„Die Herrscher von Bukarest haben den Verstand verloren“

■ Ein Gespräch mit Michael de Roumanie, Ex-König von Rumänien, der jetzt im Schweizer Exil lebt

Helmuth Frauendorfer

taz: Es waren nur einige außergewöhnliche Anlässe, gelegentlich deren Sie Stellung bezogen haben zur Situation in Rumänien. Welches waren die Gründe Ihres Schweigens und was hat Sie veranlaßt, in letzter Zeit aktiver zu werden?

Michael de Roumanie: Der Hauptgrund ist die Situation im Lande, die von Tag zu Tag schlechter wird. Hinzu kommt, daß man endlich weltweit angefangen hat zu verstehen, was eigentlich bei uns vorgeht...

Wie schätzen Sie die letzten Ereignisse in Rumänien ein, die zunehmenden Proteste gegen das Regime und das Auftauchen einer Opposition selbst innerhalb der Partei?

Die sechs Dissidenten, die aus dem Inneren der Partei kommen, aber auch die anderen Protestierenden, die die Meinungen von Millionen von Menschen aussprechen, haben den Mut, der wilden Wut der Herrschenden entgegenzutreten. Dies vor allem, glaube ich, seit sie wissen, daß sie von der internationalen öffentlichen Meinung unterstützt werden. Selbstverständlich kommt hinzu, daß die moralische und physische Folter ihre tragischste Phase erreicht hat. Im Laufe der Jahre, in denen das Volk allmählich zerstört wurde, waren die Proteste deshalb so selten, weil die Menschen entmutigt wurden von dem Vertrauen, das das Ausland Ceausescu entgegenbrachte. Und auch von der Tatsache, daß er als Vertreter der Rumänen und deren Bestreben anerkannt worden ist. Heute, da Ceausescu und seine Politik von Washington bis Moskau verurteilt wird, haben die Rumänen, die alle Gegner der gegenwärtigen Machthaber sind, ihren natürlichen Gesprächspartner gefunden, nämlich die internationale öffentliche Meinung.

Als Ceausescu 1965 an die Macht kam, und vor allem 1968, als Rumänien sich weigerte, sich beim Einmarsch der Truppen des Warschauer Pakts in der Tschechoslowakei zu beteiligen, galt Ceausescu als relativ liberaler Leader. Glauben Sie, daß er jemals ehrliche liberale Absichten hatte, oder war das alles ein Kalkül, die Macht an sich zu reißen und dabei auch noch das Ausland zu blenden?

Nein, ich habe niemals an seine Ehrlichkeit geglaubt. Und die jetzigen Zustände beweisen, daß das alles ein Machtkalkül war. Es hat lange gedauert, bis die internationale Öffentlichkeit gemerkt hat, was los ist in Rumänien, denn mir scheint, dem Westen hat jenes Scheinbild von Rumänien in den Kram gepaßt. Denn weshalb sonst die westliche Welt so lange nicht sehen konnte oder wollte, was in Rumänien eigentlich vorgeht, ist für mich immer noch ein Geheimnis.

Es steht mir nicht zu, das Ausland zu belehren. Aber meine Meinung ist, daß Rumänien wirtschaftlich boykottiert werden müßte... Es muß Schluß gemacht werden mit dem Aufkaufen von Gütern, die im Lande selbst vermißt und dort den Menschen praktisch vom Mund weggenommen werden.

Welche Bedeutung könnte die internationale Isolierung des Ceausescu-Regimes haben?

Aus Angst und ergriffen von der Panik der Isolierung, haben die Herrscher von Bukarest den Verstand verloren, das ist offensichtlich. Nehmen wir nur eines der letzten Beispiele, das des Herrn Gerard Deprez, des Vorsitzenden der Christlich Sozialen Partei Belgiens und Abgeordneten des Europäischen Parlaments. Weil er Doina Cornea besuchen wolte, wurde er grausam geschlagen. Geschlagen wurde auch sein Begleiter, ein belgischer Journalist. Denn nun wird auch gegenüber Fremden das System angewandt, das die Rumänen seit vielen Jahren ertragen müssen. Das Regime fällt heutzutage von einem groben Fehler in den anderen und zeigt nun sein wahres Gesicht. In einem solchen Stadium muß das Regime untergehen. Und je mehr es isoliert wird, keine ausländische Unterstützung mehr hat, um so mehr wächst die Hoffnung der Rumänen und mit ihr der Mut, zu widerstehen und sich nicht mehr voller Angst zu unterwerfen.

Welche Bedeutung messen Sie den Reformen in Osteuropa bei, und in welchem Maße könnten sie die Situation in Rumänien beeinflussen?

