„Nagy, ein guter Kommunist“

■ Ungarns KP rehabilitiert den ehemaligen Ministerpräsidenten Imre Nagy KP-Generalsekretär soll künftig von allen Parteimitgliedern direkt gewählt werden

Budapest (dpa/ap/afp/taz) „Imre Nagy war ein guter Kommunist und ist auch als solcher gestorben.“ Nach über dreißig Jahren hat das Zentralkomitee der ungarischen KP jetzt ein deutliches Zeichen der Aussöhnung mit der eigenen Gesellschaft und Geschichte gesetzt und den ehemaligen Ministerpräsidenten Nagy voll rehabilitiert. Das ZK habe bei seiner Klausurtagung anerkannt, erklärte am Dienstag abend Parteisprecher Major, daß Nagy Opfer eines Schauprozesses wurde und seine Hinrichtung 1958 gesetzwidrig war.

Die immer wieder von Oppositionsgruppen geforderte Rehabilitierung Nagys wurde seit langem als Barometer dafür gesehen, wie ernst es die Partei mit den Reformen in Ungarn meint. Nagy gilt als einer der ersten kommunistischen Reformpolitiker Ungarns, der sich bereits in den frühen fünfziger Jahren für ein Mehrparteiensystem einsetzte. Nach dem Tode Stalins wurde der Politiker, der lange Zeit in Moskau gelebt hatte, Ministerpräsident, nach zwei Jahren aber als „Anhänger Bucharins und Trotzkis“ kaltgestellt. Während des Volksaufstandes 1956 stand er an der Spitze der neugebildeteten Regierung - wiederum als Ministerpräsident. Es war Nagy, der nicht nur die Abschaffung des stalinistischen Einparteiensystems verkündigte, sondern auch den Austritt aus dem Warschauer Pakt und damit die Neutralität Ungarns. Wegen Hochverrat und „Entfesselung des konterrevolutionären Putsches“ wurde er 1958 zusammen mit weiteren Mitstreitern hingerichtet. Fortsetzung auf Seite 2

Dokumentation einer Rede Nagys von 1956 auf Seite 6

Rosario, Argentinien: Bewaffnete gegen Bürger

Foto: di Baia/ap

Ungarnaufstand von 1956: Getöteter Geheimpolizist

Foto: Ullstein

Nagy wurde danach zur Unperson, zum Tabu, der schließlich von sowjetischen Panzern niedergewalzte Volksaufstand wurde aus dem Blickfeld der Partei ausgeklammert. Erst Anfang diesen Jahres revidierte das Zentralkomitee die langjährige Parteilinie und wertete die „tragischen Ereignisse“ von 1956 nicht länger als „Konterrevolution“, sondern als „Volksaufstand“.

Anläßlich der Rehabilitierung Nagys beschloß das 118köpfige ZK jetzt auch, daß künftig in Ungarn niemand mehr wegen seiner politischen Überzeugung hingerichtet werden darf. Zwei ZK-Mitglieder

wurden während der gleichen Sitzung „auf eigenen Wunsch“ ihrer Ämter enthoben. Angehörige der Hingerichteten sowie Überlebende der Prozesse nach 1956 hatten ihnen vorgeworfen, seinerzeit Gefangene mißhandelt zu haben. Es handelt sich um den derzeitigen Botschafter Ungarns in Moskau, Sandor Rajnai, und um Mihaly Korom.

Die Trauerfeier für Nagy am Jahrestag seiner Hinrichtung Mitte Juni soll nach dem Willen des ZK der nationalen Aussöhnung dienen. Während bislang eine offizielle Teilnahme von Partei- und Staatsvertretern ausgeschlossen wurde, forderte jetzt das Budapester Parteikomitee, daß beim Quasi -Staatsbegräbnis Parteivertreter nicht fehlen dürften.

Eine weitere umwälzende Neuerung: Das Zentralkomitee kündigt parteiinterne Demokratie an. Schon beim nächsten Parteitag im kommenden Herbst soll der Generalsekretär nicht mehr vom ZK benannt werden. Alle rund 750.000 Mitglie

der sollen nun befragt und ihren neuen „Chef“ in direkter Wahl bestimmen. Gleichzeitig hat die Parteiführung erneut die Opposition zu Verhandlungen am „runden Tisch“ für den 10.Juni eingeladen. Bei diesen Gesprächen soll vor allem der Zeitpunkt der ersten Wahlen mit mehreren Parteien geklärt werden. Ein erstes Gesprächsangebot war Anfang April von den unabhängigen Gruppen abgelehnt worden.

Der ungarische Parteichef Karoly Grosz hat derweil Vorwürfe zurückgewiesen, die Partei habe in der Vergangenheit einen falschen Weg eingeschlagen. „Ich leugne, daß die vergangenen vier Jahrzehnte eine Sackgasse waren, leugne, daß es ein verfehlter Weg war, leugne, daß die von uns gewählte Alternative falsch war“, sagte Grosz gestern. Er ist innerhalb der Partei zunehmend ins Kreuzfeuer der Kritik geraten und könnte möglicherweise beim außerordentlichen Parteitag abgewählt werden.

bim