Portugals Nelken endgültig begraben

■ Parlament in Lissabon billigt mit 4/5-Mehrheit Verfassungsreform / Abschied von der einzigen sozialistischen Verfassung Westeuropas / Anpassung an Europa 92: Reprivatisierung

Lissabon/Berlin (dpa/ap/taz) - Mit einer stillen „Revolution“ hat Portugal am Donnerstag einen Schlußstrich unter seine jüngste revolutionäre Geschichte gezogen: Das Parlament in Lissabon stimmte nach einjähriger Vorbereitung und sechswöchiger umfangreicher Plenararbeit mit großer Mehrheit einer Reform der Verfassung zu, mit der die linken Überreste der „Nelkenrevolution“ vom April 1974 aus dem Verfassungswerk entfernt werden. Für die neue Verfassung stimmten 212 Abgeordnete der beiden größten Parteien - der mit absoluter Mehrheit regierenden Sozialdemokratischen Partei Portugals (PSD) unter Ministerpräsident Cavaco Silva und der oppositionellen Sozialistischen Partei. Nur die Kommunisten und einzelne sozialistische Abgeordnete lehnten mit 27 Stimmen die „Verbürgerlichung“ ab.

Mit der Abstimmung wurde die einzige formal sozialistische Verfassung in Westeuropa und das Experiment eines neuen Gesellschaftsmodells zu Grabe getragen. Die ursprüngliche, noch aus der „heißen Phase“ von 1976 stammende Verfassung war bereits 1982 erheblich verändert worden. Dabei waren die Kompetenzen des Präsidenten der Republik beschnitten, der Revolutionsrat abgeschafft und durch ein Verfassungsgericht ersetzt worden. Jetzt, so frohlockt der rechtsliberale Silva, könne man endlich Portugals wirtschaftliche und administrative Strukturen auf „eine moderne soziale Marktwirtschaft europäischen Zuschnitts“ hin verändern und sich voll in die EG integrieren.

Die ursprüngliche Verfassung von 1976 hatte das von 48 Jahren Diktatur befreite Land in ihrem ersten Artikel als eine Republik „im Übergang zu einer klassenlosen Gesellschaft“ definiert und im Artikel zwei als ihr Ziel den „Übergang zum Sozialismus“ proklamiert. Das wurde nun ersatzlos gestrichen. Neues Verfassungsziel ist, „eine freie, gerechte und solidarische Gesellschaft“ aufzubauen. Der „Übergang zum Sozialismus“ wurde zum Auftrag der „Verwirklichung einer wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Demokratie“.

Der verfassungsrechtliche Schritt ist jedoch nur eine Anpassung an die ökonomischen Realitäten. Denn an der Landreform oder an „nicht mehr rückgängig zu machende Nationalisierungen“ - beides Bestimmungen der 76er Verfassung - wurde schon länger gerüttelt. Von einer „Planwirtschaft“ kann in Portugal, das seit 1986 der Europäischen Gemeinschaft angehört, nicht die Rede sein.

Die Reprivatisierung der 1975/76 verstaatlichten Unternehmen, Banken, Versicherungen und Verlage ist schon im Gange. Jüngstes Beispiel: 49 Prozent des staatlichen Bierkonzerns Unicer wurden bereits abgegeben. Zwei Versicherungsunternehmen sollen noch in diesem Jahr abgestoßen werden und den in Staatsbesitz (35 Prozent) verbleibenden, oft unrentablen Unternehmen wird eine Gesundschrumpfung verordnet, schließlich hat der Staat einen Schuldenberg von rund 26 Milliarden Mark im Nacken. Das „Armenhaus Europas“ wird nun endgültig zu einem „normalen“ Land Europas.

AS