Zauberformel aus Bremen für eine neue Energiepolitik

Der „Energiebeirat“ des Bremer Senats entwickelte sensationelle Perspektiven bis zum Jahr 2010: In Zukunft ohne Atomstrom, 40 Prozent weniger Kohlendioxid-Emission, 2.500 neue Arbeitsplätze, sinkende Energiepreise bei steigendem Gewinn für die kommunalen Stadtwerke? / Noch schweigt der Senat dazu  ■  Aus Bremen Dirk Asendorpf

Im kleinsten Bundesland gibt es zwar weder ein Atomkraftwerk, noch war jemals eines geplant. Trotzdem veränderte der GAU in Tschernobyl vor drei Jahren die Bremer Energiepolitik. Die Absicht der Landesregierung, den Stromeinkauf vom Betreiber aller norddeutschen AKWs, der PreAG, von zehn auf über 20 Prozent zu steigern, wurde unter dem Druck der aufgewühlten - auch SPD-internen Öffentlichkeit kurz vor der Vertragsunterzeichnung wieder gekippt. Die Stadt Bremen wollte energiewirtschaftlich unabhängig bleiben, ein neues Kraftwerk mit gekoppelter Fernwärmeerzeugung ging in Auftrag. Ab Mitte 1990 wird es die Energie erzeugen, die 1986 noch aus den AKWs in Esensham, Brokdorf und Stade bezogen werden sollte.

Ebenfalls als Reaktion auf die Energie-Debatte nach Tschernobyl setzte die Bremer Landesregierung, der Senat, einen „Energiebeirat“ ein, um energiepolitische Perspektiven bis zum Jahr 2010 zu entwickeln, die Bremen sowohl vom Atomstrom unabhängig machen als auch die Energieproduktion unter ökologischen Gesichtspunkten neu durchdenken sollten. Bekannte Energiewissenschaftler wie der Aussteiger aus der Atomindustrie, Klaus Traube, Juristen und Fachleute der Energiewirtschaft wurden vom Senat in das 13köpfige Gremium berufen. Anfang Mai legte der „Energiebeirat“ dann seinen 250seitigen Abschlußbericht vor, der in insgesamt sechs Szenarien konkrete Schritte zu einer ökologischen Energiewirtschaft vorstellt.

Ein Szenario

zu schön um wahr zu sein

Die Empfehlung des Beirats gilt einem Szenario, mit dem bis zum Jahr 2010 sensationelle Ergebnisse zu erwarten seien: Bremen könnte damit auch aus den verbliebenen zehn Prozent Atomstrom aussteigen, und trotzdem würden die Kohlendioxid -Emissionen aus der Energieerzeugung um 40 Prozent sinken. Gleichzeitig bestünde die Möglichkeit, 2.500 neue Dauerarbeitsplätze zu schaffen, die Energieausgaben der privaten Haushalte um 100 Millionen Mark zu senken und den Stadtwerken mehr Gewinn zu verschaffen als je zuvor.

„40 Prozent weniger Kohlendioxid - solch drastischer Beitrag gegen die Bedrohung durch den Treibhaus-Effekt wurde bislang immer als nur unter großen gesellschaftlichen Opfern möglich betrachtet. Jetzt kann in Bremen erstmals gezeigt werden, daß es auch ein großer gesellschaftlicher Gewinn sein kann“, freute sich Energiebeirats-Mitglied Frank Hennicke bei der offiziellen Übergabe des Berichts an den Senat. Der Darmstädter Hochschullehrer ist auch Mitglied der Enquete-Kommission der Bundesregierung zur Analyse der drohenden Klima-Katastrophe.

Ein „Wärme Direkt-Service“

Wesentlicher Punkt in diesem vielversprechenden Szenario ist die Umstellung der Energieproduktion auf kleine, dezentrale „Blockheizkraftwerke“, die neben dem elektrischen Strom auch Fernwärme für die umliegenden Häuser liefern. Um das Angebot für Hausbesitzer attraktiv zu machen, wird ein „Wärme-Direkt -Service“ vorgeschlagen. Die Stadtwerke übernehmen dabei die Heizungsanlagen eines Kunden für einen vertraglich vereinbarten Zeitraum von beispielsweise 15 Jahren und sorgen dann selber für die ökologisch (und im Eigeninteresse der Stadtwerke auch ökonomisch) günstigste Wärmeversorgung. Der Verbrauchspreis orientiert sich weiterhin an der zuvor genutzten Energiequelle (z.B. Heizöl oder Erdgas). Das Kostenrisiko tragen die Stadtwerke.

