Mit 50 hat frau noch Träume

■ Der neue Film des 53-jährigen Woody Allen „Eine andere Frau“ im Kino

„Mit 50 habe ich ein bescheidenes Maß an Erfüllung gefunden“, sagt die Psychologieprofessorin Marion (Gena Rowlands) zu Beginn von Woody Allens neuem Kinowerk Eine andere Frau. Dante beschrieb das Leben jenseits der ersten Hälfte als einen finsteren Wald, indem der gerade Weg verloren sei; und nun hat der New Yorker aus Überzeugung eine filmische Aufarbeitung abgeliefert,

Mit ruhigen, goldbraunen Sequenzen führt Allen in das Leben der Wissenschaftlerin, die sich ein Apartment in der Stadt genommen hat, um an einem Buch zu arbeiten. Mit ausschweifenden Kameraschwenks und langen Einstellungen wird Marion abgetastet. Sie ist guter Dinge, doch irgendetwas stört ihren Frieden. Ein Lüftungsschacht ist zunächst das oberflächliche Übel, denn er gibt psychoanalytische Gespräche einer nahen psychologischen Praxis frei. Merklich verändert sich das Gesicht Marions ins Verkniffene, eine unerklärliche Unsicherheit befällt sie. Woody Allen, einer der besten Experten für Peinlichkeiten auf der Leinwand,

kreist das Leben seiner Hauptfigur ein und läßt sie nicht mehr los. Alle Facetten des Stadtneurotikers fährt er auf, um Marion in ihrer wachsenden Haltlosigkeit zu bestärken. In Rückblenden und kunstvollen Zeiverschiebungen löst er die Existenz Marions immer mehr aus dem Kontext des Hier und Jetzt und gibt Einblicke in die Sozialisation einer Fünfzigjährigen.

„Meine Filme werden einfach überinterpretiert“, sagte der Maestro in einem Interview, doch so unbedingt recht hat er damit nicht. Woody Allen provoziert Erklärungsversuche, er macht sie unvermeidlich. Fünfizjährige nehmen die zugeworfenen Bällchen gerne auf, die eher unterschwellig bedrohend als Allen-typisch komödiantisch Marion umfliegen. Der Ehemann ist ihr nach einem Ehejahr längst nicht mehr sexuell zugetan. Das stabile Gerüst ihrer Persönlichkeit beginnt zu bröckeln, eine grübelnde Lethargie macht sich breit.

Allen trägt dick auf. In Traumpassagen läßt er die selbstzweifelnde Gena Rowlands in die benachbarte Psychiaterpraxis ge

hen, wo ihr Vater seinen verpaßten Chancen nachtrauert; auf einer imaginären Theaterbühne geht der Film sogar in Bereiche stilisierter Kunstformen.

Was sich so kompliziert anhört, ist die genaue und brilliant photographierte Entwicklung des schleichenden Alters. Woody Allen legt Marion gleichsam auf die Couch und läßt das Kinopublikum durch ihre Augen in ihre psychische Leere blicken. Another Woman ist das Ergebnis der perfekten Zusammenarbeit des Duetts Allen/Rowlands, das unaufdringlich und wohldosiert von so renommierten DarstellerInnen wie Mia Farrow und Gene Hackman unterstützt wird.

Marion macht sich frei vom Selbstvorwurf einer frühen Abtreibung und letztendlich auch von der heuchlerischen Vereinnahmung durch den Ehemann. „Ist eine Erinnerung das, was man besitzt oder verloren hat?“, fragt Marion am Ende ihrer filmischen Erkenntnis. In ihrem Fall ist dies eindeutig zu beantworten. Jürgen Franck

UT 9 (Tivoli) 15, 17.30, 20 Uhr