„Sinnloser Kannibalismus“ frißt „Speaker“

■ Jim Wright, demokratischer Sprecher des US-Repräsentantenhauses, wirft das Handtuch

Washington (taz) - Auch texanische Dickschädel gehen irgendwann in die Knie. Noch gar nicht lange ist es her, da mußte die Bush-Administration den tiefen Fall John Towers hinnehmen. Nun ist Jim Wright dran, einer der mächtigsten Oppositionspolitiker in Washington. Seit Wochen sagte man das Ende der politischen Karriere des drittmächtigsten Mannes der USA voraus, nachdem dessen zweifelhafte Finanzpraktiken Gegenstand einer Kongreßuntersuchung geworden waren. Nun hat der „Speaker“ das Handtuch geworfen.

Wright habe die ethischen Regeln des Kongresses verletzt, klagten ihn die Republikaner an, nachdem es die Demokraten gewesen waren, die im letzten Präsidentschaftswahlkampf die beispiellose Korruption der Reagan-Administration zum Thema gemacht hatten. Wright nutzte es nichts, daß die ethischen Regeln für den Kongreß ungleich lockerer sind als für die Exekutive. Anders als für Kabinettsmitglieder ist es für Abgeordnete des Kongresses nicht nur zulässig, sondern geradezu unumgänglich, die Hände in alle Richtungen auszustrecken und Hunderttausende, wenn nicht Millionen Dollar für den nächsten Wahlkampf einzusammeln. Ganze Straßenzüge in der Innenstadt Washingtons sind von Lobbyistenfirmen besetzt, die diese Geldströme lockermachen: Seit 1982 haben die 535 Kongreßabgeordneten 400 Millionen Dollar Wahlkampfspenden und 30 Millionen Dollar Honorare einkassiert. Die Spender erwarteten entsprechendes Entgegenkommen bei sie betreffenden Gesetzentwürfen. Das System funktionierte wie geschmiert, bis jemand auf die Idee kam, die Grenze zwischen legaler Einflußnahme und nackter Korruption auszuloten.

Jim Wright neigte nicht nur dazu, sich politisch zu exponieren und damit unbeliebt zu machen, er eignete sich aufgrund seiner exponierten Stellung an der Spitze der demokratischen Parteihierarchie besonders gut zum Sündenbock. Die politischen Saubermänner wurden prompt fündig. Seine „Abschiedsrede“ vor dem Gremium, dem er seit 1955 angehörte und seit zwei Jahren als Nachfolger des fast schon legendären Tip O'Neill vorsaß, war meisterhaft. Die Bilanz seiner politischen Karriere, die er in einer emotionalen, bisweilen dramatischen einstündigen Rede zog, war halb Schlußplädoyer eines Angeklagten, halb Grabrede eines noch Lebenden.

„Selbsternannte Rächer“ bezeichnete er seine Gegner. „Sinnlosen Kannibalismus“ nannte er den Selbstreinigungsprozeß, den die Hüter der parlamentarischen Ethik in Gang gesetzt hatten und der wie eine Lawine weiterrollt. Schon gibt es Gerüchte, daß gegen einen weiteren gewichtigen Demokraten, William Gray III., das Justizministerium ermittelt. Die Kannibalen sind noch lange nicht satt.

Stefan Schaaf