Am Klima leiden

■ Der tschechische Dichter/Philosoph Ladislav Klima

Detlef Kuhlbrodt

Im Buch der Könige fragt Theweleit nach den Opfern der Kulturproduktion und entdeckt, daß sich fast alle, gerade auch avantgardistischen (männlichen) Künstler des zwanzigsten Jahrhunderts am Ü(berlebens-)-Pol befinden: „Damenopfer“ und zurückgelassene, „unbegabtere“, Freunde (muß ja wohl „FreundInnen“ heißen, wa? Barbara) sicherten die Kunstproduktion. Gewinner/Verlierer, Täter/Opfer Pärchen lassen sich zuhauf finden: Breton/Artaud, Benn/Herta von Wedemeyer; Ezra Pound/Hilda Doolittle usw.).

Der tschechische Dichter/Philosoph Ladislav Klima (1878 -1928) stand immer außerhalb dieses Spiels, in dem die Avantgarde nicht die alte Ordnung zerstört, sondern sich Opferersatz sucht (diese Ersatzhandlungen beschreibt Carl Eisenstein in seiner „Fabrikation der Fiktionen“), um sich schließlich in die Ordnung des Bestehenden einzufügen. Nur folgerichtig, daß sein Werk, daß Klima nicht überlebt hat in Deutschland ist er völlig unbekannt, in der Tschechoslowakei und Frankreich kennen ihn nur Spezialisten. Bezeichnend für die Neugierde einer Literaturwissenschaft, die jedes Jahr neue Bücher über Kafka und Prag auf den Markt wirft.

Die Welt ist ein absolutes Spielzeug meines absoluten Willens. Als Philosoph des absoluten Willens, beeinflußt von Berkeley und Nietzsche, bemüht sich Klima, in Ekstasen das Wesen seiner selbst zu erfassen; als allmächtiges, souveränes Individuum wird er „gottesgleich“ und steht so außerhalb der Welt, ohn-mächtig hat er sich der Welt bemächtigt. Freitod oder Wahnsinn drohen, also entscheidet er sich für eine provisorische Rückkehr zum Menschlichen (Klima) - eine eher halbherzige Überlebensperspektive.

Der bewußte Wille bleibt für den Tschechen die einzige Gewißheit. Je suis la volontee absolue heißt eine Sammlung metaphilosophischer Aufsätze, die in Frankreich erschienen ist.

Noch während seiner Schulzeit sterben Mutter, Großmutter, Tante und die übriggebliebene Schwester innerhalb von acht Monaten, systematisch habe ich die Kreuze in der näheren Umgebung geschändet, Skandale in Kirchen provoziert, aus Mangel an Bomben verbreitete ich anarchistische Flugblätter usw ... 1895 fliegt Klima wegen Majestätsbeleidigung von der Schule, weil er in einem Aufsatz ... die Habsburger eine Schweine-Dynastie genannt hat. Mit 18 erhält er die Erbschaft, die Mutter und Schwester ihm hinterlassen hatten. Ich errechnete, daß ich davon würde acht Jahre erträglich leben können - um ein Jahr habe ich mich verschätzt.

Seine Hauptbeschäftigung besteht zu dieser Zeit in ewigen Spaziergängen durch Forste, im Suchen nach Nymphen und Traumschlössern, im Sich-nackt-wälzen in Moos und Schnee, in schrecklichen Kämpfen mit Gott. 1909 stirbt sein Vater; vom Erbe kann Klima weitere zwei Jahre leben. Alles ist totgeboren, alles ist von der Wahrheit gleich weit entfernt, schreibt er in seiner ersten philosophischen Veröffentlichung.

„Armer schwarzer Kater“ - doch der Kater lacht und durchbricht so die Spielregeln.