Erstens wird nun klar, daß die kommunistische Doktrin ihr Scheitern erkannt hat. Die zweite Bedeutung sehe ich darin, daß die dieser Doktrin unterworfenen Völker langsam ihren Wunsch äußern können, den Kommunismus loszuwerden. Und die dritte Bedeutung besteht für uns Rumänen darin, daß wir die Chance haben, daß Ungarn uns vielleicht schon bald die Tore zu einem freien Europa öffnet. Denn Ungarn hat am schnellsten den Weg der Reformen eingeschlagen, und wenn es gelingt, sie zu verwirklichen, dann wird Rumänien, das umgeben ist von Satelliten Moskaus, eben auch die Grenze zum Westen offen haben.

Was versprechen Sie sich von einer Sowjetunion, an deren Spitze ein Michail Gorbatschow steht?

Das ist schwer zu sagen. Erstens einmal weiß ich nicht, ob es Gorbatschow gelingen wird, die Gegner aus seiner eigenen Partei zu besiegen. Dann weiß ich auch noch nicht, was Gorbatschow tun wird, wenn er an der Macht bleibt. Nach dem, was er äußert, müßte die Sowjetunion weniger dominant und weniger aggressiv werden. Doch nach dem, was er tut, ist die Situation schwer einzuschätzen. Denn was er Polen und Ungarn gewährt, ist willkommen. Aber in seinem Land, da zeigt er sich mal verständnisvoll wie im Falle von Estland, mal hart wie im Falle von Armenien. Selbstverständlich beinhaltet der Gorbatschowismus auch Versprechen. Doch sind diese noch sehr vage, und es sind verbale Versprechen. Warten wir mal die Taten ab, dann können wir uns dazu äußern.

Aber glauben Sie, daß Gorbatschow die Situation in Rumänien beeinflussen, dieses Land auch auf den Weg der Reformen bringen könnte?

Ich glaube nicht, daß es vernünftig ist, Moskau die Fähigkeit zuzuschreiben, Bukarest beeinflussen zu können. Mit dem Image, das Gorbatschow sich gibt, nämlich als Liberaler, kann er sich nicht erlauben, in Bukarest zu intervenieren, wie das zum Beispiel Breschnew konnte. Er kann es nicht, aber ich glaube auch, er will es nicht. Denn ein Regime, das bei uns Reformen einführen würde, das müßte in erster Linie die eigene Bevölkerung ernähren, bevor es die Lebensmittel exportiert. Und Rumänien ist heutzutage ein unabkömmlicher Lebensmittellieferant der Sowjetunion. Selbst laut den in Moskau veröffentlichten Statistiken stehen die Lebensmittel aus Rumänien an erster Stelle. Solange die Perestroika keine wirtschaftlichen Früchte trägt, sind die Früchte, das Gemüse und andere Waren, die Ceausescu den Rumänen vom Munde wegnimmt, für Gorbatschow unersetzlich, damit er die Seinen befriedigen kann. Und was die Rumänen betrifft, so glaube ich nicht, daß sie mit Reformen innerhalb des Kommunismus zufrieden wären, sondern sie nur als Übergangsstadium akzeptierten, das sie weiterführen soll zum Wiederfinden von Freiheit und Demokratie.

Wie stellen Sie sich realpolitisch die Entwicklung Rumäniens zu einer wahren Demokratie vor?

Es gibt zwei Möglichkeiten. Die erste ist eine schnelle Entwicklung nach dem Modell Ungarns. Die zweite Möglichkeit ist die schnellste und zugleich auch die logischste. Und das wäre, daß die Vereinbarung von Jalta endlich angewandt wird, was das Recht auf Selbstbestimmung der Völker betrifft. England und die Vereinigten Staaten haben diese Vereinbarungen zusammen mit Stalin unterschrieben, der sie allerdings mit Füßen getreten hat. Der Präsident der Vereinigten Staaten, Herr Bush, sprach unlängst von der Notwendigkeit, im Osten Europas freie Wahlen zu organisieren, die in Jalta vorgesehen wurden. Herr Gorbatschow verlangt die Verurteilung von Stalins Verbrechen, doch könnte er nicht von deren verbalen Verurteilung mal zu einer realen Verbesserung, zu Taten übergehen? Und Rumänien würde dann auch seinen Platz wiederfinden im europäischen Konzept.

Sollte eine solche Entwicklung möglich sein, welche Rolle glauben Sie dabei spielen zu können?

