DIE KUNST UND IHR BUCH

■ Berliner Kunstverlage 1890-1933 - eine Dokumentation in Dahlem

Am 27.Dezember 1908, Tagebuchnotiz von Max Beckmann: „Alle waren wir einig in dem Gefühl des Widerwillens und der Unmöglichkeit für die Entwicklung unserer deutschen Kunst bei dieser gänzlichen Herrschaft des kaufmännischen Interesses von Cassirer, bei seiner Indolenz und Blasiertheit.“ Grund für den Angriff auf den Verleger, Galeristen und Kunsthändler Paul Cassirer war dessen Stellung als geschäftsführender Direktor der Berliner Sezession; Beckmann und andere planten mal wieder den Umsturz in der an Spannungen reichen Künstler-Lobby. Vier Monate später notiert der Maler: „Morgens bei Cassirer er war sehr liebenswürdig und hatte wirklich etwas da was ich illustrieren sollte. Ein Buch mit Versen von Herrn Guthmann. Mink und ich haben ihn nämlich im Verdacht daß er irgend Wind von den Revolutionsplänen bekommen und nun sich an mich heranmachen möchte“ (zitiert nach: Max Beckmann, Leben in Berlin. Piper, München 1983). Bald darauf erschien eine Luxusausgabe von Guthmanns Versen mit Lithographien von Max Beckmann. Der Verleger Paul Cassirer war dem Kunstfunktionär zur Seite gesprungen.

An Paul Cassirer, dessen Name heute in keiner Rezeptionsgeschichte der Moderne in Deutschland fehlt und dessen Geschäftstüchtigkeit von den zeitgenössischen Künstlern mißtrauisch und eifersüchtig beobachtet wurde, zeigt sich, wie eng die Geschichte der Berliner Kunstbuchverlage mit der Entwicklung eines Kunstmarktes zusammenhängt. Im Schnittpunkt kultureller und ökonomischer Interessen entsteht die Arbeit der Verlage; neben Paul Cassirer waren auch sein Bruder Bruno, Fritz Gurlitt, Isaac B.Neumann, Nierendorf und Herwarth Walden (Der Sturm) zugleich als Galeristen, Kunsthändler und Verleger tätig.

Die Kunstbibliothek Berlin, deren eigene Geschichte auf die Stiftung des bibliophilen Sammlers und Verlegers Franz Lipperheide zurückgeht, hat nun mit vielen Mappen, Zeitschriften, Büchern und Plakaten eine Dokumentationsschau über die Berliner Kunstbuchverlage zwischen 1890 und 1933 erarbeitet, die vor allem deren Anteil an der Vermittlung der Moderne illustrieren will. Leider nehmen sie dabei die naheliegende Gelegenheit zu einer Skizze über den Kunstmarkt dieser Zeit und die Produktionsverhältnisse der Künstler nicht wahr.

Mit Postkarten, Sturmbilderbüchern von Jacoba von Heemskerck, Kurt Schwitters und Paul Klee, mit Wochenschriften und Ausstellungskatalogen lockt eine große Vitrine zu den zahlreichen Aktivitäten Herwarth Waldens im Sturm; doch kann man in diesen hinter Glas verschlossenen Kostbarkeiten weder blättern noch lesen. Schöne Einbände von Max Pechstein und Cesar Klein für den Fritz Gurlitt Verlag entworfen, lassen so nur erahnen, mit welcher Liebe und Mühe ein Buch als sinnliches Objekt gestaltet wurde.

Zwei eigene Kapitel in Ausstellung und Katalog erzählen von den weniger bekannten jüdischen und russischen Verlagen, die bis zu ihrer Vernichtung im Faschismus wesentlichen Anteil an der kosmopolitischen Färbung der Berliner Kultur hatten. Selbst noch durch die Scheiben der Vitrinen zeigen der Reichtum der Ornamentik, die Farbenpracht der Illustrationen, Ausstattung und Typographie, daß mit dem Kulturtransfer aus dem Osten nicht einfach nur Künstler nach Berlin gekommen waren, sondern daß diese auch eine besondere, Verstand und Sinne ansprechende Kunst des Büchermachens mitbrachten. Auf hebräischen und russischen Buchseiten ist die Illustration keine Zugabe, sondern Bild und Schrift verdichten sich zu einer intensiven visuellen Botschaft.

Der inhaltlich spannungsreichste Teil der Ausstellung dokumentiert den merkwürdigen Aufschwung des reproduzierenden Gewerbes zur Zeit des Ersten Weltkriegs. Die Künstler und ihre Verleger rückten selten so nahe an das politische Geschehen heran. In den Graphiken von Baluschek, Bruno Paul, Ernst Barlach und August Gaul läßt sich noch die anfängliche Kriegsbegeisterung ablesen. Doch während des Krieges, oft nach eigenen Erfahrungen an der Front, distanzierten sich die meisten Künstler vom patriotischen Eifer. Käthe Kollwitz, George Grosz und Otto Dix drücken dies am deutlichsten aus. Die Publikationsorgane bleiben dennoch oft dieselben, wie sich an „Kriegszeit, Künstlerflugblätter“ im Verlag Paul Cassirer verfolgen läßt. Unabhängig vom nationalistischen oder pazifistischen Engagement belegen sie einen Hunger nach Bildern, nach der Wiederentdeckung der eigenen Identität und der eigenen Erfahrungen in der Kunst.

Der materialreiche Katalog, den die Kunstbibliothek zu der Ausstellung herausgibt, kämpft manchmal etwas mühsam gegen die Fülle der Details und die Tendenz, Verlagsprogramme durch Aufzählungen zu erklären. Der Zusammenhang zwischen dem Engagement und der erhöhten Produktivität der Kunstbuchverlage und den Entwicklungen der Kunst wird nicht recht greifbar. Die veränderte Haltung des Künstlers gegenüber der Öffentlichkeit, die Teil der in der Moderne erneuerten gesellschaftlichen Funktion von Kunst ist, schlägt sich in der Produktion von Kunstbüchern nieder, die als vermittelnde Medien einen neuen Stellenwert gewinnen. Doch sowohl diese vermittelnde Bedeutung der Verlage als auch ihre Rolle in der ökonomischen Unterstützung der Künstler wird nur gelegentlich gestreift.

Katrin Bettina Müller

„Europäische Moderne. Buch und Graphik aus Berliner Kunstverlagen 1890-1933.“ Sonderausstellungshalle Dahlem, bis 2.7.89.