Polenmarkt ohne Nächstenliebe

■ Mitarbeiter der Matthäuskirche in der Nähe des „Polenmarkts“ dürfen polnischen Händlern kein Wasser mehr geben / Eine Lösung ist nicht in Sicht: Senat kann keinen neuen Standort finden

„Ich bin lange Jahre in Afrika gewesen, und niemals ist mir Wasser verwehrt worden.“ Jürgen Germer ist empört. „Wenn der Pfarrer das Wasserverbot nicht aufhebt, dann trete ich aus der Kirche aus.“ Der Streit dreht sich um den Wasserhahn der St.-Mätthaus-Kirche hinter der Nationalgalerie, zu deren Gemeinde auch Jürgen Germer gehört. Zu Pfingsten wurde die frisch renovierte Kirche wieder eröffnet. Für eine Mark kann nun Dienstags bis Sonntags der Turm bestiegen werden. Von dort aus hat man einen wunderbaren Überblick über das angrenzende sogenannte „Kulturforum“ und den sogenannten „Polenmarkt“.

Während der Hitzetage der vergangenen Wochen hätten die polnischen Händler und Touristen versucht, in der Kirche ihre Wasserkanister und Flaschen füllen zu lassen. Dies habe der Pfarrer Christoph Förster dann jedoch verboten, behauptet Germer, und seinen Angestellten entsprechende Anweisungen gegeben. „Wenn jemand Durst hat, ist es doch selbstverständlich, daß ich Wasser gebe“, beschwert sich Germer. Der Pfarrer habe ihm jetzt angeboten, er könne doch die Flaschen der Polen füllen. Unchristlich findet er die Entscheidung des Pfarrers, „und das jetzt vor dem Kirchentag“.

„Bitte nicht in diesem Ton“, weist Pfarrer Förster Zweifel an der Umsetzung des christlichen Nächstenliebe-Gebots zurück. Seine Mitarbeiter seien durch den Ansturm einfach überfordert. „Ich bleibe bei dem Verbot, sonst kann ich die Kirche zumachen“, erklärt der Pfarrer. 60 bis 70 Berlin -Besucher würden täglich die Kirche besichtigen. Wenn der Kirchenwart und die anderen Mitarbeiter alle Wasserwünsche erfüllen würden, könnten sie ihrer eigentlichen Aufgabe, Bücher und Eintrittskarten für die Turmbesteigung zu verkaufen, nicht mehr nachkommen. Die Gemeinde habe bereits einen Brief an die Senatskanzlei geschrieben und gefordert, daß das „Ärgernis des schwarzen Marktes“ an der Wurzel angegangen werde. Es gehe hier nicht um ein Ausländerproblem, so der Pfarrer, sondern allein um Geld und Vorteile. Es sei doch deutlich erkennbar, daß der Handel mehr und mehr von organisierten Händlern betrieben werde.

Auch die Mitarbeiter der gegenüberliegenden Staatsbibliothek finden die Situation „langsam unzumutbar“. Die Toiletten in der Eingangshalle hätten geschlossen werden müssen, weil der Andrang so groß gewesen sei. „Unsere Benutzer beschweren sich, daß sie keine Schließfächer mehr kriegen, weil die Polen darin ihre Waren einschließen“, teilt Pressesprecherin Christa Lade mit. Inzwischen droht ein Schild in Polnisch und Türkisch den unerwünschten Besuchern mit einer Anzeige wegen Hausfriedensbruchs. „Die Stimmung hier im Hause ist zweigeteilt“, sagt Christa Lade. „Zum einen gibt es durchaus Verständnis für die Polen, aber dann sind viele auch wütend über den wahnsinnigen Dreck, den sie hinterlassen.“ Auch die Besucher der Philharmonie seien verärgert, wenn sie bei Konzerten keine Parkplätze bekommen würden, teilt ein Philharmonie-Sprecher mit.

Eine Lösung des Problems ist zur Zeit nicht in Sicht. Der Senat bemühe sich, einen alternativen Standort zu finden und habe damit zunächst die Bezirksämter beauftragt, teilt der Sprecher des Wirtschaftssenators, der in Sachen Polenmarkt federführend ist, mit. Die Bezirke täten sich mit diesem Auftrag allerdings schwer. Der Anhalter Bahnhof, kurzzeitig als neuer Standort im Gespräch, werde es, so Heinze, bestimmt nicht. Wann der Senat eine Entscheidung treffen wird, steht ebenfalls noch nicht fest. „Möglichst bald“, verspricht der Senatssprecher, der keinen genauen Termin nennen will.

-guth