„Die Stadtwerke sind viel zu mutlos“

Zwei Mitglieder des Energiebeirates zum „Bremer Modell einer anderen Energiezukunft“  ■  I N T E R V I E W

Cornelius Noack und Helmut Spitzley sind Hochschullehrer an der Bremer Universität, und waren Mitglieder des Bremer Energiebeirates.

taz: Der Energiebeirat sollte nach Tschernobyl prüfen, ob in Bremen Energieversorgung ohne Atomstrom möglich ist. Ist das alles, was ihr geleistet habt?

Noack: Unsere Arbeit geht weit darüber hinaus. Man kann sagen, daß nach kurzer Verständigung das Thema Atomstrom überhaupt nicht mehr groß interessiert hat. Wir wollten eine energiepoliische Zukunft in ganz konkreten Einzelheiten darstellen. Und das bedeutet, dezentrale Energiesysteme zu entwerfen.

Es ist aber sicher auch ein Ausstiegsszenario. Wie lange würde Bremen brauchen, um ohne jeden Atomstrom auszukommen?

Spitzley: Bremen hat ausreichend Überkapazitäten, um sofort auf den Bezug von Atomstrom zu verzichten. Aber wichtiger ist das zweite Ziel, daß sich der Beirat selbst gesetzt hat, nämlich die Kohlendioxyd-Reduktion um 40 bis 50 Prozent in den kommenden zwanzig Jahren. Und der Beirat schlägt Strategien vor, wie dieses doppelte Ziel, kein Atomstrom und CO2-Reduktion gemeinsam erfüllt werden können.

Wie soll das denn gehen?

Noack: Mit Energiesparen, mit rationeller Energienutzung und der Nutzung regenerativer Energiequellen.

Die Bremer Stadtwerke behaupten ja, daß sie auf diesen Feldern schon arbeiten. Dort wird behauptet, sie seien bei den Stadtwerken in der Bundesrepublik ganz weit an der Spitze. Teilt der Energiebeirat diese Einschätzung?

Spitzley: Erstens: Bremen ist nach wie vor die deutsche Großstadt mit dem geringsten Fernwärme-Anteil. Zweitens: Die Stadtwerke warten in ihrem Kundenzentrum auf ratsuchende Einzelbesucher. Statt vor Ort zu beraten. Drittens: Regenerative Energiequellen werden in Bremen bislang nicht genutzt. Das einzige Wasserkraftwerk ist vor zwei Jahren abgerissen worden.

Noack: Ich würde das ganz gerne am Punkt Fernwärme ergänzen und konkretisieren. Die Stadtwerke sagen uns: Selbstverständlich sollte die verfügbare Fernwärme genutzt werden. Selbstverständlich ist das Energieverschwendung. Nur: Wir müssen unsere Wirtschaftlichkeit gewährleisten. Wir haben in unseren Bericht eine zentrale Empfehlung, die stammt wortwörtlich von Klaus Traube: „Die Stadtwerke müssen anfangen zu lernen, daß sie als Unternehmen ein ganz normales unternehmerische Risiko tragen müssen.“ Das ist ein ganz zentraler Punkt, wo wir glauben, die Stadtwerke sind viel zu mutlos. Zu wenig zukunftsorientiert in ihrem eigenen Interesse.

Der Beirat hat vorgeschlagen, die Tarife linear zu gestalten. Also: Wer viel verbraucht, soll viel zahlen. Die Stadtwerke sagen: Wir können das nicht, weil uns die Bundestarifordnung hindert.

Spitzley: Die Stadtwerke könnten bei einer extensiven Auslegung der Bundestarifordnung zwar die linearen Tarife nicht in reinster Ausprägung verwirklichen, aber annähernd dasselbe erreichen. Sie müßten nur den Grundpreis minimieren und den Arbeitspreis zum Hauptbestandteil der Preisgestaltung machen.

Die Stadtwerke machen sich Sorgen um die Bremer Wirtschaft. Direktor Czichon sieht durch Vorschläge, die Tarife so zu gestalten, daß die Großverbraucher mehr zahlen müssen, den Aufschwung gefährdet.

Noack: Das haben wir vorher gewußt, daß das Argument kommt. Wir haben eigens aus diesem Grunde einen Exkurs „Stromkosten und Gewerbeförderung“ reingeschrieben, in dem wir konkret nachgewiesen haben, daß das Argument völlig irrelevant ist. Die Stromkosten der Bremischen Unternehmen bewegen sich in der Größenordnung von einem Prozent der Gesamtkosten. Eine zehnprozentige Erhöhung der Stromkosten, was sehr viel wäre, würde sich mit einem Promille in den Gesamtkosten niederschlagen.

Spitzley: Allein die täglichen Dollarkurs-Änderungen sind das vielfache der Stromkostenveränderungen, die überhaupt nur zur Debatte stehen können.

Dieses Todschlagsargument sollte in Zukunft aus dem Verkehr gezogen werden. Jeder, der es benutzt, disqualifiziert sich.

Ihr schlagt ein Landesenergiegesetz vor. Die gesetzgeberische Kompetenz liegt aber doch beim Bund.

Spitzley: Wir haben das im einzelnen juristisch geprüft und festgestellt, daß der Landesgesetzgeber sehr wohl tätig werden kann. Wir haben einen ausformulierten Entwurf vorgelegt und im Anhang unseres Berichtes veröffentlicht. Das wird über die Landesgrenzen Bremen hinaus Beachtung finden.

Die Vorschläge des Beirats sind im Detail auf Bremen zugeschnitten. Welche Möglichkeiten der Übertragbarkeit gibt es?

Spitzley: Unsere Empfehlungen sind allesamt in Bremen umsetzbar. Das war das wichtige. Sie sind nicht einfach auf andere Städte übertragbar, weil lokale Gegebenheiten jeweils unterschiedlich sind. Wir glauben aber, daß das Bremer Modell einer anderen Energiezukunft auch an anderer Stelle entsprechend modifiziert werden kann. Einige Dinge in der Methodik und einzelne Beispiele, wie die Satzungsänderung für die Stadtwerke und das Landesenergiegesetz, können von anderen Bundesländern auch umgesetzt werden.

Noack: Andere Großstädte, die das machen wollen, müssen sich ihre Einsparpotentiale schon selbst ausrechnen. Wenn sie das nachmachen wollen, werden sie ihre Energiebeiräte einzusetzen haben. Nur wenn das eine andere Stadt macht, dann kann sie sich viel viel Vorarbeit sparen. Sie muß nur zur Kenntnis nehmen, was wir für Bremen gemacht haben.

Das Gespräch führte Holger Bruns-Kösters