Die Europäische Aktiengesellschaft

■ An der Mitbestimmung scheitert die Verfassung für den EG-Multi / Im Hintergrund lauert schon der transnationale Konzern

Teil 18: Hortense Hörburger

Am Mittwoch hätte es soweit sein sollen. Angekündigt war eine Einigung der EG-Kommission auf einen Entwurf für das Statut einer Europäischen Aktiengesellschaft (EAG). Doch aus der Entscheidung wurde nichts: Die EG-Kommission konnte sich ebensowenig über die steuerlichen Vorteile für die neue EAG einigen noch auf eine gesetzliche Grundlage für die Mitbestimmung. Insbesondere liegt es an der Haltung von Margaret Thatcher, die nicht davon abrückt, eine gesetzliche Grundlage für die Mitbestimmung in der EAG zu verhindern, wo Regelungen auch durch Tarifverträge getroffen werden können. Im übrigen habe die Gemeinschaft derzeit wichtigere Probleme zu lösen.

So kurz vor den Wahlen zum Europäischen Parlament wagt in Brüssel niemand den großen Krach mit der Eisernen Lady. Auch der kommende Gipfel in Madrid soll möglichst noch von scharfen Konflikten um die Rolle Großbritanniens in der EG freigehalten werden. Bessere Chancen rechnet sich EG -Kommissionspräsident Jacques Delors für die zweite Jahreshälfte aus, wenn die Präsidentschaft bei Frankreich liegt - wenn es schon Streit gibt, dann soll das Thema aber die Europäische Währungsunion sein, nicht die europäische Mitbestimmung.

Dabei hatte, im Vergleich zur bisher 22jährigen Geschichte der EAG-Beratungen, der neuerliche Anlauf recht gut begonnen. Nachdem Delors im Juli letzten Jahres ein neues Memorandum zur EAG veröffentlicht hatte, legte die Kommission in der Rekordzeit von knapp einem Jahr einen entscheidungsreifen Entwurf vor, um auch die Unternehmensverfassung EG-europäisch zu harmonisieren und die Gewerkschaften supranational handlungsfähig zu machen. Hauptpunkt: In irgendeiner Form soll die Mitbestimmung gesetzlich geregelt werden, nicht mehr nur durch Verhandlungen zwischen ArbeitgeberInnen und ArbeitnehmerInnen, wie bisher noch in einer ganzen Reihe von Mitgliedsländern. Ob ein Unternehmen aber als EAG organisiert wird oder weiterhin als AG, NV, Plc, SA oder SpA, soll wiederum tarifvertraglich ausgehandelt werden.

Das Vorhaben ist clever, denn es bringt beide Seiten aus ihren liebgewordenen Konzepten. Die Kapitalseite lehnte Mitbestimmungsregelungen auf EG-europäischer Ebene bisher strikt ab, soll aber jetzt zwischen nationaler und EG -Rechtsform wählen können. Die Gewerkschaften wiederum müssen sich mit dem Gedanken anfreunden, daß ihre Mitbestimmung, die sie jeweils im nationalen Kontext erkämpft haben, in einer EAG anders aussehen könnte. Zudem werden sich durch die EAG auch Regierungen mit gesetzlichen Mitbestimmungsregelungen konfrontiert sehen, die bislang damit überhaupt nicht befaßt waren. „Marxistisches Programm!“, rief Maggie Thatcher flugs.

22jährige Geschichte

Vor einem zu rasanten Tempo bei der Entwicklung der Mitbestimmungsrechte muß dabei allerdings kaum gewarnt werden. Schon 1967 legte Professor Sanders von der Universität Rotterdam ein erstes Gutachten zur Bildung eines völlig neuen europäischen Unternehmenstypus vor. Drei Jahre dauerte es, bis die Kommission daraufhin einen ersten juristisch ausformulierten Statuten-Vorschlag vorlegte. Der wiederum lag vier Jahre im Europa-Parlament, wobei dessen kühner Vorstoß mit einer einheitlichen Form der Mitbestimmung von der Kommission nicht aufgegriffen wurde. Das Parlament hatte eine Drittelparität aus Vertretern von Arbeitgebern, Arbeitnehmern und Verbänden des öffentlichen Lebens gefordert. Hin- und hergeschoben, war eine Einigung nicht möglich; 1982 wurde die Arbeit offiziell abgebrochen.