Gewinnbringendes Stromsparen

Schon dieses Beispiel zeigt, daß mit der Umsetzung der Pläne des Energiebeirats nicht nur die Regierung des kleinsten Bundeslandes und die landeseigenen Stadtwerke gefordert wären. Einen entscheidenden Beitrag zum Energiesparen müssen auch Industrie und Bevölkerung leisten. Der Staat soll energiesparendes Verhalten dabei finanziell attraktiv machen. Einer „großen Aufklärungskampagne“ soll mit speziellen Steuervergünstigungen und Abgaben nachgeholfen werden. Subventionen sollen die Umstellung auf Fernheizung, die Wärmeisolation der Gebäude und die Verwendung stromsparender Haushalts- und Industriemaschinen verbilligen.

6,6 Milliarden Mark müßten in Bremen zur Erfüllung des Planes bis zum Jahr 2010 von Industrie und privaten Haushalten investiert werden. Dabei denkt der Energiebeirat nicht daran, daß energieverschwendende Haushaltsgeräte weggeworfen werden. Es sollen lediglich beim Neukauf zum Beispiel von Waschmaschinen und Kühlschränken besonders auf energiesparende Ausstattung geachtet werden. Gleiches gilt auch für Maschinen in der Industrie.

Zuständig für die entsprechende Energieberatung werden die „Stadtwerke der Zukunft“ sein. Sie müssen sich vom reinen Strom-, Gas- und Fernwärmeverkäufer zu einem „Energiedienstleistungs-Unternehmen“ wandeln. „Eine energiepolitische Unternehmensstrategie liegt zur Zeit nicht vor“, kritisiert der Energiebeirat und schlägt deshalb eine Satzungsänderung und ein eigenes Bremisches Energiegesetz vor. Die Energietarife sollen künftig „durchgängig verbrauchsabhängig“ sein. Subventionen nach dem Motto: „Wer viel konsumiert, bezahlt weniger“ sollen abgeschafft werden. Das besonders umweltbelastende Altkraftwerk Hafen soll vorzeitig stillgelegt werden. Dafür würden in großem Umfang dezentrale Blockheizkraftwerke und Windenergieanlagen entstehen.

Um mit einer Umsetzung all dieser Vorschläge nicht warten zu müssen, bis der Bund entsprechende Gesetze vorlegt, schlägt der Energiebeirat auch ein eigenes Bremer Energiegesetz vor. „Die Gestaltungsspielräume für den Landesgesetzgeber sind dabei - das haben die Untersuchungen ergeben - trotz bundesrechtlicher Einschränkungen erheblich größer, als gemeinhin angenommen wird“, heißt es im Abschlußbericht.

10.000 Mark für die beste Wärmedämmung

Neben den „großen“ Perspektiven der Energiepolitik hat sich der Energiebeirat auch mit „kleinen“, aber schnell umsetzbaren praktischen Vorschlägen befaßt. So gibt es in dem Abschlußbericht ebenso Anregungen zur Weiterbildung für Gebäudetechniker wie die Idee eines Wettbewerbs „Energiesparpreis“, der Hausbesitzer anregen soll, für bessere Wärmedämmung zu sorgen. Der erste Preis ist mit 10.000 Mark dotiert.

Wieviel von den Vorschlägen des Energiebeirats in Bremen tatsächlich verwirklicht wird, hängt nicht zuletzt vom öffentlichen Druck auf Senat und Stadtwerke ab. Mit der Einsetzung des ökologisch orientierten Gremiums hat die Bremer Landesregierung vor knapp drei Jahren den ersten Schritt zwar schon gemacht, aber „jetzt ist der Senat in der Pflicht, die große Chance auch wahrzunehmen“, sagte Energiebeirats-Mitglied Hennicke bei der Übergabe des Abschlußberichts an Bürgermeister Klaus Wedemeier.

Stadtwerke sofort skeptisch

Die Bremer Stadtwerke haben schon kurz nach der offiziellen Übergabe ihre Skepsis gegenüber den weitgehenden Vorschlägen des Energiebeirats signalisiert. Der inzwischen aufgelöste Energiebeirat kann sich dagegen nun nur noch über den Weg an die Öffentlichkeit wehren (vgl. die beiden Interviews auf dieser Seite). Vom Bremer Bürgermeister war seit der feierlichen Übergabe in Sachen Energiepolitik nichts mehr zu hören. Er wolle das voluminöse Werk „erst mal lesen lassen“, hatte er den 13 Beirats-Mitgliedern Anfang Mai versprochen.

Der Abschlußbericht ist noch bis zum 30.Juni zum Selbstkostenpreis beim „Energiebeirat“, Senator für Umweltschutz und Stadtentwicklung, Ansgaritorstr.2, 2800 Bremen 1 zu haben.