„Ein Museum muß Konsensfähig sein“

■ Der Entwurf fürs Deutsche Historische Museum des Architekten Rossi war Gegenstand eines Colloquiums / So recht dafür war keiner der Geladenen / „Man kann eine Überprüfung ja auch positiv sehen“

„Immer, wenn sich ein politischer Wechsel vollzieht, stirbt dabei ein Stück Architektur“, lamentierte Ingeborg Kuhler, selbst freie Architektin in Mannheim und Mitglied im Preisgericht des Architektenwettbewerbs für das Deutsche Historische Museum. Dennoch: auf daß Aldo Rossis preisgekrönter Entwurf doch nicht endgültig in der Versenkung, respektive in einem Architekturmuseum verschwinden solle, hatte die Lessing-Hochschule am letzten Mittwoch zu einem Verteidigungscolloquium ins Haus Verein Berliner Kaufleute und Industrielle e.V. geladen. „Um zum Verständnis für die gegensätzlichen Positionen beizutragen“. Denn, so Kulturstaatssekretär Kirchner, „das Museum muß konsensfähig sein“. Weshalb er eine Würdigung von Rossis Entwurf und die „Beseitigung von Mißinterpretationen“ begrüßt. Schließlich hat man sich in der SPD auf dem langen Marsch durch die Emotionen lediglich auf „Überprüfungen“ eingelassen. „Man kann eine Überprüfung ja auch positiv sehen“, so kulturpolitische Sprecherin Grewe Was im übrigen für den in der Kulturverwaltung für die Museen zuständigen Peter Günzler ohnehin klar ist. Denn: das Museum ist eine Erfindung des SPD/FDP-Senats und wir bräuchten es schon deshalb, damit die Deutschen endlich lernen, daß sie das Wort „Holocaust“ aus der jüdischen Liturgie und auch das Wort „Faschismus“, den es schließlich in ganz Europa gegeben hätte, nicht gebrauchen dürften.

Beiträge zur „positiven Überprüfung“ und zur des Historischen Museums lieferten dann acht ProfessorInnen der Architektur bzw. der Architektur- und Kunstgeschichte. Unter der Leitung von Rainer Höynck diskutierten neben Ingeborg Kuhler Marco de Michelis (Venedig), Hans-Ernst Mittig (Berlin), Stanislaus von Moos (Zürich), Fritz Neumeyer (Dortmund), Werner Oechslin (Zürich), Julius Posener (Berlin) und Christoph Sattler (München), wobei Posener der einzige war, der sich explizit gegen Rossis Entwurf aussprach. Ausschlaggebend für ihn die Größe: „Alle Museen über gesellschaftliche Gegenstände sind klein“ und - „ein Museum über die gesamte deutsche Geschichte ist unerträglich“. Was die Architektur des Museums selbst betrifft: „Es trete hinter seine Aufgabe zurück, es sei so unscheinbar wie möglich.“ Im übrigen bräuchte Berlin allerdings ein Museum, und zwar ein Naturkundemuseum.

Das liberale Mittelfeld mochte so entschlossen sich nicht zeigen, sondern versteckte sich hinter Pseudopragmatik. Stanislaus von Moos: Obwohl ihm Rossis Entwurf wie ein maßlos vergrößertes Konglomerat von Spielsachen vorkomme, verdiene er dennoch gebaut zu werden.

Aber die Wege, auf denen geirrt werden durfte waren leicht noch verschlungener zu haben: Ingeborg Kuhler etwa, hob die Unschuld des Architekten an der Politik hervor, weigerte sich über Architektur überhaupt zu reden und sah vor allem die Autorität des Preisgerichts in Frage gestellt, was nicht hinnehmbar sei. Und Christoph Sattler wußte: „Man kann das alles nicht in Frage stellen.“

Diejenigen, die wenigstens noch den Versuch irgendeiner Form von Argumentation machten, waren Marco de Michelis und Fritz Neumeyer - beide erklärtermaßen keine Rossi-Anhänger. Sehr schlau kam sich allerdings auch Werner Öchslin vor: unter seinem Lieblingsmotto „warum nicht“ fragte er a) warum Rossi keine Rotunde verwenden dürfe, das stünde schließlich in unserer Tradition und vorallem b) warum wir nach 40 Jahren nicht wieder monumental bauen dürften, wo wir diese Monumentalität doch gut wieder gebrauchen könnten, und da sei es besser dieselbe an einem Museum zu zeigen als an einem Hotel oder an einer Bank - auch wenn es da mal diese „12 Jahre Krise“ gegeben hätte. Nun gut, Öchslin ist Schweizer, aber über deutsche Geschichte scheint er ja Bescheid zu wissen. Mindestens soviel wie Bausenatsrats Dorge, der nicht nur darauf verwieß, daß schließlich auch ein Sportzentrum von Dahlem nach Düppel und wieder zurück verschoben worden wäre, sondern sich auch besonders über Rossis Entwurf freute: Für mich war das von vornherein ein Ausdruck der deutschen Geschichte: Säulen, Rotunde, alles da!

Unter derartigem apologetischem Schwachsinn gingen dann allerdings auch sinnvolle Fragestellungen von Öchslin unter: Wie kann Öffentlichkeit auch architektonisch hergestellt werden, bzw. wie kann Architektur heute auf Aufgaben der Öffentlichkeit eingehen, besonders wenn Artefakte bislang aus der Öffentlichkeitsdiskussion gegenüber der Frage nach Kommunikationsstrukturen ausgeschlossen geblieben sind. So klug wie diese Frage gestellt ist, so fortschrittshörig ist seine eigene Antwort darauf: Das unerhörte Wachstum von Städten müsse kompensiert werden durch klare und auch große Akzente; Berlin sei eine Weltstadt, und die entwickelte Gesellschaft brauche Luxus.

Auf eine reichlich kryptische, theoretische Ebene begab sich der Venezianer de Michelis. Er schilderte die wichtige Stellung Rossis innerhalb der italienischen Literaturgeschichte und dessen zentrale Fragestellung nach dem Wesen der Grundelemente von Architekturproduktion. Rossi begreife dabei die Stadt als Bauwerk, als physischen Körper mit Regeln, Normen und Strategien, wobei die öffentlichen Gebäude die Aufgabe hätten, den Stadtbewohnern von der eigenen Geschichte zu sprechen. Umgekehrt werde in Rossis DHM-Entwurf das Gebäude als Metapher der Stadt verstanden. Und weil am Bauplatz am Spreebogen eine Stadt verschwunden sei, beinhalte der Entwurf das Konzept einer Stadtneugründung, was schon an dessen außergewöhnlicher Uneinheitlichkeit zu erkennen sei.

Am spannendsten aber waren, obwohl nicht ausdiskutiert, die Einwürfe Fritz Neumeyers, deren Thema immer wieder der Zusammenhang von Architektur und Ideologie waren. Er sieht die Emotionalität, die sich in der Diskussion um den Umgang mit der eigenen Geschichte zwangsläufig zu ergeben scheint, unzulässiger Weise in die Architektur hinüber lappen. Anhand der Schlagworte aus der Kritik an Rossi (seelenlos, unmenschlich etc.), die nach einer vermeintlich „richtigen“, „ganzheitlichen“, „menschlichen“, „seelenvollen“ Architektur, die es ja in diesem Rückgriff auf Befindlichkeiten niemals geben könnte, machte er die Ambivalenz von Architektur und Ideologie deutlich. Deshalb sei es von Rossi nur konsequent, wenn er sich der Selbstreflexion der Architektur zuwende und seine Unabhängigkeitserklärung von diesen Belastungen formuliere.

Gabriele Riedle