Klimas Leben ist gekennzeichnet von der beständigen Weigerung, sich zu unterwerfen, die ihn - neben Mach, Freud, Musil usw., also zeitgemäß - dahin führt, auch das Ich, das bürgerliche Subjekt zur Fiktion zu erklären: das Sub-ject ist seinem Wortsinne nach immer das Unterworfene (Foucault; Klaus Heinrich). Im Gegensatz allerdings zu den Berufsskeptikern des „unrettbaren Ichs“ (Mach) wendet Klima seine Rebellion auch gegen sich selbst. Verachtung seiner eigenen Tätigkeit durchzieht das Werk dessen, den wir nur behelfsmäßig Philosoph oder Schriftsteller nennen können nie war das Schreiben für ihn Beruf.

Klima hat nie gearbeitet, d.h. er hat sich nie einem Konzept des Nützlichen, der Ordnung unterworfen, die den Augenblick aufschiebt, die Exaltation verwirft, um das eigene Überleben zu sichern. Im November wurde ich Wächter einer kleinen verlassenen Fabrik. Mein Bewachen beschränkte sich auf andauerndes Trinken ... Er ernährte sich vorwiegend von Rum: Der Alkohol rettet mich, Rum und unverdünnter Spiritus ... Wasser und Mehl, rohes Pferdefleisch und angeblich sogar tote Mäuse ergänzten den Speiseplan des stets Verarmten.

Gleichgültig gegen das eigene Schaffen verlor er das meiste von dem, was er geschrieben hatte, oder warf es weg. Nur lästigen Bewunderern gelang es, dem Dichter „die schmutzigen, mit Bleistift beschriebenen Papierfetzen zu entreißen, die er in den Taschen seines Landstreichermantels trug und auf die er teils deutsch, teils tschechisch wahllos aber leidenschaftlich Texte, Gedanken, Gedankenfetzen schrieb; Satzbündel, die sich oft im Wirrwarr befremdlicher und schwer zu enträtselnder Initialen und Abkürzungen verlieren. Der Rest ist gestohlen, vernichtet oder einfach in Winkeln kleiner vernachlässigter Hotels, in denen er zu wohnen pflegte, vergessen ...“, so der tschechische Schriftsteller Milan Napravnik.

Auf Deutsch sind allein die Leiden des Fürsten Sternenhoch erhältlich. Klima schrieb dies Buch 1928 für eine kranke Freundin; ob sie daran genas, ist nicht bekannt. Die Leiden des Fürsten Sternenhoch

„Nichts als intellektualisierte Spinnwebereien, Halluzinationen, Träume, solipsistische Allmachtsgebärden, Unterwerfungsgestikulierereien, und daß einer falsch Klavier spielt, hat mehr Bedeutung als ein halbes Dutzend Morde“, bemerkte noch der taz- und Co-Autor Klinggräff, bevor er seine Mitarbeit aufkündigte. „Kein Verdienst erwarb sich die Berliner „edition Sirene“ mit der Herausgabe dieses Buches“, und „Groschenromane kosten für gewöhnlich zwei und nicht 32 Mark“.

Hier handelt es sich um kein Kulturgut, und hier gibt es kein Siegel Kultur minderer Güte, das dem Leser versichert: Hier verbirgt sich die eigentliche und wirkliche - Kuuultuuur.

Dem Autor, also Klima, mangelt es an Distanz, die den Großschriftsteller, ob Musil oder Thomas Mann, so beruhigend und klug auszeichnet.

„Jawohl - sicher ist das alles nur Ihr Traum!“ rief ich eifrigfroh, ihr zustimmen zu können. Oh die Unglückliche! klagte meine Seele; sie weiß nicht, daß sie tot ist, sie ist in dem Glauben zu schlafen und zu träumen ...

So schläft und träumt das Werk; ungestört - „nichts von Realität“ nörgelt Klinggräff.