Meine Rolle war, ist und bleibt die, die Bestrebungen der Rumänen auszudrücken, also die Verwirklichung der Lösungen zu fördern, die sie vom Unglück dieses politischen Systems befreien soll, das sie von Anfang an nicht wollten und das unerträglich geworden ist. Falls wir, mit Gottes Hilfe und mit der Unterstützung jener, die uns gegenüber eine Verantwortung haben, von Jalta zum Beispiel, wieder ein freies Volk würden, werde ich selbstverständlich verantwortungsvoll meine Pflicht erfüllen, wie ich es auch getan habe, als ich mich erst der nazistischen Diktatur widersetzte, dann der kommunistischen, und für Demokratie und Menschenrechte gekämpft habe.

Wie beurteilen Sie Ihren Rückhalt in der Bevölkerung Rumäniens, nachdem Sie sich seit über 40 Jahren im Exil befinden und junge Generationen herangewachsen sind, die die Monarchie gar nicht kennen? Hätten sie die Möglichkeit, zwischen einer Monarchie und einer Republik zu wählen, könnten Sie ihnen sagen, weshalb sie einen König wählen sollten?

Am 24.Januar vergangenen Jahres habe ich auf der großen und schönen Feierlichkeit von Los Angeles viele, sehr viele Rumänen getroffen. Unter ihnen waren sehr viele Jugendliche, die nach meinem Weggang aus Rumänien geboren wurden. Einige Leute haben sich gewundert, daß alle diese Jugendlichen Monarchisten waren. Seither bin ich auch anderen Jugendlichen begegnet, die erst vor kurzem das Land verlassen hatten, und auch die waren Monarchisten. Sie hatten ihre Eltern von der Monarchie sprechen hören und den damit verbundenen Leistungen, so haben sie auch von mir gehört. Was ich ihnen sagen würde? Vieles... Erstens, daß die monarchistische Tradition bei uns sich von den Dakern bis zu mir behauptet hat und nicht vom Willen des rumänischen Volkes unterbrochen wurde, sondern diese Unterbrechung von außen, von Stalin, aufgenötigt wurde. Dann würde ich noch gern die Idee eines rumänischen Journalisten aus den Vereinigten Staaten übernehmen, der die politischen Parteien in einer Demokratie mit einem Fußballspiel verglichen hat. Da hierfür ein Schiedsrichter nötig ist, ist es schwer vorstellbar, daß der Schiedsrichter zugleich der Chef einer der Mannschaften ist. Ein König ist vorzuziehen, weil er per definitionem außerhalb aller Parteien steht. Er steht über den Parteien, er ist unparteiisch, denn er ist auf der Seite aller, des ganzen Volkes. Ich würde den Rumänen noch sagen..., aber es gibt zuviel zu sagen. Ich beschränke mich darauf, ihnen zu sagen, daß ich Sehnsucht nach ihnen hatte und habe und daß ich seit so langer Zeit darauf warte, uns wieder zusammen zu sehen, damit wir Schulter an Schulter anfangen, unser schönes und reiches Land aufzubauen.

Welche realen Möglichkeiten, das Ceausescu-Regime zu überwinden, sehen Sie noch im Inneren des Landes? Damit verbunden gleich eine weitere Frage: Wie erklären Sie sich, daß es in Rumänien im Vergleich zu anderen osteuropäischen Ländern so wenig Opposition gibt gegen diese Diktatur?

Leider gibt es dazu eine ganz einfache Antwort: Der Terror der Polizei, des Geheimdienstes Securitate ist so groß, daß überhaupt keine Freiräume bleiben. Und ich glaube nicht, daß im Augenblick eine Opposition zu unserem Vorteil wäre, denn es würde zu nichts anderem führen, als daß die Menschen dort noch mehr leiden. Und das will ich nicht.

In einer Ihrer letzten Stellungnahmen haben Sie gefordert: „Bürger Rumäniens, ich bitte Euch, haltet zusammen, helft einander, damit die Tugend der Menschlichkeit wiedergeboren wird. Nur dann werden diejenigen, die, nachdem sie Euch in die Knie gezwungen haben, Euch nun auch hungern lassen und entnationalisieren, keine Henker und keine Denunzianten mehr finden. Nur auf diese Art kann man sie isolieren und ihrer Ohnmacht preisgeben. Vereinigt werdet Ihr den unüberlegten und zerstörerischen Beschlüssen mit einem 'Das geht nicht‘ entgegentreten.“

Glauben Sie, das der Mangel eines solidarischen Widerstands, eines moralischen Widerstands, die Diktatur in der politischen Geschichte Rumäniens begünstigt hat? Und wenn es schon keine Solidarität polnischen Typs zum Beispiel gibt, wie kann eine solche Solidarität dann geschaffen werden?

