine Nachrüstung der französischen Anlagen auf unseren kerntechnischen Standard und unsere Umweltauflagen verteuert die Aufarbeitung in gleicher Weise.

Sollten aber die restriktiven kerntechnischen Sicherheits und Umweltauflagen durch die Verlagerung der Technik ins Ausland umgangen werden können, sind sie nicht das Papier wert, auf dem sie stehen.(...)