Hier sind die Fenster vergittert. In aller Eile wurden überall Doppeltüren angebracht. Ich besitze auch Handgranaten. - Der Erzähler Fürst Sternenhoch, einer der edelsten Germaniens, Besitzer von fünfhundert Millionen, erster Berater und Liebling Kaiser Wilhelms, ist also bestens gesichert vor den Nachstellungen einer „kritisch -rationalen Literaturwissenschaft“ (Eibl) und dem nach verwertbarem Wissen dürstenden Leser. So kann Sternenhoch, mit der Feder auf Kriegsfuß, ungestört seiner Tagebücherei nachgehen. Ungestört auch von seiner Gattin, Helga, doch meine Helga-Sau; schon greift sie nach der Klinke, klick, die ihm zunächst nicht nur jede Berührung, sondern auch den authentischen Schreibfluß verbietet: Von heute an wird kein Wort mehr zwischen uns gewechselt, die notwendigste Verbindung geschieht schriftlich, allerdings nicht mit deiner Handschrift, denn die verursacht mir Übelkeit! - Wo andernorts Urszenen (Papa vögelt mit Mama, Bubi schaut durch den Türschlitz und ist fürs Leben geprägt) erlitten werden, die den literarischen Fluß erst begründen, wird hier die Möglichkeitsbedingung literarischer Tätigkeit selbst geschaffen: Sternenhoch mordet sein Weib, um im Tagebuch, der klassischen Form des Beichtens, über Vor- und Nachgeschichte seiner Untat zu berichten. Über die Mißverständnisse, Fährnisse, auch kleinen Freuden einer unglücklichen Verbindung. Nun: Ein dummes Lämmlein hat sich eine Tigerin zur Frau genommen und eine hungrige obendrein ... das konnte kein gutes Ende nehmen.

Beginnen wir von neuem: Sternenhoch, der Held, ist ein schöner Mann, bis auf einige Mängel, daß ich nur eins fünfzig groß bin und nur 45 Kilogramm wiege, daß ich fast zahnlos, bartlos und kahlköpfig bin, daß ich ein wenig schiele und sichtbar hinke, doch auch die Sonne hat Flecken. Helga dagegen ist häßlich; wie griechische Skulpturen, denen der Fürst zu Recht rotwangige Bauernmädels vorzieht.

Aus Helga muß erst Daemona werden; apathisch und reglos - wie die Automatenfrau Olympia in einer Geschichte von E.T.A. Hoffmann - gibt sie sich in der Hochzeitsnacht und muß dann seinen Dreck austragen. Das Kind (im Text: der Ekel) zerhaut sie auf dem Kopf des Vaters Herrn Ekel, der wie so oft in Ohnmacht fällt.

Fortan bestimmt sie und treibt ihr polymorph perverses Unwesen - Tiere, Gespenster, Götter und Ungeheuer verschaffen läuternde Lust. Mit einem Übermann verbindet sich ehebrecherisch das Überweib; der Überirre, Sternenhoch, rächt sich hinterhältig mordender Weise.

Als Gespenst sucht Helga den Verschreckten heim, der Hilfe in Zerstreuung am grenzenlos debilen Hof Kaiser Wilhelms, bei renommierten Zauberinnen und geldgierigen Psychopathologen sucht.

Himmel und Hölle, ein ekliges Weiß und 80.000 Sadesche Folterkammern spielen eine gewisse Rolle, bevor am Ende eine neue Dreieinigkeit oder leichenvergiftet lächelnder Wahnsinn herausspringt.

„Alles in allem also ein leicht verblödeter Entwicklungsroman, der die glorreiche Selbstverstümmelung eines Säuglings vom nörgelnden Baby zum sprachlosen Erwachsenen vollzieht“, so wieder Klinggräff.

Ich allerdings habe das Buch, versteckt in einer Ecke der Halle 5c, ohne den Blick auch nur einmal auf die vieltausend Besucher der Frankfurter Buchmesse zu wenden, an einem Tag gelesen.

Ruinöse Überzeugung, „pubertäre“ Ungetrenntheit von Denken/Leben, Mangel an praktischer Lebens- und Werkkunst, sind vielleicht Bedingungen einer durchs Werk entfalteten unmöglichen Authentizität, die den Leser sich halb totlachend zurücklassen, und vielleicht gibt es nur einen wirklich großen Schriftsteller der Weltliteratur von dem sich Ähnliches sagen lassen kann: den törichten Christen Dostojewski, dessen „blöder Roman“ (Die Dämonen) auch im Sternenhoch freundliche Erwähnung findet.

Detlef Kuhlbrodt

Ladislav Klima: Die Leiden des Fürsten Sternenhoch, edition Sirene, 32 Mark.