Auf diese Frage ist sehr schwer zu antworten. Wie ich vorhin sagte, ist der Terror derart groß, daß aus dem Inneren des Landes nur sehr schwer etwas verändert werden kann. Trotzdem haben wir einige Beispiele mutiger Leute wie Doina Cornea, wie die Schriftsteller und Dichter, die sich zu Wort gemeldet haben, aber es ist sehr schwer, etwas zu unternehmen.

Solange Ceausescu lebt und regiert, wird das Elend immer elender. Aber danach? Sind da nicht schon zu viele Werte zerstört worden?

Es sind sehr viele menschliche Werte zerstört worden. Das ist leider wahr. Und es stimmt uns alle sehr traurig, daß auch die Werte des geistigen und nationalen Erbes zerstört wurden. Werte, die zu unserer Tradition gehörten, zu unserem moralisch kulturellen Erbe, wurden zerstört, um vergessen zu werden. Es kann leider alles zerstört werden, aber die Leute können nicht daran gehindert werden zu denken.

Zum kulturellen Erbe Rumäniens gehören auch die kulturellen Werte der Minderheiten. Ceausescu hat, um von den real existierenden Problemen abzulenken, in der Bevölkerung sehr viel Chauvinismus, Rassismus und Antisemitismus geschürt. Das hat auch die Situation der nationalen Minderheiten derart verschlechtert, daß diese um ihre Identität bangen müssen. Die Deutschen und die Juden verlassen vertragsgemäß das Land. Trotzdem werden sie großen Schikanen ausgesetzt. Es bleiben aber alle anderen. Vor allem die große Anzahl von Roma und Sinti und Ungarn. Wie sehen Sie eine Lösung der Minderheitenprobleme?

Solange Ceausescu dort im Lande bleibt und dieses System aufrecht erhält, sehe ich keine Lösung dieser Probleme. Wie ich auch in der Vergangenheit öfter gesagt habe, beruht meine Idee diese Probleme betreffend auf der Verfassung von 1923, die die Rechte aller Bürger Rumäniens, der Rumänen und der Minderheiten, gleichermaßen garantiert hat.

Noch eine Frage zur deutschen Minderheit, die in die Geschichte zurückführt. Im Januar 1945 wurden alle arbeitsfähigen Deutschen aus Rumänien in die Sowjetunion zu Zwangsarbeiten deportiert. Können Sie sich erinnern, wie der Entscheidungsablauf damals war?

Das sind Geschehnisse, die die von Wischinski1 eingesetzte Regierung durchgeführt hat und bei denen ich nicht auf dem laufenden war. Sie haben das hinter meinem Rücken getan, und wie alle anderen wurde ich dann vor vollendete Tatsachen gestellt. Und die Russen als Besetzer machten, was sie wollten. Obwohl ich dann protestiert und alles versucht habe, was in meinen Kräften stand, konnte ich nichts bewirken.

Als Wortführer der Ereignisse vom 23.August 1944, als König von Rumänien und Oberster Befehlshaber der Armee, haben Sie die ausschlaggebende Rolle gespielt beim Austritt Rumäniens aus dem Zweiten Weltkrieg. Der 23.August 1944 wurde im Laufe der Jahrzehnte von der rumänischen Historiographie mal als „antifaschistischer bewaffneter Aufstand der Armee“ bezeichnet, mal, und das in letzter Zeit, als „nationale antifaschistische und antiimperialistische Revolution“, die von der Rumänischen Kommunistischen Partei initiiert und geleitet wurde. Der 23.August ist der Nationalfeiertag Rumäniens. Stimmen Sie der Auffassung zu? Welche Bedeutung hatte Ihrer Meinung nach der Beitrag der Kommunisten zu den Ereignissen vom 23.August?

Gar keine. Sie hatten mit der Vorbereitung des 23.8. gar nichts zu tun. Sie wurden in die Gruppe der traditionellen Parteien allein auf Drängen der Alliierten gebracht, genauer: auf Drängen der Russen. Aber die Hauptrolle während der Ereignisse vom 23.August, die sie sich nun zuschreiben, hat es nie gegeben. Ich hatte damals zu wählen: entweder die totale Zerstörung des Landes oder zu retten, was noch zu retten war. Was ich dann auch gemacht habe. Doch nach dem 23.August 1944 wurde die Lage immer schwieriger. Besonders wegen der westlichen Alliierten, muß ich leider sagen, wegen der Vereinigten Staaten und England, denen es Stalin unmöglich gemacht hat, etwas zu unternehmen. Trotzdem hatten wir gehofft und haben fast wöchentlich von ihnen Unterstützung gefordert, um zu verhindern, daß dem Land der Kommunismus aufgedrängt wird. Doch leider kam keine Hilfe.

