Welt-Charta für die Rechte der Prostituierten

■ Zum 14.Jahrestag des Generalstreiks der französischen Prostituierten Beginn der Hurenbewegung

IM

I.

Prostitution unter Erwachsenen aufgrund individueller Entscheidung muß in all ihren Aspekten entkriminalisiert werden.

Entkriminalisiert werden muß ihre Ausübung, die Geschäftsbeziehungen (dritte Parteien) sollen gemäß den jeweils üblichen Geschäftsgepflogenheiten geregelt sein. Festgestellt werden muß allerdings, daß diese Gepflogenheiten den Mißbrauch zulassen können. Deshalb muß es zusätzlich spezifische Regelungen geben, die Mißbrauch und Stigmatisierung selbständig oder angestellt arbeitender Prostituierter verhindern.

Die Strafgesetze gegen Betrug, Nötigung, sexuelle Gewalt gegen Frauen und Kinder, Kinderarbeit und rassistische Diskriminierung müssen angewendet werden, und zwar allerorten, über alle Ländergrenzen hinweg und unabhängig davon, ob ein Zusammenhang mit Prostitution gegeben ist.

Gesetze, die so ausgelegt werden können, daß sie Prostituierten die Freiheit nehmen, sich zusammenzuschließen oder frei zu reisen in einem oder verschiedenen Ländern, müssen abgeschafft werden. Prostituierte haben ein Recht auf Intimsphäre und Privatleben.

II. Menschenrechte

Auch für Prostituierte müssen alle Menschenrechte und alle bürgerlichen Freiheiten gelten, einschließlich des Rechts auf freie Meinungsäußerung, auf freies Reisen, auf Einwanderung, Arbeit, Ehe und Mutterschaft sowie des Rechts auf Leistungen der Sozialversicherung (Arbeitslosigkeit, Krankheit, Altersversorgung etc.) und auf die freie Wahl des Wohnsitzes.

Asyl muß allen Menschen gewährt werden, denen die Menschenrechte verweigert werden, auch aufgrund strafrechtlicher Verfolgung bei Prostitution und Homosexualität.

III. Arbeitsbedingungen

Die Gesetzgebung darf nicht zur systematischen Kasernierung und Ghettoisierung führen. Prostituierte sollen ihren Arbeitsplatz und ihren Wohnsitz frei wählen können. Daß sie ihre Dienstleistungen unter Bedingungen erbringen können, die ausschließlich von ihnen selbst festgesetzt werden, ist unabdingbar.

Es sollte einen Ausschuß geben, der den Schutz der Rechte der Prostituierten gewährleistet und an den sich Prostituierte bei Beschwerden wenden können. Er soll sich zusammensetzen aus Prostituierten, Berufsgruppen wie AnwältInnen und UnterstützerInnen.

Der Zusammenschluß und das gemeinsame Arbeiten von Prostituierten zum Zweck der eigenen Sicherheit dürfen nicht gesetzlich verboten sein.

IV. Gesundheit

Alle, Frauen wie Männer, sollen dazu erzogen werden, sich regelmäßig freiwillig im Hinblick auf sexuell übertragbare Krankheiten untersuchen zu lassen. Maßnahmen zur Gesundheitsüberwachung dagegen sind historisch ein Instrument zur Kontrolle und Stigmatisierung von Prostituierten gewesen, und da außerdem erwachsene Prostituierte im allgemeinen mehr auf geschlechtliche Gesundheit achten als andere Menschen, sind Zwangskontrollen für Prostituierte unannehmbar, solange derselbe Zwang nicht für sämtliche sexuell aktiven Menschen gilt.

V. Soziales Netz

Einrichtungen zur Arbeits- und Wohnungsvermittlung, für juristische und andere Beratung für weggelaufene Kinder und Jugendliche sollen im Interesse des Wohlergehens und der Lebenschancen der Kinder und zum Zweck der Verhinderung von Kinderprostitution gefördert werden.

Prostituierten müssen dieselben Sozialleistungen zugänglich sein wie allen anderen BürgerInnen gemäß den jeweiligen Landesgesetzen.

Orte und Dienstleistungen zum Schutz für arbeitende Prostituierte müssen ebenso gefördert werden wie Umschulungsmöglichkeiten für diejenigen, die mit dem Anschaffen aufhören wollen.

VI. Steuern

Prostituierte und ihre Geschäfte sollen nicht mit Extrasteuern belegt werden.

Sie sollen veranlagt werden auf derselben Besteuerungsgrundlage wie andere Selbständige und Angestellte und dementsprechend in den Genuß derselben Sozialleistungen kommen.

VII. Öffentlichkeit

Aufklärungsprojekte, durch die die gesellschaftliche Einstellung verändert wird, die Prostituierte beiderlei Geschlechts, aller „Rassen“ und Nationalitäten diskriminiert und stigmatisiert, sollen breit unterstützt werden.

Aufklärungsprojekte, die die weitgehend unbekannte und ignorierte zentrale Rolle des Freiers bei der Prostitution der Öffentlichkeit bewußtmachen helfen, sollen entwickelt werden. Allerdings soll weder der Freier noch die Prostituierte diskriminiert oder moralisch verurteilt werden.

Wir sind solidarisch mit allen ArbeiterInnen der Sexindustrie.

VIII. Organisation

Organisationen von Prostituierten und Exprostituierten brauchen breite Unterstützung, damit diese Charta durchgesetzt werden kann.

ICPR (International Committee for Prostitutes‘ Rights)

Verabschiedet auf dem ersten Welt-Hurenkongreß in Amsterdam, Februar 1985