Dialog-betr.: "Propaganda des Wortes", taz vom 18.5.89, "Der Einstieg in die Auseinandersetzung bleibt aus", taz vom 29.5.89

betr.: „Propaganda des Wortes“, taz vom 18.5.89, „Der Einstieg in die Auseinandersetzung bleibt aus“,

taz vom 29.5.89

Moralisierend und mit klugen Sprüchen gepflastert mahnt die taz in zwei Kommentaren den angebotenen Dialog der Gefangenen nach § 129 a StGB an. Immerhin stellt sie fest, daß die Diskussion unter „schwierigen Bedingungen“ stattfindet und „hohe Ansprüche an alle Beteiligten“ stellt. Anscheinend geht man bei der taz immer noch von einem Prominenten-Dialog aus, trotz der bei der Dialog-Initiative von Antje Vollmer unter anderem gemachten Fehler und des daraus resulitierenden Nichts. Auch damals hat man es unterlassen, erst mal die Bedingungen abzuklären, zu verändern und so ist es auch heute noch. (...) Den Dialog mit den Gefangenen zu fordern, heißt, sich mit den Bedingungen auseinanderzusetzen, unter denen dieser geführt werden soll:

Ein bis zwei Stunden Besuchszeit pro Monat, teilweise überwacht von Kontrollbeamten. Kontrolle und Zensur des Schriftverkehrs lassen Kritik an herrschenden Zuständen, sowohl drinnen wie draußen, nicht zu. Worte wie Widerstand, Repression, Imperialismus, Kapitalismus, Kommunismus, Sozialismus, Unterdrückung und Ausbeutung, Dritte Welt, Gentechnologie, Sextourismus usw. sind sogenannte „anschlagsrelevante“ Themen in den Augen der Justiz. Ohne diese Themen kann eine politische Auseinandersetzung jedoch nicht geführt werden, wie jeder weiß, der diskutiert. Demzufolge steht jede/r, der/die sich am Dialog beteiligt, mit einem Bein im Knast, Rebmann und den § 129 a StGB im Nacken. Trennscheiben „zum Schutz“ von BesucherInnen, auch wenn sich die/derjenige gar nicht fürchtet, und anders als die SicherheitsfanatikerInnen, ohne Angst zum Beispiel vor einer Geiselnahme, auf die Gefangenen zugeht. (...)

Diese auch für den sogenannten Normalvollzug geltenden Bestimmungen machen deutlich, wie sich die Situation, noch verschärft unter Sonderhaftbedingungen, darstellt. (...)

Die Forderung der Gefangenen nach freier politischer Information und Kommunikation mit allen gesellschaftlichen Gruppen ist beileibe nicht irgendeine Forderung, sie geht an die Substanz des praktizierten Strafvollzuges. Sie legt den Finger in eine weitere Wunde, nämlich die nicht gewünschte und unterdrückte freie Meinungsäußerung und freie Willensentscheidung im Verwahr- und Entmündigungsvollzug.

Ist unter diesen Umständen eine politische Auseinandersetzung, ein Dialog überhaupt möglich? Ist es nicht unfair, wenn die Gefangenen demzufolge den Dialog verweigern, ihnen vorzuwerfen, der Dialog wäre nur ein Vorwand, es ginge ihnen ja nur um ihren „Kampf“? Wollen die Verantwortlichen aus Politik und Justiz überhaupt eine politische Auseinandersetzung mit Gefangenen beziehungsweise sind diese Haftbedingungen nicht gerade dafür gedacht, die freie Meinung und den freien Willen zu unterdrücken, zu unterbinden? Wird hierdurch nicht bezweckt, unserer aller Abhängigkeit von ihrer Macht zu demonstrieren, uns alle einzuschüchtern, zu ängstigen?

Daß der Dialog, die politische Auseinandersetzung mit allen Gefangenen möglich sein muß, wünschenswert ist, wird sicher von vielen unterstützt. Dies muß jedoch auch dazu führen, daß die Unterstützung eine Veränderung der Bedingungen bewirkt. Freie politische Information und Kommunikation zwischen allen Menschen ist Bestandteil international geltender Menschenrechte.

Dorothea Bonger, Die Grünen AK Strafvollzug, Freiburg