Bis zum Delors-Memorandum vom letzten Juli ruhte nicht nur diese Thema, sondern so gut wie alles, was mit ArbeitnehmerInnen-Mitbestimmung auch nur entfernt zu tun hatte. Trefflicher als mit den Worten der Bundesregierung konnte man dies kaum umschreiben. Auf die Frage, welche Harmonisierung der Mitbestimmungsregelungen auf EG-Ebene geplant seien, antwortete sie dem CDU-Abgeordneten Scharrenbroich im Januar dieses Jahres: „Zur Zeit befinden sich in Brüssel keine Kommissionsvorschläge in der Beratung, die speziell eine Harmonisierung von Beteiligungsrechten der betrieblichen Arbeitnehmervertretungen zum Gegenstand haben.“

Das stimmte nicht ganz, denn zu diesem Zeitpunkt war das Delors-Memorandum bereits ein halbes Jahr alt. Dichter lag Wirtschafts-Staatssekretät Vogt schon am Wind, als es um den bürokratischen Status der sogenannten Vredeling-Richtlinie ging, einem Entwurf zur Harmonisierung der Mitbestimmung in allen Aktiengesellschaften der EG aus der Mitte der Siebziger Jahre. Vogt: „Die Beratungen ... ruhen zur Zeit.“

Die Bundesregierung ist

schlecht vorbereitet

Wie wenig die Bundesregierung die Situation in der EG kennt, geht auch aus einer Antwort an Scharrenbroich hervor, der nach Formen der Mitbestimmung in den EG-Ländern gefragt hatte. Vogt: „Eine umfassende Rechtsvergleichung zu den Beteiligungsrechten der betrieblichen Arbeitnehmervertretungen ist der Bundesregierung nicht bekannt. (...) Man kann aber davon ausgehen, daß andere Mitgliedsstaaten keine Mitbestimmung ... kennen.“ Doch während sich die Bundesregierung in der EG völlig einsam wähnt, hat die Kommission immerhin sechs Länder mit Formen der Mitbestimmung ausgemacht: außer der BRD auch in Frankreich, Belgien, Italien, Spanien, Irland und selbst in Großbritannien, wobei es sich allerdings teilweise um Mischformen mit Tarifvertragsrecht handelt und etwa auch Vertrauensleute oder Wirtschaftssausschüsse erfaßt sind. Solchermaßen vorbereitet betritt die Bundesregierung das Brüsseler Terrain der immer hitziger werdenden Debatte über die Ausgestaltung der sozialen Komponenten bei der Vollendung des Binnenmarktes.

Daß die Harmonisierung der Mitbestimmungsregelungen ein dorniges Feld ist, ist der EG-Kommission sehr wohl bewußt zumal, wenn selbst die Länder mit gesetzlichen Vorschriften zur Mitbestimmung mit einem solchen Elan für eine europäische Lösung eintreten, wie dies aus den Antworten der Bundesregierung sichtbar wird. Regelrecht gespalten sind allerdings die ArbeitgeberInnen, vor allem, wenn es sich um Euro-Multis handelt: Ein Teil von ihnen hält die EAG durchaus für nützlich, weil sie die Anpassung der inneren Firmenstrukturen an die Erfordernisse des Binnenmarktes ermöglicht. Die nationalen Gewerkschaften liegen noch viel weiter zurück: Den meisten BetriebsrätInnen ist der notwendige neue Internationalismus der Arbeiterbewegungen noch ziemlich fremd. Die Differenzen stehen hier noch eher vor dem Ausbruch. So lehnen etwa die kampfstarken kommunistischen Gewerkschaften in Frankreich die sozialpartnerschaftliche Orientierung des DGB strikt ab.

Konzernzentrale auf

einer einzigen Etage

Dabei eilt die Zeit nicht nur wegen des magischen 1. Januar 1993. Multinationale Unternehmen sind schon fast wieder out, transnationale Unternehmen sind in. Multis, so war Anfang Mai in New York auf einer Konferenz von US-Unternehmern über den Binnenmarkt zu hören, seien zu bürokratisch und hierarchisch, um den sich schnell ändernden Märkten anzupassen. Ein Beispiel für ein solches transnationales Unternehmen gab Percy Barnevik, der Chef des schwedisch -schweizerischen Konzerns Asea Brown Boveri (ABB). Seit der Umstrukturierung von ABB gibt es keine nationalen Töchter einer Muttergesellschaft mehr, sondern achthundert eigenständige Betriebsstätten, die auch untereinander um Aufträge konkurrieren und versuchen müssen, ihren Profit zu maximieren. Über diesen Betriebsstätten sitzt eine Holding, deren Verwaltung mit kaum mehr als hundert Leuten in Zürich angesiedelt ist.

Gegen diese transnationalen Unternehmen ist bislang noch überhaupt kein arbeitnehmerrechtliches Kraut gewachsen, denn es gibt kein internationales Holding-Recht. Und wenn der Konzern das Kunststück fertigbringen würde, die Betriebe soweit zu zerlegen, daß in jeder einzelnen Betriebsstätte weniger als hundert Beschäftige arbeiten, würde es etwa in der BRD keinen einzigen ABB-Betriebsrat mehr geben.