Das Jahr 1947 ist bestimmt keine angenehme Erinnerung für Sie. Können Sie uns beschreiben, wie Ihr Weg ins Exil begann?

Das ist leider sehr einfach. Ich war in Sinaia. Groza2 und Gheorghiu-Dej3 haben mich dringend nach Bukarest gerufen. Sie ließen mir mitteilen, es gäbe eine familiäre Angelegenheit zu besprechen. Ich glaubte, es werde von meiner bevorstehenden Eheschließung die Rede sein, und fuhr mit meiner Mutter nach Bukarest. Doch dort haben sie mir ein Abdankungsschreiben vorgelegt. Es ließ sich mit ihnen nicht reden. Und als ich in mein Büro ging, um das Papier in Ruhe zu lesen und zu überlegen, habe ich festgestellt, daß alle Telefonleitungen abgeschnitten und rings um das Haus Truppen aufgestellt waren, wobei die Artillerie einen zweiten Kreis um das Haus zog. Es war eine absolut unmögliche Situation. Und als ich zurückkehrte, drohten mir Groza und Gheorghiu -Dej, sie würden an den vielen verhafteten Jugendlichen ein Blutbad anrichten, sollte ich die Abdankung nicht unterschreiben. An meine Person habe ich da nicht mehr gedacht, sondern nur noch an das Land. Ich konnte nicht akzeptieren, daß wegen mir ein Blutbad angerichtet wird. Und so mußte ich unterschreiben. Gleichzeitig sollte ich Grozas Tasche betasten, in der sich ein Revolver befand. Dabei sagte er spaßeshalber: „Ich habe das Ding in der Tasche, damit mir nicht das Gleiche wie Antonescu4 geschieht.“

Waren Sie überrascht von diesen Geschehnissen?

Ja und nein. Ich wußte zwar, daß eine Veränderung der Verfassung für Februar/März vorgesehen war und daß dies auch eine Veränderung der Staatsform bedeutete. Es kam aber früher als erwartet. Genau einen Tag, bevor ich meine Botschaft im Rundfunk vorlesen wollte.

Welches waren Ihre Beziehungen zu Groza in jener Zeit?

Es waren schlicht und einfach die Beziehungen eines Premierministers zum König. Mehr nicht.

Standen Sie mit irgend einem anderen führenden Politiker jener Zeit in besseren Beziehungen?

Nein. Es gab nur die der Verfassung entsprechenden Beziehungen, die wöchentlichen Arbeitsbegegnungen also. Und weiter nichts.

Gestatten Sie mir eine indiskrete Frage: Wie sieht der Alltag eines Königs im Exil aus?

Ich mußte mich an eine Menge für mich ungewöhnliche Sachen anpassen. Ich hoffe, es ist mir gelungen. Gleichzeitig habe ich niemals die Menschen zu Hause vergessen. Obwohl von einigen Leuten verbreitet worden ist, ich interessiere mich nicht mehr für Rumänien. Das ist aber nicht wahr. Die Schwierigkeiten des Alltaglebens haben wir mit allen Kräften überwinden müssen, und einigermaßen, glaube ich, ist es uns auch gelungen. Obwohl es schwer war. Meine Töchter müssen auch arbeiten, um leben zu können. Wir alle müssen Sachen machen, die unserem Stand nicht entsprechen.

Was arbeiten Ihre Töchter?

Margareta, die Erstgeborene, arbeitet in Italien bei den Vereinten Nationen. Die zweite, Elena, ist mit einem englischen Professor verheiratet. Die dritte, Irina, ist mit einem Schweden verheiratet und lebt in Amerika. Sofia studiert zur Zeit graphische Künste in Washington, um anschließend eine Stelle antreten zu können. Und die jüngste, Maria, zieht zur Zeit ihre Kinder groß. Als Familie sind wir ziemlich in der Welt verstreut, aber alle verstehen wir uns als Rumänen.

1 Andrei Wischinski - sowjetischer General, von Stalin als stellvertretender Außenminister mit dem „rumänischen Problem“ beauftragt.

2 Petru Groza - Premierminister in der von den Sowjets eingesetzten Regierung

3 Gheorghe Gheorghiu-Dej - Chef der kommunistischen Partei Rumäniens, Mitglied in der Regierung Petru Groza, bis 1965 an der Spitze der Partei.

4 Ion Antonescu - rumänischer Staatschef, der auf Seite Hitlers Rumänien in den antisowjetischen Krieg führte, wurde am 23. August 1944 auf Befehl des Königs verhaftet und 1946 von einem „Volksgericht“ zu Tode verurteilt.